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Die «Aargauer Zeitung» und das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) starten mit einer Neuheit: einem Abstimmungsquiz. Politikwissenschafter Thomas Milic vom ZDA erklärt, was sich die Abstimmungsforscher davon versprechen. Und Preise gibt es auch zu gewinnen.
Auf www.aargauerzeitung.ch haben wir ein Quiz zu den Abstimmungen vom 27. September lanciert. Die «Aargauer Zeitung» hat es gemeinsam mit dem Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) entwickelt. Was versprechen Sie sich davon?
Thomas Milic: Es geht nicht darum, mit dem Daumen nach oben oder nach unten zu zeigen. Es gibt kein verfassungsrechtliches Minimum an Wissen, das man haben muss, um an einer Abstimmung teilzunehmen. Niemand muss eine Art «Fahrprüfung» ablegen, um teilnahmeberechtigt zu sein.
Aber?
Die Akzeptanz eines demokratischen Volksentscheids steigt natürlich, wenn man weiss, dass er auf einer soliden Informationsbasis gefällt wurde. Uns interessiert nun vor allem, wie gut die Aargauer Stimmberechtigten über kantonale Vorlagen informiert sind. Stehen sie komplett im Schatten der nationalen Vorlagen oder ist das Vorlagenwissen mit dem bei den nationalen Sachfragen vergleichbar?
Sie wollen das wissenschaftlich auswerten. Wie viele Teilnehmende sind dafür nötig?
Es gibt keine mathematisch exakte Grenze, ab der Ergebnisse wissenschaftlich verlässlich werden. Klar ist: Je mehr, desto besser. Wir planen, die Ergebnisse des Quiz ohnehin noch mit den Ergebnissen unserer Nachbefragung zu vergleichen, um eine höhere Repräsentativität und Verlässlichkeit gewährleisten zu können.
Was wollen Sie herausfinden: Wie unterschiedlich der Wissensstand für jede einzelne der vielen Vorlagen ist?
Ja, das ist eines der Ziele. Wir wissen, dass es oftmals eine oder vielleicht zwei Vorlagen gibt, die die Stimmberechtigten motiviert teilzunehmen. Sobald sich die Stimmberechtigten einmal entschlossen haben, teilzunehmen, füllen sie alle Stimmzettel aus – auch jene zu Vorlagen, die sie kaum hinter den Ofen hervorgelockt hätten. Und uns interessiert nun, wie viel Stimmberechtigte über genau diese, im Schatten anderer spektakulärer Sachfragen stehenden Vorlagen wissen.
Wann darf man Ihre Ergebnisse erwarten?
Wissenschaftliche Studien brauchen Zeit. Wie gesagt, wir wollen die Ergebnisse des Quiz mit den Ergebnissen der ausführlicheren Nachbefragung, die am Montag nach der Abstimmung losgeht, verknüpfen. Deshalb ist mit den Ergebnissen frühestens vier bis fünf Wochen nach der Abstimmung zu rechnen. Aber: Die Quizteilnehmer erhalten sofort nach Beendigung des Quiz ein Feedback. Sie erfahren, wie gut sie abgeschnitten haben.
Sie versprechen, die Auswertung erfolge anonym. Kann man sich darauf verlassen?
Ausser jenen Informationen, die uns die Quizteilnehmer freiwillig geben, haben wir keine weiteren Angaben über sie. Nach Beendigung des Quiz folgen noch ein paar soziodemografische Fragen, die aber so allgemein sind, dass es unmöglich ist, auf eine spezifische Person zu schliessen.
Die Zeit für die Beantwortung der Fragen beim Quiz ist limitiert. Warum der Zeitdruck, da kann man ja nichts nachschlagen?
Die meisten Quiz-Apps und auch Quizspiele am Fernsehen haben eine Zeitbeschränkung. Aus gutem Grund: Man ist am «tatsächlichen», jederzeit abrufbaren Wissen interessiert und nicht an der Fähigkeit, eine Frage durch Nachschlagen im Lexikon oder im Internet zu beantworten. Wir möchten mit dem Quiz den realen Meinungsbildungsprozess so genau als möglich abbilden. Wenn also jemand vor dem Ausfüllen des Stimmzettels jeweils üblicherweise das Bundesbüchlein von A bis Z liest, dann soll sie oder er das auch vor dem Quiz tun. Aber wir sind nicht interessiert an einem «künstlichen» Abstimmungswissen, das man sich nur für dieses Quiz angeeignet hat, aber für den realen Entscheidfindungsprozess keine Rolle spielt.
Warum soll ich als Stimmberechtigter überhaupt so ein Abstimmungsquiz machen?
Man stellt sich so in den Dienst der Wissenschaft! Nein, Scherz beiseite: Ich hoffe, das Quiz macht auch ein wenig Spass, und vor allem erhalten die Quizteilnehmer am Ende ein Feedback. Man weiss dann, wie gut man im Vergleich zu anderen abgeschnitten hat. Wir alle sind ja ein Stück weit eitel und deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass ein ausgezeichnetes Testergebnis die eine oder den anderen mit einem gewissen Stolz erfüllen wird.
