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Kanton Aargau
Tausende Aargauer warten auf ihre Prämienverbilligung – das sorgt für einen grossen Ansturm bei den Sozialen Diensten der Gemeinden und viel Ärger bei den Betroffenen.
Im Topf ist viel Geld. 308 Millionen Franken für das laufende Jahr allein im Aargau. Mehr als jede vierte Person im Kanton hatte bislang Anspruch auf Prämienverbilligung. Doch ein neues Gesetz erhöht die Schwelle und verzögert die Entscheide: Wie viele Personen dieses Jahr von der Unterstützung profitieren können, ist unklar. Die Sozialversicherung Aargau (SVA) liefert die Daten an die Krankenkassen, die ihrerseits den bezugsberechtigten Versicherten verbilligte Prämien verrechnen. Weil die Berechnungen noch nicht in allen Fällen erfolgt sind, erleben viele Aargauerinnen und Aargauer eine böse Überraschung – sie erhalten eine zu hohe Rechnung.
In Geduld üben muss sich auch ein Betroffener, der anonym bleiben will und seit Jahren Prämienverbilligung erhält. Im Oktober habe er sich erstmals bei der SVA erkundigt; er werde bald Bescheid erhalten, hiess es damals. Bei einer weiteren Nachfrage einige Zeit später beschied man ihm, bei der Berechnung sei etwas schiefgelaufen, er müsse sich bis Ende Jahr gedulden. Seither wartet er. Für ihn geht es um einen Zustupf, den er dringend braucht – «kein Pappenstiel», wie er sagt. «Ich finde es nicht in Ordnung, die Leute im Regen stehen zu lassen.» Bei seiner Wohngemeinde teilte man ihm mit, es seien etliche Beschwerden eingegangen.
Eine Umfrage bei Aargauer Gemeinden zeigt: Es handelt sich bei weitem nicht um einen Einzelfall; zahlreiche Aargauerinnen und Aargauer warten ebenfalls auf Bescheid und Geld. 80 bis 120 Personen fragten etwa bei der Stadt Brugg nach ihren Beiträgen. Das sei sehr zeitaufwendig und ärgerlich für alle Gemeinden, sagt Jürg Schönenberger, Leiter der Sozialen Dienste. Bis zu einem Dutzend an vereinzelten Tagen wurden in Wohlen gezählt. Täglich sah man sich in Aarburg mit einer Anfrage konfrontiert. Und auch in Rheinfelden meldeten sich regelmässig betroffene Einwohner bei der Verwaltung.
Davon will man bei der Sozialversicherung Aargau (SVA) nichts wissen. Sprecher Erich Wiederkehr sagt auf Anfrage: «Unser laufender Austausch mit den Gemeinden bestätigt dieses Bild nicht. Demgemäss kommt es zu Anfragen im üblichen Rahmen.» Die SVA bestätigt die Verzögerung und erklärt diese in erster Linie mit dem neuen, seit Juli 2016 geltenden Gesetz. Dieses ermöglicht es Antragstellenden, bis Ende Jahr ihre Unterlagen einzureichen. Früher lief die Frist bereits am 31. Mai ab. Ausserdem sei das neue Verfahren aufwendiger, da Veränderungen der Familien-, Einkommens- und Vermögenssituation laufend berücksichtigt werden müssten, sagt SVA-Sprecher Erich Wiederkehr. «Dies alles führt zu einem erhöhtem Verarbeitungs- und Beratungsaufwand.»
Bei der Frage, wie viele Personen von den Verzögerungen betroffen sind, hielt sich die SVA bislang bedeckt, doch nun nennt sie erstmals konkrete Zahlen. Demnach sind ab Mitte letzten Jahres rund 80 000 Anträge auf Prämienverbilligung eingegangen – über 4000 mehr als im Vorjahr. Wiederkehr: «Über 80 Prozent der Fälle wurden bis zum heutigen Tag entschieden.» Umgekehrt heisst das: Knapp 16 000 Anträge sind noch offen, Tausende Personen müssen auf einen Entscheid warten und sich weiter gedulden. Allerdings kündigt Erich Wiederkehr an, die Wartezeit werde nicht mehr allzu lange dauern: «Antragstellende mit einem vollständigen Antrag werden bis Ende Februar 2017 einen Entscheid erhalten.»
Auf baldigen Bescheid hofft auch der langjährige Bezüger von Prämienverbilligungen. Sollte er bis Ende März diese nicht erhalten, überlege er sich, einen Anwalt beizuziehen und juristisch vorzugehen – allenfalls auch gemeinsam mit anderen Betroffenen. Rechtliche Schritte von Betroffenen befürchtet man bei der SVA nicht. Der Grund: Das Gesetz nenne keine konkreten Fristen. «Es sagt lediglich aus, dass ein Entscheid innert angemessener Frist erfolgen muss und keine ungerechtfertigte Verzögerung erfolgen darf», sagt Wiederkehr. Und klar ist auch: Wer der Krankenkasse zu viel bezahlt, erhält bei künftigen Rechnungen einen entsprechend grösseren Abzug.