Bundesgericht
Rüffel für Aargauer Obergericht: Drogenhändler muss aus der U-Haft entlassen werden

Das Bundesgericht kippt einen Entscheid des Aargauer Obergerichts: Ein Mann, der während eines halben Jahres bis zu 840 Gramm Heroin bei einem Drogenhändlerring gekauft hat, muss damit aus der Untersuchungshaft entlassen werden.

Philipp Zimmermann
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Der Beschuldigte hat sich das Heroin von einem Drogenhändlerring besorgt. (Symbolbild)

Der Beschuldigte hat sich das Heroin von einem Drogenhändlerring besorgt. (Symbolbild)

Keystone

Mitte Januar 2016 klickten die Handschellen: Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm verhaftete einen Mann, der während eines halben Jahres 840 Gramm Heroin bei einem Drogenhändlerring gekauft haben soll. Dies gab der Mann erst zu, später relativierte er, ihm sei eine geringere Menge geliefert worden.

Beim Beschuldigten handelt es sich allerdings um einen kleinen Fisch. Er ist gemäss eigenen Angaben seit über 20 Jahren heroinsüchtig und hat schon in der 1992 geschlossenen offenen Drogenszene am «Platzspitz» in Zürich verkehrt. Vor seiner Verhaftung war er in einem Methadon-Programm und lebte von der Sozialhilfe. Er hat sich im Laufe der Jahre diverse Straftaten zu Schulden kommen lassen. Allerdings keine schweren Verbrechen, sondern kleinere Betäubungsmitteldelikte, Tätlichkeiten, Drohung und Beschimpfung, geringfügige Vermögensdelikte oder Schwarzfahren.

Finanzstarker Hintermann

In diesem Fall habe ihm ein finanzstarker Hintermann, dessen Identität unklar ist, jeweils Geld für den Heroinkauf überlassen. Dem Drogensüchtigen sei es gelungen, das Heroin so günstig einzukaufen, dass er zwei Drittel der Einnahmen behalten konnte. Teilweise hat er es selbst konsumiert, teilweise weiterverkauft.

Auf Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts kam der Beschuldigte kurz nach der Verhaftung in Untersuchungshaft. Nebst dem dringenden Tatversacht sah es eine Wiederholungsgefahr als gegeben an. Zwei Monate später hiess dasselbe Gericht dagegen ein Haftentlassungsgesuch des Betroffenen gut. Doch das Obergericht kippte diesen Entscheid, indem es die folgende Haftbeschwerde der Staatsanwaltschaft guthiess, und verlängerte – mit Verweis auf die Wiederholungsgefahr – erst noch die Untersuchungshaft um drei Monate.

"Ein Leben am Rand der Gesellschaft"

Das Bundesgericht dagegen stösst diesen Entscheid wiederum um und heisst eine Beschwerde des Drogensüchtigen gut. Es seien zwar keine Anzeichen ersichtlich, dass er in Freiheit ernsthafte Anstrengungen unternehmen würde, um seine starke Drogensucht zu überwinden, schreibt es im Urteil. "Es ist somit zu erwarten, dass er in Freiheit sein altes Leben am Rand der Gesellschaft weiterführen und versuchen würde, irgendwie an Geld für den Erwerb von Heroin heranzukommen."

Allerdings habe er in all den Jahren nie eine schwere Straftat begangen, die schwer genug ist, um eine Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr zu rechtfertigen. Dafür muss nämlich die Sicherheit der Bevölkerung erheblich gefährdet sein. "Der Beschwerdeführer war für die Gesellschaft eher lästig als gefährlich", schreibt das Bundesgericht. Auch seien konkrete Anhaltspunkte, dass er in Freiheit schwere Vergehen begehen könnte, nicht ersichtlich. Das Bundesgericht hat deshalb entschieden, dass der Beschwerdeführer umgehend aus der Untersuchungshaft zu entlassen ist.

Urteil 1B_200/2016

Das Bundesgericht zu Untersuchungshaft und Wiederholungsgefahr

Eine Untersuchungshaft kann einem dringenden Tatverdacht sowie Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr angeordnet werden. Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO liegt vor, „wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat“.