Masseneinwanderung
So kommt das «Ja» der Schweizer auf der anderen Seite des Rheins an

Einen Tag nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative sind auf der deutschen Seite des Rheins viele Fragen offen. Jenseits der Grenze ist eine Mischung aus Entsetzen über den Entscheid und Unsicherheit über die Auswirkungen spürbar.

Martin Schmidt, Waldshut
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Das Abstimmungsergebnis der Masseneinwanderungsinitiative sorgt bei den deutschen Nachbarn für Unsicherheit.

Das Abstimmungsergebnis der Masseneinwanderungsinitiative sorgt bei den deutschen Nachbarn für Unsicherheit.

Aargauer Zeitung

Der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher äusserte sich am Montagmorgen in einer Mitteilung: «Das ist keine gute Nachricht. Ich bedauere das - wenn auch knappe - Votum des Schweizer Volkes sehr.»

Seiner Meinung nach riskiert die Schweiz einen «handfesten Streit» mit der Europäischen Union, wenn sie mit der Personenfreizügigkeit an einem Grundpfeiler der europäischen Integration rüttelt. Bollacher geht davon aus, dass die EU keine Einschränkungen auf diesem Gebiet akzeptieren wird. Er sieht sogar die Kündigung der bilateralen Verträge als mögliche Konsequenz einer sich verschärfenden Krise.

«Das kann niemand wollen, die Schweizer nicht und die Menschen auf beiden Seiten des Hochrheins schon gar nicht.» Europa brauche die Schweiz und die Schweiz brauche Europa, findet Bollacher.

Die Bundesrepublik hält weiter an der Personenfreizügigkeit fest. Daher wünscht man sich auf der deutschen Seite des Rheins einen gemässigteren Kurs der Schweiz in Richtung Deutschland und der EU. «Ich bin deswegen zuversichtlich, dass der Schweizer Bundesrat einen Weg finden wird, den Auftrag des Volkes mit Augenmass zu würdigen. Ich wünsche unseren Nachbarn dabei die nötige Fortune», so Bollacher.

Da die politische Umsetzung des Volksentscheids noch nicht bekannt ist, gibt es auf der deutschen Seite des Hochrheins sehr viele offene Fragen über dessen Auswirkungen.

Unsicherheit bei Grenzgängern

Die an die Schweiz angrenzenden deutschen Landkreise hoffen, dass sich an den Regelungen für Grenzgänger nichts ändert. Sollte durch eine Neuregelung deutschen Arbeitnehmern die Auswanderung in die Schweiz erschwert werden, bestünde immer noch die Möglichkeit, aus der süddeutschen Region in die Schweiz zu pendeln. Dies würde allerdings die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Grenznähe verschärfen.

Ein Szenario, bei dem die Anzahl der Grenzgänger drastisch reduziert würde, mag sich im Landkreis Waldshut keiner vorstellen. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, dass rund 13 500 Menschen aus dem Kreisgebiet ihre Brötchen in der Schweiz verdienen. Da gerade im medizinischen Bereich viele Deutsche in der Schweiz arbeiten, stellt sich auf deutscher Seite mancher die Frage, wie die Eidgenossen mit einer Limitierung der Einwanderung ihr Gesundheitssystem aufrechterhalten möchten.

Fluglärm belastet Beziehungen

Das traditionell gute Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland in der Region ist in den letzten Jahren vor allem durch den Fluglärmstreit belastet worden. Säbelrasseln zwischen Bern und Berlin sowie den Kantonen und Landkreisen entlang des Rheins sorgten für ein eher kühles Klima. Auch prallen im Umgang mit deutschen Steuersündern, die ihr Geld in der Schweiz anlegen, seit längerem unterschiedliche Vorstellungen aufeinander.

In den nächsten Jahren wird die Suche nach einem Endlager für Atomabfälle, das sich höchstwahrscheinlich an der nördlichen Grenze der Schweiz finden wird, einen zivilisierten Dialog zwischen den Nachbarn erfordern. Streit und Wild-West-Diplomatie wäre sicher für keines der Länder eine praktikable Option für die Bewältigung der Aufgaben in der Zukunft.