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Kanton Aargau
In der Zusammenarbeit mit der Gesundheits- und Sozialdirektorin mangle es an allen Ecken und Enden, sagen Grossräte aus drei Fraktionen. FDP, CVP und Grüne holten gestern Dienstag im Kantonsparlament zum Rundumschlag gegen Franziska Roth aus.
Die Aargauer Gesundheitsdirektorin Franziska Roth (SVP) ist seit ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren wiederholt in die Kritik geraten. Es ist offensichtlich: Sie tut sich mit dem politischen Establishment schwer und dieses sich umgekehrt mit Roth. An der gestrigen Sitzung des Grossen Rates wurde sie frontal angegriffen. Die freisinnige Fraktionspräsidentin Sabina Freiermuth verlas im Namen von FDP, CVP und Grünen eine Erklärung. Diese hörte sich die Aargauer Regierung in corpore an – auch Roth war zugegen, obwohl an der gestrigen Sitzung kein Geschäft ihr Departement betraf.
Fraktionserklärungen werden verlesen, danach finden keine Diskussion statt. Nach der Rede von Sabina Freiermuth war es still im Grossratssaal, dann ging die Sitzung weiter. Dabei war eine kleine Bombe geplatzt, denn was Freiermuth verlas, war nicht weniger als ein Rundumschlag gegen die Regierungsrätin. Ihr wurden mangelnder Respekt gegenüber Grossrätinnen und Grossräten vorgeworfen, mangelhafte Kommunikation und kein Bemühen um eine gute Zusammenarbeit.
Ausschnitte der von FDP-Fraktionspräsidentin Sabina Freiermuth am Dienstag verlesenen Fraktionserklärung:
Auch Roths Partei, die SVP, schwieg. «Es ist nicht vorgesehen, nach einer Fraktionserklärung etwas zu sagen», sagte Fraktionschef Jean-Pierre Gallati im Anschluss auf Anfrage der AZ. Aber: «Ich kann die Sorgen und die Kritik der Fraktionen FDP, CVP und Grüne verstehen», stellte er klar. Die Fraktionserklärung habe daran nichts geändert, denn die Kritik sei nicht neu. Gallati sagt, er gehe davon aus und hoffe, dass Regierungsrätin Roth die «berechtigte und nachvollziehbare Kritik» ernst nehmen und sich über Verbesserungen Gedanken machen werde.
Sabina Freiermuth nahm eine Aussage auf der Website des Departements Gesundheit und Soziales als Auftakt zu ihrer Rede: Die Arbeit im Departement Roth basiere auf den Grundlagen «der Nachhaltigkeit und Transparenz, des Vertrauens und der Wertschätzung. Dieses Arbeitsverständnis wenden wir intern an, aber auch gegenüber unseren Anspruchsgruppen und Partnern». Das seien hehre Worte, sagte Freiermuth, zurzeit vermissten die Grossrätinnen und Grossräte den Tatbeweis.
Speziell die vor wenigen Wochen ausgestrahlte Sendung «TalkTäglich» auf «Tele M1» mit Roth als Gast habe ein anderes Bild gezeigt (Video unten). Während die Regierungsrätin sich in der Sendung als ehrlich, transparent und sachlich bezeichnet hatte, habe sie für die Parlamentarier weniger schmeichelhafte Worte übrig gehabt. Diese verfolgten ihrer Ansicht nach versteckte Agenden, seien intrigant und nicht der Sache verpflichtet. Sie reichten zudem unnütze und unsinnige Vorstösse ein, die dem Bürger nichts brächten und beschäftigten die Verwaltung unnötig, während sie zugleich Stellen streichen wollten.
«Diese Aussagen drücken Geringschätzung aus. Wir erachten diese Worte als respektlos», sagte Freiermuth. Auch die äusserst späte Information über ein Gerichtsverfahren, das die Hauptziele der anstehenden Spitalgesetzrevision infrage gestellt habe, oder der «überfallartig» verschickte Bericht zu einem externen Gutachten, würden eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erschweren. Derweil stünden im Gesundheitswesen dringende und richtungsweisende Reformen an, so Freiermuth. Damit diese gelängen, brauche es zwischen den Institutionen Regierungsrat und Grosser Rat eine von Offenheit, Vertrauen und Respekt geprägte Zusammenarbeit.
Gerade zwischen den Kommissionen und dem Regierungsrat seien Kommunikation und Zusammenarbeit jedoch erschwert, so Freiermuth. Sie richtete sich direkt an Roth: «Wir sind darauf angewiesen, dass wir die Entscheidungsgrundlagen rechtzeitig und vollständig erhalten. Das liegt in Ihrer Verantwortung.»
Zusammen mit dem Regierungsrat würden die Geschäfte in der Fachkommission unter dem Schutz der Vertraulichkeit diskutiert, um einvernehmliche Lösungen zu suchen und zu finden. Damit dies erfolgreich passieren könne, brauche es diese Vertrauensbasis. Franziska Roth müsse sich darauf verlassen können, dass das Kommissionsgeheimnis eingehalten werde. Im Gegenzug müssten die Kommissionsmitglieder darauf zählen können, dass sie wahrheitsgetreu, vollständig und rechtzeitig informiert würden.
Zumindest punkto Zusammenarbeit mit den Kommissionen scheint der Handlungsbedarf erkannt. Auf Anfrage der AZ sagte die Co-Fraktionschefin der SP, Claudia Rohrer, das Problem sei auch bei ihrer Partei diskutiert worden. Warum die SP denn nicht gleich die Fraktionserklärung mitunterzeichnet hatte, begründete Rohrer damit, dass ihre Partei die Sachpolitik in den Vordergrund stellen will: «Wir haben keinen Anlass dafür gesehen, bei der Erklärung mitzumachen.»
Verschiedentlich, auch aus anderen Fraktionen, war gestern im Grossratsgebäude zu hören, dass eine entsprechende Aussprache vom Ratsbüro traktandiert sei. Ratssekretärin Rahel Ommerli bestätigt auf Anfrage: «Es ist korrekt, dass das Büro des Grossen Rats anlässlich der nächsten ordentlichen Sitzung eine Aussprache mit Frau Roth plant.» Dabei gehe es um die Zusammenarbeit ihres Departements mit dem Grossen Rat und der Gesundheitskommission. «Ziel ist es, die bekannten Kritikpunkte und die künftige Zusammenarbeit in konstruktivem Rahmen zu besprechen», sagt Ommerli.
Sabina Freiermuth bemühte derweil für ihr Schlusswort den früheren italienischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Präsidenten der UN-Generalversammlung, Amintore Fanfani, mit dem Zitat: «In der Politik ist es wie im Konzert: Ungeübte Ohren halten das Stimmen der Instrumente schon für Musik.» An Roth gewandt, appelliert Freiermuth: «Frau Regierungsrätin, wir laden Sie heute ein: Hören wir auf, unsere Instrumente zu stimmen. Beginnen wir dafür, zusammen Musik zu spielen.»