Verhandlungsabbruch
Erleichterung hier, Enttäuschung dort: Das sagen Aargauer Politiker zum Rahmenabkommen-Aus

Die Schweiz wurde vom bundesrätlichen Verhandlungsabbruch zum Rahmenabkommen mit der EU überrascht. Wir sprachen mit je einem Vertreter des Lagers, das über den Abbruch erleichtert ist und jenes Lagers, das darüber enttäuscht ist.

Mathias Küng
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Hans-Jörg Bertschi.

Hans-Jörg Bertschi.

Britta Gut

«Ich bin überzeugt, dass der Bundesrat damit in einer nicht einfachen Situation den bestmöglichen Entscheid getroffen hat», sagt der international tätige Aargauer Transportunternehmer Hans-Jörg Bertschi. Er hatte sich schon ab Februar 2020 mit weiteren namhaften Wirtschaftsvertretern für Nachverhandlungen zum Abkommen starkgemacht und die Bewegung autonomiesuisse ins Leben gerufen. Denn so könne man es nicht annehmen. Nachdem die EU im Herbst 2019 einseitig sagte, es sei fertig verhandelt, und sich seither nichts mehr bewegte, ist der Abbruch der Verhandlungen für ihn folgerichtig, auch aus Sicht seines Familienunternehmens.

Bertschi: übernehmen so auch keine Überregulierung

Aber birgt das nicht schwer kalkulierbare Risiken für die Schweiz? Kurzfristige Nachteile seien denkbar, räumt Bertschi ein, «ihnen stehen aber langfristige Vorteile gegenüber. Dazu zählt etwa, dass wir die mit dem Abkommen verbundenen neuen Pflichten und Überregulierungen nicht übernehmen müssen. Wegen dieser Überregulierungen kommt die EU in vielen Bereichen ja nicht mehr voran».

Bertschi rechnet nicht damit, dass es in den nächsten paar Jahren ein neues grösseres Abkommen gibt, ausser die EU wäre selbst interessiert. Aber das Stromabkommen ist jetzt auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben? Da sieht Bertschi nicht so schwarz. Die EU habe ein grosses Interesse am Stromaustausch mit der Schweiz. So fliesse sehr viel französischer Strom über Schweizer Netze nach Deutschland und Italien, weil die dortigen Netze zu schwach sind: «Wir müssen längerfristig ohnehin selbst für unsere Stromversorgungssicherheit schauen, weil der Strom längerfristig in Europa knapp wird.»

Wie geht es weiter? Man müsse im Gespräch bleiben, den Kontakt mit der EU suchen, «auch wenn die als äusserst verlässlich geltende Schweiz aus ihrer Sicht jetzt einen kleinen Tolggen im Reinheft hat». Eine Neuauflage eines institutionellen Rahmenabkommens komme «nicht in Frage, unser Weg ist der bilaterale Weg», so Bertschi.

Wermuth: Schweiz muss Kohäsionstheater beenden

Cedric Wermuth.

Cedric Wermuth.

Keystone

Andere Akzente als Hans-Jörg Bertschi setzt der Aargauer Nationalrat und Co-Präsident der SP Schweiz, Cédric Wermuth. Er stellt fest: «Am Ende ist es enttäuschend, mit nichts dazustehen. Aber die Diskussion über gestern ist müssig. Wir müssen nun diese Situation als Chance für einen Neuanfang nutzen.» Der Ball liege bei der Schweiz: «Sie muss zeigen, dass ihr etwas an guten Beziehungen liegt, und endlich mit dem Theater bei den Kohäsionsgeldern aufhören. Die Milliarde, die wir zahlen, ist ein Dumpingpreis für die Teilnahme am Binnenmarkt. Ich erwarte, dass wir den Betrag substanziell erhöhen.»

Wermuth bedauert, dass der Vorschlag, die Schweiz solle bei der Unionsbürgerricht­linie auf die EU zugehen, diese der Schweiz dafür beim Lohnschutz entgegenkommen, nicht aufgenommen wurde. Auch könne man der EU im Steuerbereich entgegenkommen. Sinn machen würde auch ein Gesundheitsabkommen, so Wermuth weiter. Ganz wichtig sei, beim Programm Horizon (Bildung und Forschung) voll dabeizubleiben: «Beide Seiten dürfen jetzt nicht auf einer Täubeli-Position bleiben und sich gegenseitig in eine Abwärtsspirale ziehen.»

Aber haben die Gewerkschaften mit ihrer unverrückbaren Position beim Lohnschutz nicht namhaft zum Ende des Abkommens beigetragen? Der Lohnschutz sei unverhandelbar, entgegnet Wermuth. Er hält aber auch nichts von «Weltuntergangsszenarien». Klar ist für ihn, «dass die EU nun zu Recht aus der Schweiz ein Signal für Zusammenarbeit erwartet».