Rückkehrwunsch
«Ich will zurück zu meinem Freund, er kann das Land nicht verlassen»: Geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer stehen vor ungewisser Zukunft

Die ukrainische Diaspora im Aargau ist, wenn es um eine allfällige Rückkehr in ihr Land geht, zweigeteilt. Gerade diejenigen Menschen, die aus der unterdessen vollständig ukrainisch kontrollierten Hauptstadt Kiew geflüchtet sind, überlegen sich eine Rückkehr. Andere wiederum haben hier bereits eine Stelle angetreten.

Hans-Caspar Kellenberger
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Adelina Sys (24), flüchtete gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus der Ukraine und kam in Küttigen unter. Nun möchte sie ihre Yoga-Studio in Kiew wieder betreiben.

Adelina Sys (24), flüchtete gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus der Ukraine und kam in Küttigen unter. Nun möchte sie ihre Yoga-Studio in Kiew wieder betreiben.

Hans-Caspar Kellenberger

Verschiedene Staaten rund um den Globus öffnen gegenwärtig ihre Botschaftsvertretungen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wieder. Das Botschaftspersonal kehrt zurück. So kündigte zuletzt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an, dass auch der Schweizer Botschafter Claude Wild, zusammen mit vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des EDA, nach Kiew zurückkehre, nachdem die Schweizer Botschaft kurz nach Kriegsausbruch Ende Februar geschlossen wurde.

Die Sicherheitslage erlaube diesen Schritt, davon sind die Schweizer Behörden überzeugt. Denn der russische Angriffskrieg findet nun verstärkt im Osten der Ukraine statt. Und nicht nur staatliche Vertretungen, sondern auch Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg in ihrem Land bis in den Kanton Aargau geflüchtet sind, überlegen sich eine Rückkehr.

Manche Menschen zieht es zurück in die Heimat ...

So zum Beispiel Adelina Sys (24), die bereits 2014 aus der ostukrainischen Region Donezk nach Kiew flüchten musste. Ende Februar 2022 blieb ihr erneut nur die Flucht, nach einer 12-tägigen Reise kam sie in Küttigen an, zusammen mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder. Seit diesem Zeitpunkt wohnen sie im Pfarrhaus der reformierten Kirchgemeinde.

Adelina Sys stellt gegenwärtig Überlegungen an, nach Kiew zurückzukehren. Denn sie hatte bis zur russischen Invasion am 24. Februar ihr eigenes Yoga-Studio in der ukrainischen Hauptstadt. «Es ist jetzt sicherer, da keine russischen Soldaten mehr in der Region sind», sagt sie. Und das trotz der Tatsache, dass die russische Luftwaffe die Region Kiew weiterhin bombardiert.

«Ich will zurück nach Kiew, denn mein Freund ist dort, er darf das Land nicht verlassen und der Krieg könnte noch lange weitergehen», sagt Adelina Sys. Und: «Wegen des Krieges war ich gezwungen, mein kürzlich vergrössertes Yoga-Studio wieder in einen kleineren Raum zu zügeln, diesen möchte ich nicht auch noch verlieren». Die Rückkehr nach Kiew sei aber keine einfache Entscheidung und sie zögere noch immer.

... andere wollen in der Schweiz bleiben

Die Mutter von Adelina Sys, Svitlana Sys und der kleine Bruder Illia Sys, wollen weiterhin in der Schweiz bleiben. Gerade fuhr die Familie nach Basel, um Illia zu registrieren. Und auch weitere aus der Ukraine geflüchtete Menschen, welche die AZ vor einiger Zeit getroffen hat, wollen hier im Aargau bleiben.

So auch Oleksii Piliahin (43), der am südlichen Stadtrand von Kiew zusammen mit einem Geschäftspartner eine Firma für die Herstellung, den Verkauf und die Reparatur von Lackiermaschinen betreibt. Mit seiner Frau und seinen drei Kindern kam er am 7. März in Küttigen an. Unterdessen ist auch seine Mutter in der Schweiz angekommen. Von Anfang an sagte er: «Mir ist es wichtig, hier arbeiten zu können.» Und mittlerweile hat er eine 40-Prozent-Stelle in einem Restaurant in Aarau bekommen.

Gerade mit Kindern ist es momentan, aufgrund der fehlenden Infrastruktur wie zerstörten Schulen, fast unmöglich in der Ukraine normal leben zu können.

Gerade mit Kindern ist es momentan, aufgrund der fehlenden Infrastruktur wie zerstörten Schulen, fast unmöglich in der Ukraine normal leben zu können.

Pablo Gianinazzi / Keystone

Auch die in Seengen untergekommene Oleksandra Guzenko (35) aus dem ostukrainischen Charkiw, plant, für eine längere Zeit hierzubleiben. Momentan sucht sie eine Anstellung als Sales- oder Projektassistentin in der Schweiz. Sie sagt, dass es momentan nicht möglich sei, in die Ukraine zurückzukehren, egal in welche Region und insbesondere dann nicht, wenn man Kinder habe.

Die 28-jährige Maria Mykhailenko indes, arbeitete bis zum Beginn der russischen Invasion als selbstständige Fotografin in Kiew. Nun tut sie dasselbe in der Schweiz. Unter anderem erfüllt sie Aufträge für eine Firma in Zürich. Auf ihre Pläne angesprochen sagt sie, dass sie im Moment plane, hier zu bleiben. Denn: «Als Fotografin habe ich in Kiew momentan kaum Arbeit. Und wie lange der Krieg weitergeht weiss ich auch nicht. Ich kann darum gar nicht vorausplanen.»

Maria Mykhailenko (28) arbeitete schon in Kiew als selbstständige Fotografin. Nun tut sie dasselbe in der Schweiz, unter anderem in Zürich.

Maria Mykhailenko (28) arbeitete schon in Kiew als selbstständige Fotografin. Nun tut sie dasselbe in der Schweiz, unter anderem in Zürich.

Hans-Caspar Kellenberger

Mykhailenkos Eltern sind unterdessen bereits nach Kiew zurückgekehrt. Am vergangenen Montag haben sie den Aargau und die Schweiz verlassen. Auch haben die Eltern nach den Wohnungen von Mykhailenko und ihrer Schwester in Kiew geschaut. Insgesamt ist die Ohnmacht der ukrainischen Diaspora im Aargau weiterhin gross, denn sie wissen nicht, wie es bereits in der nächsten Woche in ihrer Heimat aussehen könnte.