Einige Fragen sind recht schwierig. Steigen da nicht manche aus?
Das mag sein. Wir haben mit Absicht leichtere Einstiegsfragen und komplexere Folgefragen gestellt. Oftmals fragen wir im Übrigen nach der Herkunft einer Vorlage («Von wem stammt die Initiative?»). Diese Frage ist bei einigen der Vorlagen wohl ziemlich einfach zu beantworten. Die Forschung hat aber gezeigt, dass solche simplen Informationen häufig als mentale Entscheidungshilfen dienen und tatsächlich dazu führen, dass die Stimmenden am Ende einen durchaus korrekten Entscheid fällen, ohne im Detail über eine hochkomplexe Vorlage informiert gewesen zu sein. Mit anderen Worten: Die Stimmenden entscheiden sich dank dieser Entscheidhilfen genauso, wie sie sich entschieden hätten, wenn sie vollständig über die Vorlage informiert gewesen wären.
Warum soll man überhaupt so viel über gleich acht Vorlagen wissen müssen oder wissen können?
Wie gesagt, das ist gar nicht zwingend nötig. Wir Menschen wenden nicht nur bei politischen Fragen, sondern auch bei vielen anderen alltäglichen Problemen Entscheidhilfen an. Wenn ich wissen will, ob das Picknick morgen draussen stattfinden wird, so könnte ich mühselig alle möglichen Messungen zum Wetter (Luftdruck, etc.) selbst durchführen. Aber die meisten werden eine Entscheidhilfe anwenden, und zwar die Expertise von Meteorologen.
Was meinen Sie damit?
Stimmberechtigte gehen bei komplexen Sachfragen ähnlich vor: Sie verlassen sich auf die Empfehlung der Regierung, einer Partei, eines Bekannten oder tun das Gegenteil dessen, was die aus ihrer Sicht unbeliebteste Partei rät. Aber zumindest diese Entscheidhilfen sollte man kennen, sonst wird es schwierig, einen rationalen und interessengeleiteten Entscheid zu fällen.
Aus Zeitgründen können sich unmöglich alle in acht Vorlagen vertiefen. Da werden sich einige teilweise auf die Empfehlung einer bevorzugten Partei abstützen?
Absolut. Genau dies wird am kommenden Abstimmungssonntag aller Voraussicht nach geschehen. Das Zeitbudget der Stimmberechtigten ist limitiert und wenn gleichzeitig über acht nationale und kantonale Vorlagen entschieden wird, bleibt ihnen für die Vertiefung in gewisse Vorlagen keine Zeit übrig. Um trotzdem einen Entscheid fällen zu können, wird man sich dann wohl auf bestimmte Empfehlungen abstützen.
Aber glauben Sie nicht, dass die Menschen mit gleich acht Vorlagen an einem einzigen Abstimmungssonntag an die Grenzen der direkten Demokratie stossen?
Es gab 2003 mal einen Abstimmungssonntag mit neun eidgenössischen Vorlagen. Die folgende Analyse zeigte, dass die Informiertheit unter der Last dieser neun Sachfragen nicht allzu stark gelitten hat. Aber es ist klar: Viel mehr verträgt es kaum noch.
Glauben Sie, dass die Coronapandemie auf das Abstimmungsverhalten Einfluss hat, etwa indem fast nur noch schriftlich abgestimmt wird? Das ist ja heute schon die überwiegende Mehrheit.
Wie Sie selbst sagen, war die briefliche Stimmabgabe schon vor der Coronakrise sehr weit verbreitet. Das wird sich nach Corona wohl noch verstärken, aber viel «Luft nach oben» ist ohnehin nicht vorhanden. In einigen Gemeinden betrug der Anteil der brieflichen Stimmabgabe auch vor Corona schon mehr als neunzig Prozent.
Sollen trotzdem auch künftig die Urnen vor Ort geöffnet sein?
Viele Gemeinden haben die Urnenabstimmung stark eingeschränkt. Sie sind aber per Gesetz verpflichtet, mindestens am Abstimmungssonntag die Urnenabstimmung anzubieten und sollten sich bei den Öffnungszeiten an die Gepflogenheiten der Bevölkerung halten. Die Abstimmung an der Urne ist auch die letzte Möglichkeit für jene, die den Termin für das Abstimmen per Brief (Donnerstag vor dem Abstimmungssonntag) verpasst haben.
Könnte Corona für E-Voting eine neue Chance sein, oder ist das Misstrauen der Bevölkerung bezüglich Sicherheit zu gross?
Das Vertrauen in E-Voting ist in der letzten Zeit in Umfragen eher rückläufig, auch wenn sich die Befragten der Sicherheitsproblematik schon vorher bewusst waren. Sobald die Auszählung von Stimmen durch Menschen nicht mehr garantiert werden kann, zum Beispiel wegen einer akuteren Lage durch Corona, wäre E-Voting im Vorteil.