Gesundheitswesen
Wie sicher sind meine Patientendaten? Auf Spurensuche im Aargau

Ab April 2020 müssen Spitäler, Psychiatrien und Rehakliniken das elektronische Patientendossier anbieten. Was ist das überhaupt? Was bringt es und zu welchem Preis? Die AZ hat sich den Prototyp des Aargauer Patientendossiers zeigen lassen.

Noemi Lea Landolt
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Das Patientendossier der Zukunft
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So könnte die Übersicht im elektronischen Patientendossier aussehen. Es handelt sich um beispielhafte Darstellungen, die noch nicht final sind.
Ein Patient kann seine Arztberichte, Röntgenbilder oder Laborbefunde abrufen. Er bestimmt selber, welche Ärzte auf Dokumente im Dossier zugreifen können.

Das Patientendossier der Zukunft

Sandra Ardizzone

In einem kleinen Büro in Aarau hat sich die Stammgemeinschaft eHealth Aargau eingerichtet. Hier wird seit Jahren am elektronischen Patientendossier, kurz EPD, gearbeitet. Das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier verlangt von Spitälern, Reha-Kliniken und Psychiatrien, dass sie ab April 2020 die behandlungsrelevanten Gesundheitsinformationen und -daten auch im EPD ablegen. Apotheken, Spitex, niedergelassene Ärztinnen und Therapeuten entscheiden selber, ob sie das elektronische Patientendossier nutzen möchten oder nicht.

Zusammen mit der Post hat eHealth Aargau eine Plattform entwickelt. Diese muss noch von einer akkreditierten Stelle zertifiziert werden. Ursprünglich ging Nicolai Lütschg, Geschäftsführer von eHealth Aargau, davon aus, dass die Plattform bis Ende 2019 zertifiziert ist. «Das wird nicht der Fall sein», sagt er nun. Trotzdem glaubt er, dass die Zertifizierung rechtzeitig abgeschlossen ist und das EPD im April 2020 zur Verfügung steht.

Mit der Einführung sei es aber nicht getan, sagt Lütschg. «Die erste Lösung wird keine für die Ewigkeit sein. Aber sie ist ein wichtiger Schritt.» Sie ermögliche es, Erfahrungen mit dem elektronischen Patientendossier zu sammeln, und werde einen Entwicklungsprozess in Gang setzen.

Er vermutet, dass am Anfang vor allem PDF-Dokumente im elektronischen Patientendossier abgelegt werden und es damit nichts anderes ist als eine digitale Ablage, auf die mehrere Personen zugreifen können. «Mit der Zeit wird sich das EPD aber zu einer Datenablage entwickeln, die neue Möglichkeiten eröffnet, zum Beispiel bei der Diagnosestellung», ist Lütschg überzeugt.

Der Entscheid für oder gegen ein elektronisches Patientendossier liegt bei den Patientinnen und Patienten. Entscheidet sich jemand für ein Dossier, heisst es nicht automatisch, dass er alle seine Daten mit jedem teilt. Ärztinnen und Pfleger können zwar Dokumente ins EPD hochladen. Die Patientin hat aber die Kontrolle darüber, welche Daten sie mit welchem Arzt teilt. Das heisst zum Beispiel, dass Physiotherapeutin, Zahnärztin, Psychiater und Hausarzt nicht die gleichen Dokumente abrufen können.

Wenn eine Patientin nicht möchte, dass ihr Zahnarzt weiss, dass sie in psychiatrischer Behandlung ist, kann sie das steuern. Wer nicht direkt an der Behandlung von Patientinnen und Patienten beteiligt sei, könne zu keinem Zeitpunkt auf die Gesundheitsinformationen zugreifen, sagt Lütschg. «Dazu gehören zum Beispiel Krankenkassen, Arbeitgeber oder Behörden.»

Er startet seinen Computer. Ein Prototyp der Plattform existiert bereits und ermöglicht beispielhafte Darstellungen des Aargauer EPD. Der fiktive Patient Martin Gamper hat sich für ein elektronisches Patientendossier entschieden. Er kann also vom Computer, Tablet oder Smartphone auf seine Gesundheitsdaten zugreifen. Dazu muss er sich zunächst einloggen.

