Rudolf-Steiner-Schule
Rudolf-Steiner-Schule unter Beschuss: «Probleme werden mit Gewalt gelöst»

Mit Kopf, Herz und Hand. In der Didaktik der Rudolf-Steiner-Schule Schafisheim kommt die Hand anscheinend öfter unmittelbar zum Einsatz. Mehrere Eltern werfen Lehrern Gewalt-Anwendung vor. Sie haben ihre Kinder jetzt von der Privatschule genommen.

Barbara Vogt
Drucken
Das ehemalige Brütelgut (Vordergrund) ist Teil der Rudolf-Steiner-Schule Aargau Schafisheim. Annika Bütschi

Das ehemalige Brütelgut (Vordergrund) ist Teil der Rudolf-Steiner-Schule Aargau Schafisheim. Annika Bütschi

Gleich mehrere Eltern zeigen sich besorgt über die Entwicklung an der Rudolf-Steiner-Schule Aargau in Schafisheim. Ihre Vorwürfe sind massiv: Mobbing, verbale und körperliche Gewalt, Unterdrückung. Sie beklagen sich, dass die Schule unqualifizierte Lehrer beschäftige und die Qualität der Schule schlechter werde.

Die Eltern wendeten sich deswegen an den Kinderschutz in Baden. Auch haben sie ihre Vorwürfe in Form einer Beschwerde beim Inspektorat der kantonalen Abteilung Volksschule platziert (Text unten).

Fünf Mütter, die anonym bleiben wollen, beschreiben gegenüber der az unterschiedliche Szenen: Eine Mutter erzählt, die Kindergärtnerin und die Praktikantin hätten die Kinder grob angepackt – aus Sicht der Mutter grundlos.

Die Kindergärtler würden zu Boden gestossen, und einmal, als ihr Sohn geflucht habe, habe ihn die damalige Praktikantin in die Toilette gesperrt. Sie soll gesagt haben, dass er erst wieder raus dürfe, wenn er seinen Mund mit Seife ausgewaschen habe.

«In einem späteren Konfliktgespräch stritt die Lehrperson alles ab», sagt die Mutter. Der Sohn sei oft weinend heimgekommen und wollte nicht mehr allein in den Kindergarten.

«Wie ein Stück Dreck»

Eine andere Mutter berichtet, wie ihr Sohn durch einen Englischlehrer mit aller Wucht über die Schulbank gezogen worden sei, weil er vor die Tür hätte gehen müssen und nicht gehorcht habe. Anschliessend wurde er draussen in der Garderobe auf die Sitzbank geworfen, «wie ein Stück Dreck». Sein Kopf sei dabei an die Wand geprallt, sagt die Mutter. «Der Englischlehrer ist überfordert mit den Kindern. Er ist schon älter, seine Geduld mit Kindern mangelhaft.»

Der betroffene Englischlehrer sei sich keiner Schuld bewusst gewesen, erzählt die Mutter weiter. Er habe bloss gesagt, «er dürfe das». Weil der Sohn in der Schule als verhaltensauffällig abgestempelt worden sei, sei er das schwarze Schaf gewesen.

Die Mutter sagt: «Die Rudolf-Steiner-Schule löst Probleme mit Kindern mit Gewalt.» Eine andere Mutter empfindet diese Erziehungsmassnahmen wie aus dem letzten Jahrhundert: «Sie verletzen die Menschenwürde. Die Kinder sollen doch bestärkt und nicht geschwächt werden.»

Probleme mit der Ideologie

Einerseits empfinden die Eltern es als negativ, wenn die Schule sich nicht nach der Philosophie des Gründers Rudolf Steiner ausrichtet. Andererseits machen sie der Schule gerade ihre Ideologie zum Vorwurf: Sie stören sich daran, dass es ungern gesehen werde, wenn ein Kind ein Spiderman-T-Shirt trage oder im Zeichenunterricht ein Gewehr anstelle einer Landschaft male.

Es würden keine Ärzte oder Therapieformen geduldet, die nicht der Ideologie der Schule entsprechen. Eine dritte Mutter erzählt, dass die Schule ihr mit dem Rausschmiss ihres Kindes gedroht habe, würde sie keinen anthroposophischen Arzt konsultieren.

Zensuriertes Protokoll

Der dreiköpfige sogenannte Vertrauenskreis, bestehend aus Personen, die mit der Schule in Zusammenhang stehen, unterstütze die Eltern in Konfliktsituationen zu wenig, ist ein weiterer Vorwurf. «Er handelt nicht neutral», sagen die Eltern. Nach einem Gespräch mit dem Vertrauenskreis hätten die Eltern lang auf das Protokoll gewartet. Als dieses dann endlich kam, stellten die Eltern fest, dass das Gespräch nicht wahrheitsgemäss wiedergegeben, sondern im Interesse der Schule zensuriert worden sei.

Andere Eltern sagen, dass sie unlesbare Protokolle erhalten hätten, zu denen sie gleich nach dem Gespräch zum Unterschreiben angehalten worden seien.

Aus Angst vor einer Kündigung seitens der Schule duckten sich viele Eltern und verzichteten auf eine Anzeige. «Sobald sich jemand zur Wehr setzt, droht die Schulleitung mit dem Rausschmiss», sagen die Eltern.

