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Kanton Aargau
Genau um 24 Uhr am Freitag endet im Aargau die Notlage, die wegen Corona am 16. März verhängt wurde. Der Regierungsrat beurteilt sein eigenes Krisenmanagement positiv. Die AZ zeigt die Knackpunkte, die während der Pandemie in den Departementen auftauchten.
«Das wichtigste Ziel wurde erreicht», sagte Landammann Markus Dieth, als der gesamte Regierungsrat am Mittwoch vor den Medien ein Zwischenfazit zur Bewältigung der Coronakrise zog. «Eine Überlastung des Gesundheitssystems im Aargau konnte verhindert werden – dank Verständnis und Solidarität der Bevölkerung sowie sehr viel Einsatz aller Personen, die am Krisenmanagement beteiligt waren.»
Die Zahl der Neuansteckungen hat sich im Aargau auf tiefem Niveau stabilisiert. Dies deutet für Dieth darauf hin, dass der Kanton die Coronakrise «gut, unaufgeregt und besonnen gemeistert hat».
Deshalb könne der Regierungsrat guten Gewissens am Freitag um 24 Uhr die kantonale Notlage aufheben, sagte Dieth. Zugleich mahnte er: «Das Virus ist immer noch da, es ist sehr wichtig, die Hygiene- und Abstandsregeln weiterhin einzuhalten.» Auch im Aargau sei man «noch ein gutes Stück von der echten Normalität weg», bilanzierte Dieth. Dies zeigt sich in den Departementen aller fünf Regierungsräte.
Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati lobte Kantonsärztin Yvonne Hummel, die ihr Amt erst im Januar angetreten hatte und «einen starken Einstand» hingelegt habe. Derzeit ist Hummel mit der Verfolgung von Ansteckungen, dem sogenannten Contact-Tracing, beschäftigt. Infizierte müssen in Quarantäne, ihre engen Kontaktpersonen in Isolation. Doch das Contact-Tracing, für das im Aargau ein Zentrum aufgebaut wurde, hat Grenzen.
Bei zwei bis drei Kontaktpersonen, wie es derzeit der Fall ist, reichen die personellen Ressourcen für 70 bis 100 Infizierte. Steckt eine Person mehr Leute an, reduziert sich die Kapazität – «dann müssten wir mehr Mitarbeiter rekrutieren», sagt Hummel. Eine wichtige Rolle spielten in der Coronakrise die Spitäler, die sich phasenweise voll auf Covid-19-Patienten ausrichten mussten.
Dies führte zu Mehrausgaben, zum Beispiel für Beatmungsgeräte, und brachte Ertragsausfälle, weil Operationen ausfielen. 95 Millionen Franken fehlen den Spitälern laut Schätzung des Kantons insgesamt. Diesen Betrag sollen Bund, Kantone und Krankenkassen gemeinsam decken, fordert Gallati. Sollten im Aargau lokale Infektionsherde mit vielen Corona-Ansteckungen auftauchen, könnte die Kantonsärztin laut Gallati für diese Orte auch wieder spezifische Vorgaben zu Quarantäne oder Kontaktbeschränkungen erlassen.
Nach dem Lockdown mussten zahlreiche Unternehmen im Aargau schliessen, besonders hart betroffen waren Gastro- und Eventbranche. Der Kanton stellte in einem Hilfspaket mit mehreren Elementen insgesamt 150 Millionen Franken zur Verfügung.
Der Gewerbeverband kritisierte, dass Kredite und Darlehen wenig bringen würden und verlangte Hilfe à fonds perdu, also nicht rückzahlbare Beiträge. Nun zeigt sich: Das Volumen des Hilfspakets wird bei weitem nicht ausgeschöpft. 3,8 Millionen Franken an Sofortzahlungen und maximal 14,7 Millionen Franken an Krediten – insgesamt also 18,5 Millionen Franken – beansprucht die Wirtschaft bisher. Die Kurzarbeit – bisher sind 10782 Gesuche für 168474 Personen bewilligt – federt offenbar viel ab.
