Im Aargau wird am 15. Mai über drei nationale und zwei kantonale Abstimmungsvorlagen abstimmen. In dieser Übersicht lesen Sie, worum es bei den jeweiligen Vorlagen geht und wie Befürworter und Gegner argumentieren.
Das Schweizer Stimmvolk muss am 15. Mai entscheiden, ob Streamingdienste wie zum Beispiel Netflix einen Beitrag wie Schweizer Fernsehsender zahlen müssen, um Schweizer Filmschaffende zu unterstützen. Zudem soll entschieden werden, ob die Widerspruchslösung bei Organtransplantationen zur Anwendung kommt und ob die Schweiz die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) finanziell stärker unterstützen soll.
Im Aargau kommen mit der Amtsenthebungsinitiative und der Steuergesetzrevision zwei kantonale Abstimmungsvorlagen dazu.
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Behördenmitglieder werden im Kanton Aargau für eine vorgängig bestimmte Dauer gewählt. Ein einmal gewähltes Mitglied einer Behörde kann während der Amtsdauer grundsätzlich nicht seines Amtes enthoben werden. Verletzt ein Behördenmitglied die Pflichten seines Amtes in schwerwiegender Weise, so hat dies kaum Konsequenzen.
Ein mögliches Fehlverhalten kann erst mit Ablauf der Amtsdauer sanktioniert werden, indem keine Wiederwahl erfolgt. Ein fehlbares Behördenmitglied, welches die Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt hat, bleibt damit so lange im Amt, bis es entweder freiwillig zurücktritt oder nicht mehr wiedergewählt wird.
Die Initiative verlangt, dass auf kantonaler Ebene für Mitglieder von Behörden eine gesetzliche Regelung für eine Amtsenthebung und eine Amtseinstellung geschaffen wird. Der Regierungsrat und der Grosse Rat empfehlen ein Ja zu dieser Vorlage.
Situationen, in welchen es zu grobem Fehlverhalten von Amtsträgerinnen und Amtsträgern kommt, seien zwar selten, sie könne aber das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit von Parlament und Regierung erschüttern. Solchen Fällen könne in Zukunft mit einem Verfahren auf Amtsenthebung oder Amtseinstellung begegnet werden.
Bereits heute besteht im Bereich der Gerichte und auf kommunaler Ebene die Möglichkeit von Amtsenthebungen. Mit der Initiative werde diese Regelungen sinnvoll ergänzt, die dann auch auf Parlamente sowie auf den Regierungsrat und damit auf alle Staatsebenen anwendbar sein könnten.
Es handle sich um eine überflüssige Initiative, die ausschliesslich politisch motiviert und nicht sachlich begründet sei. Die Nichtwiederwahl durch das Volk und die bereits bestehenden Möglichkeiten der Amtsenthebung von kommunalen Behörden und für Mitglieder von Gerichten reiche aus. Der Souverän solle an der Wahlurne das letzte Wort haben.
Die Bürgerlich Demokratische Partei (BDP), die inzwischen mit der CVP zu Die Mitte fusioniert ist, hat die Initiative lanciert. Der Regierungsrat stimmt zu, der Grosse Rat befürwortete sie mit 95 Ja- zu 30 Nein-Stimmen. Gegenstimmen kamen vor allem von der FDP - die Freisinnigen sind denn auch die einzige Partei mit beschlossener Nein-Parole.
Mit der Gesetzesänderung sollen laut dem Kanton die natürlichen Personen steuerlich entlastet werden, indem der Pauschalabzug für Versicherungsprämien und Sparkapitalzinsen erhöht wird.
Zudem sollen die Gewinnsteuern von ertragsstarken Unternehmen reduziert werden. Firmen mit einem Jahresgewinn von mehr als 250’000 Franken sollen statt 18,6 Prozent Gewinnsteuer nur noch 15,1 Prozent zahlen müssen.
Damit die Mindereinnahmen für den Kanton und die Gemeinden verkraftbar bleiben, werden die Gewinnsteuern ab 2022 in drei Etappen reduziert und die Gemeinden über einen Zeitraum von vier Jahren durch den Kanton teilweise für ihre Steuerausfälle entschädigt.
Die Steuergesetzrevision entlaste die natürlichen und die juristischen Personen. Die Erhöhung des Pauschalabzugs für Versicherungsprämien trage den gestiegenen Krankenkassenprämien Rechnung. Mit der steuerlichen Entlastung der Unternehmen verbessere der Kanton Aargau seine Wettbewerbsfähigkeit und bleibe ein attraktiver Wirtschaftsstandort.
