Wahlkampf
Unruhe bei den Grünen: Irène Kälin statt Geri Müller nach Bern?

Der Badener Stadtammann Geri Müller lässt offen, ob er auch Nationalrat bleiben will. Das sorgt bei den Grünen für Irritation. Bewegung kommt in die Frage der Ständeratskandidatur.

Urs Moser
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Irène Kälin und Geri Müller.

Irène Kälin und Geri Müller.

Keystone/Alex Spichale

Als die Welt noch in Ordnung war, stand für Nationalrat Geri Müller schon im Februar fest: «Ich trete wieder an. Die anfänglichen Friktionen zwischen Stadtammann- und Nationalrats-Terminplan sind behoben, das läuft jetzt problemlos.»

Als er das selbstbewusst erklärte, gab es noch kein «Gerigate». Dass die Partei mit ihrem besten Pferd im Stall eine harte Auseinandersetzung über Ämterkumulationen führen würde, war kaum zu befürchten, obwohl sie den Grünen höchst suspekt sind. Zumindest lag das noch in weiter Ferne.

Das ist jetzt anders. Auf jeden Fall werde er über die Bücher gehen und evaluieren, in welchem Verhältnis der Vorteil des Auftritts in Bern als Stadtammann und der Aufwand für das Nationalratsmandat zueinanderstehen, sagte Geri Müller am Freitag.

Dass er sich überlegen muss, ob er gleichzeitig den mit dem abgeschlossenen Mediationsverfahren keineswegs ausgestandenen Kampf um seine Stellung als Stadtammann in Baden führen und noch einmal in die Nationalratswahlen steigen kann, ist offensichtlich.

Es klingt aber auch nicht so, als ob der Entscheid für ihn bereits gefallen sei. Beide Ämter weiterzuführen, ist für Geri Müller offenbar nach wie vor zumindest eine Option.

Und das führt zu Unruhe bei den Grünen. Wäre das Verfahren in Baden immer noch in der Schwebe gewesen, hätte man auch dieses Wochenende im luftleeren Raum diskutiert, wo die Grünen an einem Strategieseminar zur Vorbereitung der National- und Ständeratswahlen in Klausur sind.

Man hat sich immer so weit stützend hinter seinen Nationalrat gestellt, dass die Nacktselfie-Affäre an sich doch eher ein Medienhype und kein Grund sei, von Müller den Rücktritt als Nationalrat zu fordern.

Darum hätte das wohl auch heute niemand gewagt. Da Müller aber nun just am Tag vor dem Parteiseminar klarmachte, dass er den Kampf in Baden durchziehen will, wäre es natürlich schon hilfreich gewesen zu wissen, wie er selber sich seine weitere politische Zukunft vorstellt.

Es wäre unfair, von Geri Müller jetzt sofort eine Entscheidung einzufordern, sagte Parteipräsident Jonas Fricker vor Beginn des Parteiseminars zur «Schweiz am Sonntag».

Aber er räumt ein: Im Wissen, dass Geri Müller Stadtammann bleibt – was ihn freue – akzentuiere sich nun natürlich die Frage des Doppelmandats. «Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Grünen dazu grosse Vorbehalte haben», so Fricker.

Bisher kam man um diese Diskussion herum. Man kann auch sagen, die Grünen hätten sich bei Geri Müllers Wahl zum Stadtammann darum gedrückt.

Jetzt aber ist ein klares Votum fällig. Denn: Sollte Geri Müller tatsächlich nicht bloss nicht vorzeitig als Nationalrat abtreten, sondern sich tatsächlich für eine weitere Amtsperiode aufstellen lassen wollen, müssten sich die Grünen erstmals offen zu einer eher verpönten Ämterkumulation eines der Ihren bekennen. Oder den Bruch mit dem eigenen Nationalrat herbeiführen. Beides ist mehr als heikel.

Der Druck auf Müller ist nicht nur in Baden nach wie vor hoch, er steigt jetzt auch in der Kantonalpartei im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen nächstes Jahr.

Schon gleich als die Nacktselfie-Geschichte öffentlich wurde waren namhafte Exponentinnen wie die frühere Parteipräsidentin Gertrud Häseli oder Grossrätin Patricia Schreiber zur Stelle, um sie wohl in ihrer staatspolitischen Bedeutung zu relativieren, aber flugs als Zeichen dafür zu deuten, dass einem unter der Doppelbelastung von zwei so wichtigen Ämtern die Kontrolle über die persönlichen Angelegenheiten entgleiten kann.

Schon das war eine mehr schlecht als recht kaschierte Aufforderung, nach drei Amtsperioden in Bern den Weg für eine neue Kraft freizumachen. Patricia Schreiber entlastete sich dabei sofort vom Verdacht, dass es ihr um das eigene Interesse gehen könnte, noch vor den nächsten Wahlen auf Müllers Nationalratssitz nachzurutschen: «Kein Thema», sie habe mit der politischen Laufbahn abgeschlossen.

Nun kommen aber allmählich auch jene aus der Deckung, für die das keineswegs gilt. In den vergangenen Wahlen war es so gut wie selbstverständlich, dass der amtierende Nationalrat Müller auch für die Ständeratskandidatur der Grünen gesetzt war, um den Wahlkampf anzuheizen.

Jetzt meldet die neben Parteipräsident Fricker aktuell wohl grösste Zukunftshoffnung der Partei offen Ambitionen an. «Es würde mir Spass machen, in den Ständeratswahlkampf zu steigen», sagt Irène Kälin, Co-Präsidentin der Grossratsfraktion.

Zumindest das sei für Geri Müller ja wohl kaum eine Option, wenn man schon davon spreche, dass einer als hauptamtlicher Stadtammann und Nationalrat ans Limit der Kräfte kommt.

Das ist zwar noch kein offenes Misstrauensvotum in Bezug auf eine mögliche, erneute Nationalratskandidatur Müllers, aber doch ein überdeutlicher Wink mit dem Zaunpfahl.

Möglichst «zeitnah» sollte sich Geri Müller nun zu seinen eigenen Plänen äussern, findet Kälin.

Auch wenn die Nacktselfie-Affäre an sich vielleicht läppisch sei: Sie ist nun mal da und die Partei müsste sich überlegen können, wie man gegebenenfalls einen Wahlkampf führen könnte, ohne ständig daran erinnert zu werden.