Startseite
Aargau
Kanton Aargau
In der letzten Sitzung vor den Ferien entscheidet der Regierungsrat nächste Woche wohl, wie es mit dem umstrittenen Staatsanwalt weitergeht. Ein Vergleich von drei Fällen zeigt: Kritik an Führungspersonen in der Strafverfolgung wird sehr unterschiedlich behandelt.
Es sind happige Vorwürfe, die SVP-Fraktionschefin Désirée Stutz im Grossen Rat gegen die Regierung vorbrachte: Diese reagiere bei Vorwürfen gegen Staatsanwälte sehr unterschiedlich und nehme dabei Rücksicht auf das Parteibuch. Gegen ihren SVP-Kollegen Simon Burger, Leiter der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, ist bekanntlich eine externe Untersuchung eingeleitet worden (die AZ berichtete). «Dieses Vorgehen irritiert, nachdem in der Vergangenheit mehrere solche Vorwürfe gegen andere leitende Staatsanwälte erhoben, aber anders abgehandelt wurden», sagt Stutz.
Ganz anders war das Vorgehen beim leitenden Aargauer Jugendanwalt Hans Melliger: Gegen ihn habe es gar ein Strafverfahren gegeben, die Regierung habe aber keinen Anlass gesehen, darüber zu informieren oder einzugreifen, kritisiert Stutz (siehe Artikel unten).
Im Fall von Barbara Loppacher, der Leiterin der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, fiel die Reaktion auf Vorwürfe der ihr unterstellten Staatsanwältin Christina Zumsteg nochmals anders aus (siehe Artikel unten rechts). Die Oberstaatsanwaltschaft habe sich damals vor Loppacher gestellt, der Regierungsrat habe aber in Abrede gestellt, dass man sie schütze, weil sie dasselbe Parteibuch wie Justizdirektor Urs Hofmann habe.
Vor gut zwei Wochen machte die AZ publik, dass gegen Simon Burger eine externe Untersuchung läuft. Im Frühling hatten mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm ein Protestschreiben an die Oberstaatsanwaltschaft verfasst. Sie kritisierten darin die Amts- und Personalführung von Simon Burger. Einige der Vorwürfe gegen den leitenden Staatsanwalt: Er verbreite intern eine Angstkultur, mische sich in Verfahren von Kollegen ein, wälze Arbeit auf andere ab, sei selber zu wenig präsent sowie bei Polizei und Gerichten «verhasst».
Der Regierungsrat stufte den Protest als Aufsichtsbeschwerde ein und erteilt dem ehemaligen Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder (SP) am 4. Mai den Auftrag, die Vorwürfe gegen Burger zu untersuchen. Weder soll prüfen, ob die Kritik der Mitarbeitenden an der Amts- und Personalführung des leitenden Staatsanwalts zutrifft. Zudem soll er die Ergebnisse seiner Untersuchung aufsichts-, personal- und disziplinarrechtlich würdigen. Schliesslich soll Weder konkrete Empfehlungen zur Anordnung von Massnahmen abgeben, «namentlich betreffend die Einleitung eines Disziplinarverfahrens». Das steht im Auftrag an den früheren Zürcher Staatsanwalt, welcher der AZ vorliegt.
Dies passt zu einer Vermutung, die SVP-Fraktionschefin Stutz in ihrem Vorstoss anstellt: «Es ist davon auszugehen, dass der eingesetzte Ulrich Weder damit beauftragt wurde, eine ‹Anklage› gegen Simon Burger zu verfassen.» Nach Informationen der AZ hat Weder seinen Untersuchungsbericht bereits beim Regierungsrat abgeliefert. Am kommenden Mittwoch findet die letzte Regierungssitzung vor den Sommerferien statt. Es ist davon auszugehen, dass der Regierungsrat den Bericht dann berät und entscheidet, ob gegen Burger ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden soll.
Bis der Vorstoss von Désirée Stutz mit den Fragen zum Fall beantwortet ist, dürfte es wohl noch länger dauern. Sie kritisiert darin, weder die Oberstaatsanwaltschaft noch der Regierungsrat hätten sich während des laufenden Verfahrens schützend vor Burger gestellt. Zudem sei man «offensichtlich nicht interessiert an einer Aufarbeitung». Die Mitarbeitenden der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm wandten sich mit ihrer Kritik Anfang März an die Oberstaatsanwaltschaft.
Offenbar hat sich die Stimmung unter dem Personal der Strafverfolgungsbehörde innerhalb von zwei Jahren massiv verschlechtert. Bei einer Mitarbeiterbefragung im Jahr 2018 lagen die Werte, wenn es um das Verhältnis des Teams mit dem Vorgesetzten Burger ging, noch fast durchgehend im grünen Bereich. Zofingen-Kulm lag in diesen Kategorien im Vergleich der sechs regionalen Staatsanwaltschaften, der kantonalen Staatsanwaltschaft und der Oberstaatsanwaltschaft auf Platz 2, wie eine Auswertung zeigt, welcher der AZ vorliegt.
Der jetzt kritisierte Staatsanwalt reichte Mitte März seinerseits einen brisanten Bericht beim Justizdirektor ein. Darin kritisierte er eine Praxis der Polizei bei Personenkontrollen als rechtswidrig. Burger ist bekannt dafür, dass er auf die Strafprozessordnung pocht und der Polizei auf die Finger klopft, wenn sie diese verletzt. Dies könnte die Kritik erklären, dass er bei der Polizei «verhasst» sei.
Eine konfliktträchtige Rolle spielt im Fall Burger offenbar auch Staatsanwältin Christina Zumsteg, die nach ihrer erfolglosen Klage gegen Barbara Loppacher nach Zofingen versetzt wurde. Zumsteg hat das Protestschreiben der Mitarbeiter nach eigenen Angaben zwar nicht initiiert, aber unterschrieben. Vor einem Monat zeigte sich vor Bezirksgericht Kulm, dass Zumsteg die Akten zu einem tödlichen Unfall in Gontenschwil zwei Jahre lang liegen gelassen hatte. Aus Justizkreisen ist zu hören, dass Simon Burger die Staatsanwältin aufgrund dieser Verzögerung bei der Fallführung rügte.
Bisher ist der Protestbrief der Mitarbeiter gegen Burger nicht öffentlich, ihre genauen Vorwürfe sind deshalb unbekannt. Offen ist auch, wie Ulrich Weder die Kritik in seiner Untersuchung würdigt und welche Empfehlungen er abgibt. Klar scheint aber: Sollte gegen Burger ein Disziplinarverfahren eröffnet werden, dürfte dieser kaum auf seinem Posten bleiben.