Ähnlich wie beim E-Banking braucht es eine Zwei-Faktor-Authentifizierung. Das heisst, Martin Gamper muss anhand zweier unterschiedlicher und unabhängiger Komponenten nachweisen, dass er tatsächlich Martin Gamper ist. Wie genau das Sicherheitslogin der Aargauer Lösung dereinst funktionieren wird, sei noch nicht klar, sagt Lütschg. eHealth Aargau teste derzeit verschiedene Angebote.

Gamper hat sich erfolgreich eingeloggt. In seinem elektronischen Patientendossier findet er Informationen, die seine behandelnden Ärzte hochgeladen haben. Er kann Austrittsbriefe lesen oder Röntgenbilder seiner gebrochenen Hüfte anschauen, wenn er möchte. Die Medikamentenliste ist immer aktuell und enthält Anweisungen, wann, warum und wie lange er die verschiedenen Tabletten schlucken muss. Wenn er möchte, kann er die Liste ausdrucken, sie an den Kühlschrank hängen oder in der Apotheke vorweisen.

Für Notsituationen kann man Zugriffsberechtigungen erteilen

Er hat sich aber nicht deshalb in sein EPD eingeloggt. Gamper war beim Hausarzt. Dieser hat ihn für weitere Abklärungen an einen Spezialisten im Kantonsspital Aarau überwiesen. Er will dem Spezialisten deshalb den Zugriff auf gewisse Dokumente in seinem Dossier erlauben. Unter «Berechtigungen» kann er das jederzeit anpassen und auch festlegen, ob er einem ganzen Team den Zugriff auf die Informationen erlauben möchte oder nur einzelnen Ärzten.

Gamper erinnert sich, dass ihm sein Hausarzt empfohlen hat, sich Gedanken über Notfallsituationen zu machen. Als er das elektronische Patientendossier eröffnet hatte, war er unsicher, ob er wirklich möchte, dass in Notfallsituationen auch medizinische Fachpersonen ohne Zugriffsberechtigung Informationen abrufen können. Inzwischen findet er es sinnvoll.

Auch weil er weiss, dass er über jeden Zugriff informiert würde. Per SMS oder per E-Mail würde ihm mitgeteilt, wer genau aus welchem Grund Daten in seinem Dossier aufgerufen hat.
Bevor sich Gamper ausloggt, wirft er noch einen Blick ins Protokoll. Darin wird aufgeführt, welche Ärztin oder welcher Pfleger auf seine Daten zugegriffen hat. Er findet nichts Auffälliges.

Als er einige Tage später beim Spezialisten im Behandlungszimmer sitzt, kennt dieser seine Krankengeschichte bereits. Er hat auch gesehen, dass der Hausarzt Blut abgenommen hat und Röntgenbilder vorhanden sind. Die beiden müssen also nicht bei Adam und Eva beginnen und Gamper bleibt eine erneute Blutabnahme erspart.

Ältere Menschen können einen Vertreter einsetzen

Nach dem Termin beim Spezialisten besucht Gamper seine Mutter, die ganz in der Nähe des Spitals wohnt. Sie ist 80 Jahre alt. Er erzählt ihr von seinem elektronischen Patientendossier. Seine Mutter ist skeptisch und überhaupt: Sie hat weder einen Computer noch ein Smartphone. Aber sie fände es schon praktisch, wenn sie nicht jedem Arzt erneut alles erzählen müsste. Von diesem Fachchinesisch versteht sie sowieso nur die Hälfte.

Damit auch ältere Leute, denen die Technik Mühe macht und die keinen Computer haben, das elektronische Patientendossier nutzen können, könnten sie jemanden als Vertreter einsetzen, sagt Lütschg. Dasselbe gelte für Dossiers von Kindern. Der Kanton Genf führt seit einigen Jahren mit «Mon Dossier Médical» ein Projekt, das bereits sehr viele Elemente des EPD umsetzt.

«Dort gibt es viele Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes für dieses ein EPD eröffnen», sagt Lütschg. «Gut möglich, dass sich diese Kinder später gar nicht mehr vorstellen können, wie es war, als man noch ein Impfbüchlein hatte.»