Die SVP gab bekannt, man werde die Steuervorlage einstimmig unterstützen. Sie sei ausgewogen und die Erhöhung des Versicherungsabzugs sei dringend nötig. Bei den Gewinnsteuern sei der Aargau auf den drittletzten Platz zurückgefallen. Er dürfe nicht weiter ins Hintertreffen geraten.
Von der Steuergesetzrevision profitieren laut Angaben des Kantons aufgrund der Erhöhung des Pauschalabzugs für Versicherungsprämien und Sparkapitalzinsen alle steuerpflichtigen Personen im Aargau.
Die Gegner der Steuergesetzrevision fordern, dass Steuerentlastungen gezielter auf tiefe und mittlere Einkommen ausgerichtet werden müssten. Zudem sei die Steuerentlastung für Unternehmen nicht angebracht, da insbesondere Unternehmen mit einem Gewinn von über 250’000 Franken einen grösseren Beitrag an die Finanzierung der staatlichen Aufgaben zu leisten hätten.
Die prognostizierte Einnahmeentwicklung werde als zu optimistisch betrachtet und die resultierenden steuerlichen Verluste für die öffentliche Hand werden als nicht tragbar eingeschätzt. Es wird befürchtet, dass die Gemeinden die Ausfälle mit Steuerfusserhöhungen ausgleichen müssten.
Grossrätin Mirjam Kosch (Grüne) sagte, dass einerseits nur Gutverdienende von der Erhöhung des Pauschalabzuges und andererseits nur fünf Prozent der ohnehin schon erfolgreichsten Grossunternehmen von der Reduktion des Unternehmenssteuertarifs profitieren würden. Die grossen Verlierer seien hingegen die Aargauer Bürgerinnen- und Bürger und die Gemeinden. Die KMU würden leer ausgehen.
SP, EVP und Grüne befürchten, dass die Rechnung des Kantons Aargau nicht aufgeht und die erhofften neuen Steuererträge nicht oder viel zu wenig eintreffen. So müssten in Zukunft Leistungen gesenkt oder die Menschen mehr Steuern zahlen müssen, um dies auszugleichen.
Ja sagen SVP, FDP, Die Mitte, GLP, EDU, Handelskammer, Gewerbeverband, Vorstand Gemeindeammännervereinigung, Bauernverband, Junge SVP, Junge FDP, Junge Mitte.
Nein sagen SP, Grüne, EVP, Arbeit Aargau, Juso, Junge Grüne, VCS, Unia, alv, vpod, syndicom, SEV.
Um Schweizer Filmschaffende zu unterstützen, investieren inländische Fernsehsender jährlich vier Prozent ihres Umsatzes. Streamingdienste wie Netflix erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit, zahlen aber keine Beiträge an die Schweizer Filmindustrie. Das soll nun geändert werden.
Streamingdienste sollen künftig ebenfalls vier Prozent ihres Umsatzes in Schweizer Filmschaffende stecken. «Sie können sich entweder direkt an Schweizer Film- und Serienproduktionen beteiligen oder eine Ersatzabgabe entrichten, die der Schweizer Filmförderung zugutekommt», heisst es auf der Website des Bundes. Zudem soll das Angebot der Streamingdienste zu 30 Prozent aus europäischen Produktionen bestehen.
Die Änderung des Gesetzes schliesse eine Lücke, die mit dem digitalen Wandel entstanden sei. Sie stärke Schweizer Filmschaffende und trage zur kulturellen Vielfalt des digitalen Angebots bei.
Internationale Streaming-Plattformen und Fernsehsender würden heute in der «kaufkräftigen Schweiz» viel Geld verdienen, betonten die Vertreter des überparteilichen Komitees «Ja zum Filmgesetz». Heute flössen die Einnahmen ins Ausland. Aus Sicht der breiten Allianz aus SP, Grüne, EVP, GLP, Mitte und FDP ist es nicht fair, dass Streamingdienste keine Abgaben zahlen müssen – zumal die Schweizer Anbieter im Fernsehmarkt dazu längst verpflichtet sind.
Es sei unfair, dass Streamingdienste dazu gezwungen werden, 30 Prozent europäische Filme zu zeigen. Eine Folge der Abgabe wären weitere Kostensteigerungen der Abonnements.
Matthias Müller, Präsident des Referendumskomitees, sprach von einem «Frontalangriff» auf das Portemonnaie der Kundinnen und Kunden von Streaming-Portalen: «Zudem fällt die Freiheit von uns Konsumenten, zu schauen, was uns gefällt, ohne Not einer willkürlichen und ungerechten EU-Filmquote zum Opfer.»
