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Thomas Milic, Politologe am Zentrum für Demokratie Aarau, sieht im zweiten Wahlgang vom kommenden Sonntag durchaus Potenzial für Änderungen links und in der Mitte.
FDP-Kandidat Thierry Burkart wurde zugetraut, die Wahl im ersten Wahlgang zu schaffen. Warum hat es nicht gereicht?
Thomas Milic: Anders als Pascale Bruderer, die vor vier Jahren im ersten Wahlgang gewählt wurde, hatte Burkart keinen Bisherigen-Bonus. Dass es ein neuer Kandidat im ersten Wahlgang schafft, ist selten. Das war 2015 bei Philipp Müller auch nicht anders, er war als FDP-Schweiz-Präsident eher noch bekannter als Burkart und landete im ersten Wahlgang dennoch auf Platz 3. Zudem haben SVP und FDP an Wählerstärke verloren – vielleicht wäre Thierry Burkart mit den alten Wähleranteilen der zwei Parteien von 2015 jetzt schon gewählt.
Die Aargauer wählten primär nach Parteivorliebe – wie lässt sich das erklären? Die abtretenden Ständeräte Philipp Müller und Pascale Bruder sagten doch, in der Kleinen Kammer zähle weniger Parteizugehörigkeit als Persönlichkeit?
Das trifft für Bisherige zu, sie erzielen meist ein Ergebnis, das weit über die eigene Parteistärke hinausgeht. Bei neuen Kandidierenden, die noch weniger bekannt sind, orientiert sich die Wählerschaft primär an der politischen Ausrichtung. Bei zwei freien Sitzen war für viele klar, dass es einen zweiten Wahlgang geben würde, taktische Überlegungen spielten deshalb im ersten Wahlgang weniger eine Rolle.
Im ersten Wahlgang gab es zwei Blöcke: rechtsbürgerlich mit Thierry Burkart (FDP) und Hansjörg Knecht (SVP), sowie Links-Grün mit Cédric Wermuth (SP) und Ruth Müri (Grüne). Warum haben sich wenige für eine Mitte-Kombination wie Burkart und Marianne Binder (CVP) entschieden?
Bei der CVP-Wählerschaft ist diese Kombination relativ beliebt, darüber hinaus nicht. Dass die SVP-Wähler viel häufiger Burkart wählten, als Binder, hängt mit der rechtsbürgerlichen Ausrichtung des FDP-Kandidaten zusammen. Warum die freisinnige Wählerschaft nicht stärker Binder gewählt hat als Knecht, lässt sich mit unseren Daten indes nicht erklären. Vielleicht waren es taktische Überlegungen.
Nach dem 20. Oktober kam der Begriff der Frauenwahl auf, auch im Aargau wurden mehrere Frauen in den Nationalrat gewählt – bei den Ständeratswahlen spielte dieser Effekt offenbar keine grosse Rolle?
Wir haben diese Frage für Ruth Müri und für Cédric Wermuth untersucht. Bei ihm gab es Diskussionen, weil er als Mann die Kandidatur von Yvonne Feri verhinderte. Die Befragung zeigt, dass das Geschlecht der Kandidierenden kaum eine Rolle spielte. Gewählt wurden Müri und Wermuth von Grünen und der SP primär, weil sie die richtige Parteifarbe hatten. Grundsätzlich galt bei den Wahlen, dass Frauen eher SP und Grüne wählen, Männer hingegen tendenziell SVP und FDP bevorzugen.
Im zweiten Wahlgang verzichtet Cédric Wermuth, dafür tritt Ruth Müri mit Unterstützung der SP an. Müri erhielt im ersten Wahlgang weniger Stimmen von SP-Wählern als Wermuth von Grünen-Wählern – wie schätzen Sie die Chancen von Ruth Müri am Sonntag ein?
Wir haben eine Nachwahlbefragung durchgeführt, darum möchte ich keine Prognose für den zweiten Wahlgang abgeben. Aber es ist fast schon trivial, zu sagen, dass die SP-Wählerschaft stärker Ruth Müri wählen wird als im ersten Wahlgang, wenn Wermuth im zweiten Wahlgang nicht antritt. Allerdings sinkt die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang, das hat sich am Wochenende in Zürich klar gezeigt. Deshalb wird es entscheidend sein, wie gut die Parteien ihre Anhänger mobilisieren können.
Warum ist das so, schliesslich steht am Sonntag die Entscheidung an, der zweite Wahlgang ist wichtig?
Viele gehen primär wegen der Nationalratswahlen an die Urne, das ist der grosse Motor. Zudem stellt sich die Frage, was die Anhänger jener Parteien machen, die keine Kandidaten mehr im zweiten Wahlgang haben.
Eine davon ist die SP, die wohl auf Müri schwenken wird, die anderen sind die Mitteparteien wie EVP, BDP und GLP, auf deren Stimmen nun CVP-Kandidatin Marianne Binder hofft. Ist die Hoffnung berechtigt, obwohl Mitte-Wähler im ersten Wahlgang die Kandidaten von FDP und SVP bevorzugten?
Durchaus, denn dort ist für Marianne Binder Potenzial nach oben vorhanden und das Kandidatenfeld hat sich im Vergleich zum ersten Wahlgang in der Mitte zudem gelichtet. Die entscheidende Frage ist aber: Gehen diese Wähler auch dann an die Urne, wenn ihr Parteikandidat bzw. ihre Parteikandidatin nicht mehr antritt?
Im zweiten Wahlgang sind noch beide Sitze zu besetzen – gehen Sie davon aus, dass sich das Wahlverhalten der Aargauer ändert, oder wählen die Leute nochmals gleich?
Mit Cédric Wermuth ist ein prominenter Kandidat im zweiten Wahlgang nicht mehr dabei. Deshalb dürften sich im Mitte-Links-Lager durchaus Veränderungen beim Wahlverhalten ergeben. Bei den rechtsbürgerlichen Wählerinnen und Wählern ändert sich die Ausgangslage hingegen nicht, ihre beiden Favoriten treten nochmals an. Deshalb glaube ich nicht, dass es dramatische Veränderungen geben wird.