Eigentlich hätte eine der Mütter ihre Tochter gern an der Rudolf-Steiner-Schule behalten: «Das ganzheitliche Denken Rudolf Steiners überzeugt mich noch immer. Die Art und Weise der Umsetzung in Schafisheim ist aber das Problem.» Sie nahm ihre Tochter wegen Mobbings von der Schule. Weil die Rudolf-Steiner-Schule eine ganze andere Art von Unterricht pflege, sei es für die Kinder schwierig, den Anschluss an eine neue Schule zu finden.

Sieben Eltern, die ihre Kinder innerhalb der letzten Monate von der Schule genommen haben, sagen, dass die Kinder mit dem Schulstoff an der Regelschule überfordert sind und eine Klasse bis zwei Klassen wiederholen müssen. «Die Steiner-Schulen haben einen eigenen Lehrplan, der von den Lehrern unterschiedlich interpretiert und gehandhabt wird. Lehrmittel gibt es keine einheitlichen», sagen die Eltern.

Die Eltern sind aber froh, dass ihre Kinder nicht mehr nach Schafisheim gehen, sondern die Volksschule oder eine andere private Schule besuchen. Sie blühten richtig auf, eine Mutter sagt: «Mein Sohn geht jetzt mit viel Freude zur Schule. Von Verhaltensauffälligkeit, wie es ihm in der Rudolf-Steiner-Schule nachgesagt worden ist, keine Spur.»

Kita ohne Fachperson

Ein weiterer Vorwurf der Eltern ist, dass die Schule unqualifizierte Lehrer beschäftige und die Kinder dadurch viel verpassten. Es gebe zu wenig Förderlehrer, keine Logopädin und keine Heilpädagogin und schon gar keinen Sozialdienst.

Eine Mutter sagt, ihre Tochter sei von einer Französischlehrerin unterrichtet worden, die keine pädagogische Ausbildung habe. Das sei auch in der Kindertagesstätte Farfallina so, sagen Eltern: Diese würde von einer Frau ohne entsprechende Ausbildung geleitet. Dabei steht im Reglement, das den Eltern vorliegt: «Die Tagesbetreuung und Spielgruppe ‹Farfallina› wie auch der Kindergarten (...) wird von ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen geleitet. Diese werden unterstützt von Praktikantinnen und Praktikanten.»

Rudolf-Steiner-Schule hat einen Krisenmanager engagiert

Die Rudolf-Steiner-Schule Aargau in Schafisheim hat aufgrund der Gewaltvorwürfe von Eltern (Text oben) den Krisenmanager Herbert Wyss aus Frauenfeld eingeschaltet, mit dem sie die Probleme an der Schule angehen will. Die Schule schreibt: «Die Schulleitung bedauert, dass sie frühere Signale der Eltern nicht richtig wahr- und aufgenommen hat.»
Laut Herbert Wyss lasse sich im vorliegenden Fall die Frage nach Ursache und Schuld vermutlich kaum sauber beantworten. «Der Schule scheint das auch nicht zentral zu sein. Viel wichtiger ist es, die erkannten Schwachstellen herauszuarbeiten und rasch zu verbessern.» So gehe man «die Probleme in Bezug auf Anstellungsverfahren und Ausbildungsqualität der Lehrer» an. In Zusammenarbeit mit der Schulleitung sei bereits ein neues standardisiertes Verfahren ausgearbeitet worden, schreibt Wyss.
Bei der Aufarbeitung wolle man auch die Kommunikation mit den Eltern beleuchten. «Das braucht etwas mehr Zeit, weil die Betroffenen dabei aktiv in den Entwicklungsprozess miteinbezogen werden», so Wyss. Ausserdem lädt die Schule die Eltern auf heute zu einem Infoabend ein.

Privatschulen haben Spielraum
Das Inspektorat der kantonalen Abteilung Volksschule hat von mehreren Eltern eine Beschwerde erhalten. Das bestätigt Inspektoratsleiterin Monica Morgenthaler. Sie sagt: «Wir nehmen die Vorwürfe der Eltern ernst und werden diesen nachgehen.» Die «sorgfältige Prüfung» geschehe in Form einer Begleitung der Schule. In nächster Zeit würden mit der Schulführung Gespräche geführt, Befragungen wie auch eine Dokumentenanalyse durchgeführt. Der Prozess werde sich über eine längere Zeitspanne hinweg erstrecken.

Damit eine Privatschule staatlich anerkannt ist, muss sie gewisse Voraussetzungen erfüllen, sagt Morgenthaler. Unter anderem müsse sich der Lehrplan an die Volksschule anlehnen. «Bei der Umsetzung des Lehrplans hat eine Privatschule pädagogischen Spielraum.» Aus diesem Grund gebe es keine vorgeschriebenen Lehrmittel für Privatschulen.
Privatschulen dürften sich in ihrem Wesen, in der konfessionellen Grundlegung, in der weltanschaulichen Ausrichtung sowie in abweichender pädagogischer Orientierung von den öffentlichen Schulen unterscheiden. Dies muss die Privatschule offenlegen, sagt Morgenthaler. Zweck der kantonalen Bewilligung ist, dass private und öffentliche Schulen durchlässig und kompatibel seien. Dies ermögliche den Schüler jederzeit Wechsel und Übertritte.

An der Privatschule interessierte Eltern hätten sich jedoch selber über deren Führung zu informieren, betont Monica Morgenthaler. Eltern, die sich für die Rudolf-Steiner-Schule Aargau entscheiden, wählten Bildungsziele und einen Lehrplan, die auf zehn Schuljahre ausgerichtet seien. «Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn Kinder und Jugendliche wieder in die Volksschule eintreten.» (BA)