Finanzdirektor Markus Dieth sagt: «Die Bundeshilfen flossen rasch und unkompliziert, die ersten Lockerungen brachten Unternehmen wieder zum Laufen, deshalb haben sich die ersten Befürchtungen nicht bewahrheitet, dass Corona die Wirtschaft zum Zusammenbruch bringen würde.» Wenn jetzt noch Läden geschlossen wären, hätten Aargauer Unternehmer sicher stärker auf Staatshilfe zurückgreifen müssen.
Von zwei Seiten musste Bildungsdirektor Alex Hürzeler zuletzt Kritik einstecken. Lehrpersonen befürchteten vor der Rückkehr zum Präsenzunterricht im Klassenzimmer, dass Schulen zu Virenherden werden könnten. Und Kantonsschüler wehrten sich dagegen, dass sie die Maturprüfungen absolvieren mussten, obwohl sie zuvor wochenlang nur Fernunterricht hatten.
In beiden Fällen zieht Hürzeler im Rückblick eine positive Bilanz: Die Schutzkonzepte bei der Schulöffnung hätten eingehalten werden können, nur wenige Lehrpersonen und Schüler, die zur Risikogruppe mit Vorerkrankungen zählen, seien noch zu Hause. Zu einem Anstieg der Infektionszahlen sei es an den Schulen nicht gekommen, sagte Hürzeler. Und bei den Maturprüfungen hätten im Aargau noch nie so wenige Schüler gefehlt wie dieses Jahr.
Hürzeler möchte auch an Kantons- und Berufsschulen, also bei Schülern über 16 Jahren, nach den Sommerferien wieder mit Präsenzunterricht starten. Damit dies möglich wird, müsste der Bundesrat aber die 2-m-Abstandsregel aufheben, sagte der Bildungsdirektor. Dass in Sport und Kultur nach den Lockerungen wieder Trainings und Proben möglich seien, dass Sporthallen und Museen wieder offen sind, freut Hürzeler sehr. Allerdings seien die Besucherzahlen bei Kulturbetrieben niedrig – und die Finanzprobleme vorhanden: 7,9 Millionen Franken an Ausfallentschädigungen wurden bisher beantragt.
Durchzogen fällt die Bilanz von Bau- und Verkehrsdirektor Stephan Attiger aus. Positiv: Die kantonalen Strassenbauprojekte und Hochwasserschutzvorhaben konnten in der Krise vorangetrieben werden, Baustellen wurden nicht stillgelegt. «So konnten wir Planungsbüros und Baufirmen unterstützen, es wird kaum Mehrkosten geben», sagte Attiger. Homeoffice, die Schliessung vieler Freizeitangebote und der Aufruf des Bundes, zu Hause zu bleiben, führten aber zu massiv weniger Passagieren im öffentlichen Verkehr.
Den Transportunternehmen, neben den SBB im Aargau zum Beispiel der Regionalbus Lenzburg, die RVBW in Baden und Wettingen oder die Bahnen von Aargau Verkehr, fehlt ein zweistelliger Millionenbetrag. «Der Kanton bestellt die Leistungen des öffentlichen Verkehrs, wir werden diese Ausfälle ausgleichen müssen, weil die Einnahmen aus Billettverkäufen wegen Corona viel tiefer lagen», sagte Attiger.
Bei den interregionalen Verbindungen zahlt auch der Bund mit, daraus ergibt sich ein Kostenteiler – für den Kanton werden zwischen 30 und 40 Millionen fällig, der an die Transportunternehmen geht. Auch im nächsten Jahr dürften nochmals rund 10 bis 15 Millionen Franken fehlen.
Heftig kritisiert wurde ein Entscheid des Regierungsrats, wonach die Kantonspolizei in Echtzeit auf Videokameras im öffentlichen Raum zugreifen konnte. Innendirektor Urs Hofmann hielt fest, diese Kompetenz sei rein präventiv erteilt und letztlich nie genutzt worden.
«Es war nicht nötig, weil sich die Bevölkerung zum grössten Teil gut an die Abstandsregeln und das Versammlungsverbot gehalten hat.» Hofmann ist auch für die Gemeinden zuständig, diese hätten in der Krise gut funktioniert und wichtige Dienstleistungen für die Bürger erbracht. Mit Blick in die Zukunft sieht er sinkende Steuererträge und steigende Sozialkosten als grösste Probleme, die auf die Aargauer Gemeinden zukommen.
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