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Kanton Aargau
Ein Bub verunglückt auf der Schulreise tödlich. Dessen Bez-Lehrer seien nicht mitschuldig, sagt das Bezirksgericht Laufenburg.
Am Donnerstagnachmittag wurde es eng im barocken Laufenburger Gerichtssaal: Über 20 Zuschauer und ein halbes Dutzend Medienschaffende kamen und trugen selber zusätzliche Stühle hinein. Grund für das grosse Interesse: ein tödlicher Unfall. Dieser hatte sich vor viereinhalb Jahren beim Grillplatz Kreuzkopf nahe des beliebten Ausflugsziels Cheisacherturm auf Sulzer Gemeindegebiet im Fricktal ereignet.
Auf einem Schulausflug am sogenannten Heimattag wollte ein 12-jähriger Schüler mit einem Kollegen einen Abhang neben dem Grillplatz erkunden. Als sich sein Kamerad kurz entfernte, stürzte der Bub ab. Mit der Rega wurde er ins Spital geflogen, wo er eine Woche später seinen schweren Verletzungen erlag (die AZ berichtete).
Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren gegen den verantwortlichen Klassenlehrer (53) sowie den Hauptorganisator des Heimattages (60) ein – stellte dieses später aber wieder ein. Erst nach Rekurs der Eltern wies das Obergericht das Bezirksgericht an, den gestrigen Prozess anzusetzen. Der Verteidiger des Klassenlehrers erklärte, es sei seit dem Unfall viel Zeit vergangen. Die Beschuldigten erinnerten sich nicht mehr an Einzelheiten. «Jede Aussage könnte falsch ausgelegt werden. Deshalb werden sie vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.» Der Staatsanwalt, der in seiner Anklage bedingte Geldstrafen und Bussen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gefordert hatte, nahm dies verständnisvoll zur Kenntnis: «Das ist ihr gutes Recht», stellte er fest. Nicht einverstanden war der Anwalt der Familie des Buben, der für die Angehörigen Entschädigung und Genugtuung forderte: «Es gäbe viele Fragen, aber das prallt jetzt alles ab. Natürlich ist es ihr gutes Recht, nicht auszusagen, aber man denkt sich einiges dabei.»
Der Staatsanwalt, der den Lehrern in der Anklageschrift «fahrlässiges Verhalten» vorgeworfen hatte, wollte davon nichts mehr wissen. Die Lehrer hätten alle Regeln und Weisungen befolgt, den Grillplatz zweifach rekognosziert, den Förster gebeten, Holz zum Einfeuern bereitzustellen, damit die Schüler nicht im Gelände suchen mussten, sowie Beobachtungsposten während der Rast platziert.
Wäre die Abwesenheit der kletternden Buben rechtzeitig bemerkt worden, hätte man den Tod vielleicht verhindern können – doch daraus dürfe man nicht ableiten, dass die Lehrer schuld seien, weil sie es nicht bemerkt hatten. Wie die Befragung der Buben ergab, hatten sie vor dem Einsteigen in den Abhang Steine heruntergeworfen, um herauszufinden, wie weit es hinuntergeht. Die Steine seien nach 10 oder 15 Sekunden immer noch am Rollen gewesen, da hatten sie zueinander gesagt: «Hey, wenn mer da abegheit, esch mer tot.» Als zwei Schüler ihre Gspänli davon abhalten wollten, den Abhang zu erkunden, hätten sie gewarnt: «Gönd nöd!» So kam der Staatsanwalt – von Amtes wegen der Ankläger – letztlich zu seinem überraschenden Fazit: «Die Beschuldigten sind von Schuld und Strafe freizusprechen.»
Nach diesem Rückzug hatte der Opfervertreter einen schweren Stand. Es sei «schon sehr schwach», dass die Lehrer nicht hinstünden und bereit seien, bei der Wahrheitsfindung mitzuhelfen. Es gehe ihm nicht darum, einen ganzen Berufsstand an den Pranger zu stellen.
Die einzig relevante Frage laute: «Hätten sie wissen müssen, dass das Gelände so steil ist und Vorsichtsmassnahmen treffen sollen?» Ja, befindet der Opferanwalt, und das sei klarerweise strafbar. Die Staatsanwaltschaft sei zweimal der Versuchung erlegen, die Schuld den Buben zuzuschieben: «Das darf man nicht. Sie haben sich leider nur völlig alterstypisch verhalten.»
Die Lehrer-Verteidiger sagten, ihre Mandanten litten bis heute unter dem Todesfall. Es liege aber keine Verletzung der Sorgfaltspflicht vor, beide seien freizusprechen. Schliesslich meldeten sich die Lehrer doch noch zu Wort: mit dem ihnen zustehenden letzten vor der Urteilsberatung. «Das tragische Unglück hat uns alle erschüttert», sagte der Klassenlehrer. Seither schrecke er bei jedem Polizei- oder Ambulanzwagen auf. «Ich kann mir vorstellen, dass die Eltern gelitten haben.» Für ihn sei es ein Schock gewesen, zwei Jahre nach jenem Tag zu erfahren, dass er als Beschuldigter gelte. Der Organisator der Schulreise sagte, er bedaure es «auch nach viereinhalb Jahren noch wahnsinnig», dass der Schüler gestorben sei.
Nach einstündiger Beratung entschied das Gericht einstimmig: Die Lehrer werden von Schuld und Strafe freigesprochen, erhalten eine Genugtuung ausbezahlt. Gerichtspräsident Beat Ackle betonte, Verantwortung sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Auf einer Schulreise dürften sich Begleiter «nie, aber auch gar nie für eine Pause aus der Verantwortung zurückziehen». Die Frage, ob dies geschehen sei, sei aber nicht Gegenstand der Anklage, so sei es dem Gericht nicht möglich, darüber zu urteilen. Man habe darüber zu befinden gehabt, ob der Lehrer seine Sorgfaltspflicht in Bezug auf das Gefahrenbewusstsein verletzt habe, und das sei nicht der Fall: Man sei nicht der Meinung, dass ein Lehrer einen Rastplatz «quadratmetergenau auf Gefahren absuchen muss». Man müsse davon ausgehen, dass die Gefahr der steilen Böschung nicht erkennbar gewesen sei. Bei den Buben habe es sich um durchschnittliche Jugendliche gehandelt, die keine ständige Überwachung erforderten – man dürfe «keine unrealistischen Anforderungen» an die Lehrerschaft stellen.