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Kanton Aargau
Bei seiner Prüfungsfahrt letztes Jahr rammte ein Aargauer Fahrschüler eine Tempo-30-Tafel – nun wird der Fall zum Juristenfutter.
Muss ein Experte eingreifen, wenn ein Fahrschüler bei der Autoprüfung einen massiven Fehler macht? Und muss der Kanton, bei dem der Experte angestellt ist, den Schaden bezahlen, wenn es zu einem Unfall kommt? Mit diesen zwei Fragen befasste sich am Donnerstag das kantonale Verwaltungsgericht. Auslöser für den Prozess ist die Prüfungsfahrt von Akyol (Name geändert) im Sommer 2016. «Ich war nervös», sagte der heute 20-Jährige vor Gericht, «es war mein dritter Versuch, die Prüfung zu bestehen.»
Inzwischen hat er das «Billett», doch der Anlauf im letzten Jahr scheiterte klar. Akyol bog in Lenzburg in eine Nebenstrasse ein, auf der eine Tempo-30-Tafel stand. Er lenkte nach links, um diese Tafel zu umfahren und sah dann, dass ein Auto entgegenkam. 20 bis 30 Meter sei es noch entfernt gewesen, «es hätte nicht gereicht, um das Hindernis zu passieren», sagte Akyol. Deshalb lenkte er zurück nach rechts – und krachte gegen die Tafel.
«Es hätte locker gereicht, um vor dem entgegenkommenden Auto an der Tafel vorbeizufahren», sagte hingegen der Prüfungsexperte. Dieses sei noch nicht zu sehen gewesen, als Akyol nach links geschwenkt habe und sie rund 100 Meter entfernt gewesen. Das unerwartete Manöver des Prüflings, unvermittelt wieder nach rechts zu ziehen, habe ihn so überrascht, dass keine Zeit für eine Reaktion geblieben sei.
Noch einmal anders beschrieb ein Fahrlehrer-Praktikant, der während der Prüfungsfahrt hinten im Auto sass, die Situation. «Ich dachte noch, das ist ziemlich mutig, wie der Fahrschüler hier herausfährt.» Er selber hätte vor der 30er-Tafel gewartet, der entgegenkommende BMW sei schon zu sehen gewesen.
Dennoch hätte es für Akyol aus seiner Sicht gereicht, die 30er-Tafel zu umfahren, «der entgegenkommende Lenker hätte aber bremsen müssen.» Auf die Frage des Gerichts, wie er als Fahrlehrer in einer solchen Situation reagieren würde, sagte er: «Ich hätte vorher gebremst und den Fahrschüler gar nicht nach links schwenken lassen.»
Der Experte liess Akyol indes gewähren, so entstand ein Schaden von rund 2000 Franken an Auto und Tafel. Für Wilhelm Boner, den Anwalt der betroffenen Fahrschule, ist klar: Der Kanton muss dafür aufkommen. Das Gesetz verpflichte den Experten, der beim kantonalen Strassenverkehrsamt angestellt ist, eine gefahrlose Prüfungsfahrt zu gewährleisten. Er sei verantwortlich dafür, dass dabei die Verkehrsregeln eingehalten würden und hätte Akyol von vornherein am heiklen Manöver hindern müssen. Dem nervösen Prüfling sei kein Vorwurf zu machen.
Anja Kaufmann vom kantonalen Rechtsdienst, die den Experten vertrat, sah dies anders. Wenn ein Fahrschüler zur Prüfung antrete, müsse er in der Lage sein, das Auto zu beherrschen und sicher zu lenken. Zudem könne ein Experte nicht alles vorhersehen, es sei weder eine Unterlassung noch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht gegeben.
Gerichtspräsident Urs Michel unterbreitete den beiden Parteien am Ende einen Vergleichsvorschlag: Der Kanton sollte 800 Franken bezahlen, die Fahrschule den Rest des Schadens. Michel erklärte, der Experte hätte nach dem überraschenden Manöver von Akyol kaum noch eingreifen können. Und bei der Frage, ob er diesen am Umfahren der Tafel hätte hindern sollen, gebe es verschiedene Aussagen. Zu einer Einigung kam es aber nicht, die Fahrschule verlangt ein Urteil – dieses will das Verwaltungsgericht vor Ende Jahr fällen.