Eine Organtransplantation ist heute nur möglich, wenn die verstorbene Person dieser zu Lebzeiten zugestimmt hat. Falls die Person sich nicht entschieden hat, müssen es die Hinterbliebenen machen. Meistens sprechen sie sich gegen eine Spende aus.
Am 15. Mai sollen Schweizerinnen und Schweizer entscheiden, ob sich Personen, die ihre Organe nach ihrem Tod nicht spenden wollen, zu Lebzeiten dafür entscheiden müssen (Widerspruchslösung). Das soll für alle Personen ab 16 Jahren gelten. In den meisten europäischen Ländern gilt bereits jetzt die Widerspruchslösung. Sprechen sich die Betroffenen nicht dagegen aus, wird davon ausgegangen, dass sie ihre Organe spenden wollten. Angehörige können eine Organspende ablehnen, wenn sie wissen, dass sich die verstorbene Person explizit dagegen entschieden hat.
Es sei wichtig, dass Personen, die Organe spenden können und möchten, dies auch tun. Das neue Vorgehen sichere den Einbezug der Angehörigen und entlaste sie in schwierigen Situationen.
Mit dem Wechsel zur Widerspruchslösung soll die Gesundheit jener Menschen verbessert werden, die auf ein gespendetes Organ angewiesen sind. Die Organspende bleibe auch in Zukunft freiwillig, niemand müsse gegen seinen Willen Organe spenden.
Es gebe immer Personen, die nicht wissen, dass sie sich gegen eine Organspende aussprechen müssen. So würden Menschen nach ihrem Tod gegen ihren Willen Organe entnommen. Das verletze das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. Die Widerspruchslösung sei «ethisch fragwürdig» – zu schweigen bedeute nicht Zustimmung.
Zudem sei es unmöglich, dass alle über 16-jährigen Schweizerinnen und Schweizer über die Widerspruchslösung informiert werden können.
Die Schweiz gehört, wie die grosse Mehrheit West-, Mittel- und Südeuropas zum Schengen-Sicherheitsverbund. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) unterstützt diese Staaten bei der Kontrolle der Grenzen. Seit über zehn Jahren arbeitet die Schweiz mit Frontex zusammen.
Die EU baut Frontex seit 2019 aus, die Schweiz soll einen Anteil daran übernehmen. Künftig soll sie statt 14 Millionen Franken jährlich neu 61 Millionen an die EU-Grenzschutzagentur Frontex überweisen. Damit soll Frontex beim Personal aufstocken, neue Aufgaben im Bereich der Rückkehr ausreisepflichtiger Personen erhalten und die unabhängige Stelle für Grundrechte wird aufgestockt.
Frontex sei wichtig für die «Kontrolle der Schengenaussengrenzen und die Sicherheit im Schengenraum». Das liege auch im Interesse der Schweiz. Bei einem Nein riskiere die Schweiz den Ausschluss aus dem Schengenabkommen.
Bei Schengen-Dublin sei keine Rosinenpickerei möglich, sagte GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser. «Wir können nicht einfach sagen, die Reisefreiheit nehmen wir gerne, weil das in unserem wirtschaftspolitischen Interesse ist, aber an der Grenzsicherung wollen wir uns nicht beteiligen.»
Der Krieg in der Ukraine zeigt laut Ida Glanzmann-Hunkeler, Mitte-Nationalrätin, dass ein Ausbau von Frontex vonnöten sei. «Gerade in einer Krise ist es zentral, dass der Grenzschutz funktioniert und sichergestellt ist». Zudem werden damit Flüchtende vor Missbrauch und Kriminalität geschützt.
Gewalt, Elend und Tod an den Aussengrenzen Europas: Dafür soll Frontex mitverantwortlich sein. Ein Frontex-Ausbau müsse von denen gestoppt werden, die es ernst meinen mit dem Schutz für Flüchtende.
«Frontex mehr Geld zu geben heisst, dass es mehr Gewalt an der Grenze gibt,» sagte Saeed Farkhondeh vom Migrant Solidarity Network. «Frontex steht für die Politik der Europäischen Union», sagte der römisch-katholische Priester Mussie Zerai. Diese schotte sich ab und überlasse Flüchtlinge einer Zukunft aus Leid, Folter und Tod. «Die Zurückbehaltung der Mittel von Frontex kann ein erster wichtiger Schritt sein, um die EU zu einer radikalen Änderung zu drängen», sagte er.