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Philipp Müller hat einen Manager als «Arschloch» verunglimpft. Kommunikationsberater Klaus J. Stöhlker hält dies für einen schweren Fehler. Für den Befreiungsschlag brauche die FDP eine Strategie und einen personellen und strukturellen Neuanfang.
Darf ein Parteipräsident das A-Wort gebrauchen?
- Im Kanton Waadt ist die FDP mit einem Wähleranteil von 26 % die grösste Partei und ist mit 47 Kantonsparlamentariern die stärkste Kraft im Kantonsparlament. Darüber hinaus stellt die FDP im Kanton Waadt 4 Nationalräte und 3 Regierungsräte.
- Im Tessin ist die FDP mit einem Wähleranteil von über 25 % die grösste Partei und ist mit 23 Kantonsparlamentariern die stärkste Kraft im Kantonsparlament. Weiter stellt die FDP im Kanton Tessin zwei Nationalräte und einen Ständerat.
- In Lugano hat die FDP am vergangenen Wochenende je einen Sitz in der Exekutive und in der Legislative verloren, konnte aber den Wähleranteil um 3 % steigern. Die beiden Sitzverluste sind die Folge des massiven Zugewinns der Lega.
- Fazit: Wir sind in beiden Kantonen, die gemäss Stöhlker verloren gegangen sind oder gar nicht mehr existieren, stärkste Kraft in den Kantonsparlamenten.
Klaus J. Stöhlker: Nicht öffentlich. Der Präsident der FDP Schweiz ist ein Mann des oberen Bürgertums, der für die Verbindung zwischen der gebildeten Schweiz und der Wirtschaft sorgt. Ein solches Wort ist ein schwerer Fehler.
Philipp Müller ist angetreten, um die FDP vom Bahnhofstrassenimage zu befreien. Wie soll er das sonst machen?
So geht das nicht. Die FDP kann sich nur von diesem Image befreien, wenn sie Forderungen an die Bahnhofstrasse stellt oder Vorschläge für einen modernen Finanzplatz stellt. Mit Flüchen gelingt der Befreiungsschlag nicht. Philipp Müller wirkt unbeholfen.
Philipp Müller hat immer wieder an die Verantwortung und an die Vernunft von Managern mit Millionensalären appelliert.
Appelle an die Vernunft haben wir zu Hunderten erlebt. Das ist eine Aufgabe für Philosophen und Pfarrer. Der FDP-Präsident muss politische Forderungen an die Banken stellen – das hat er bislang nicht getan.
Zum Beispiel?
Wir brauchen eine Transaktionssteuer, doch die FDP will das nicht.
Thierry Burkart, Präsident der FDP Aargau, hat sich deutlich hinter Philipp Müller gestellt.
Diese Loyalität ist katastrophal. Man hält zu Leuten, die nicht mehr zu halten sind, weil man keine Alternativen hat. Das ist ein grosser Fehler.
Sie glauben, dass Müller zurücktreten muss?
Diese Frage kann ich Ihnen in 14 Tagen beantworten. Innerhalb der FDP-Spitze herrscht Beunruhigung. Man macht sich Gedanken, doch tastet sich nur mühsam an das Thema heran. Man wollte mit Müller endlich einen Gewinner-Typen haben. Doch das ist er nicht. Entscheidend sind aber auch die Strukturen. Die FDP braucht ein starkes Führungsteam. Die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter wäre eine Hoffnungsträgerin für die Partei. Intelligent, fleissig, perfekt im Auftritt. Da sieht man den Unterschied zu Philipp Müller: Karin Keller-Sutter würde nie das A-Wort in den Mund nehmen.
Karin Keller-Sutter hat sich diverse Wirtschaftsmandate geangelt. Sie verkörpert den Freisinn-Wirtschafts-Filz.
Ich bin ein leidenschaftlicher Gärtner. Deshalb folgender Vergleich: Wenn eine Pflanze nicht wachsen kann, bereitet sie sich anderswo aus. Karin Keller-Sutter hat eine unheimliche Energie. Diese nutzt sie jetzt halt nicht mehr zum Vorteil der FDP, sondern in anderen Gebieten.
Ist die FDP zu nett mit den Banken?
Ja. Die FDP lärmt zwar gegen die Banker, ist aber weiterhin sehr nett zu den Banken und zum Finanzplatz. Doch es bleibt ihr nichts anderes übrig.
Weshalb?
Ich kenne die FDP seit 1973, damals habe ich zum ersten Mal einen Wahlkampf für sie gemacht. Ich kann ihnen nur sagen, die FDP war immer eine Partei der Bahnhofstrasse und des Kapitals, sie wird das bleiben müssen. Doch es braucht im Vorstand Politiker, die das können.
Welches Personal braucht die FDP?
Die FDP hat ein zu schwaches Personalfundament. Doch die Krise ist bereits 25 Jahre alt, kurzfristig kann man sie nicht überwinden.
Braucht es die FDP noch?
Ja. Ich mache mich seit 15 Jahren für eine Annäherung zwischen der FDP und den vernünftigen Teilen der SVP stark. Dass dies nicht gelingt, schadet sowohl der FDP wie auch der SVP. Die FDP hat am letzten Wochenende das Tessin verloren. Im Waadtland oder im Thurgau existiert die FDP praktisch nicht mehr. Die FDP geht Stück für Stück zugrunde. Das Wichtigste wäre ein struktureller und personeller Neuanfang.
Philipp Müller ist vor einem Jahr angetreten um den Neuanfang zu waren.
Müller ist der falsche Präsident, genau so, wie es sein Vorgänger Fulvio Pelli war. Pelli war in der Deutschschweiz nie angekommen. Er blieb immer der merkwürdige Tessiner, den man nur schwer verstand. Pelli hatte keine Strategie, er regierte über die Personalpolitik. Nun erlebt die FDP die gleiche Tragödie wie der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse mit Herrn Wehrli. Die Verbindung zwischen liberaler Partei und Wirtschaft funktioniert nicht mehr. Müller hatte ein Jahr lang Zeit, um zu zeigen, dass er es kann. Doch er hat keinen Fortschritt erzielt.
Müller hat keine Strategie?
Genau. Und wenn ein Mensch ertrinkt, dann schlägt er mit den Armen um sich. Müller merkt, dass die FDP keine Stimmen mehr gewinnt. Im wichtigen Kanton Zürich ist die FDP schwer handicapiert. Das sieht man derzeit bei den Ersatzwahlen für den Stadtrat. Aber auch die Verankerung im Kanton ist nicht mehr vorhanden. Die alte FDP ist untergegangen. Das ist keine Schwarzmalerei. Das sind Beobachtungen eines unabhängigen Insiders.
Sie übertreiben. Viele sind froh, dass Philipp Müller frischen Wind in die Partei gebracht hat. Er ist sehr aktiv und besetzt Themenfelder.
Das stimmt. Müller hat frischen Wind reingebracht und er versucht, näher zur Basis zu kommen. Doch dazu ist ein strukturierter Aufbau notwendig. Und jetzt sind wir beim Kern der Sache: Die SVP hat unter Präsident Ueli Maurer eine grosse Leistung vollbracht. Sie hat in der ganzen Schweiz Ortsgruppen und Kader aufgebaut. Doch diese Arbeit will in der FDP keiner leisten.
Die FDP als Partei der Einzelfiguren?
Man kann das vergleichen mit einem alten Gebirge, das langsam erodiert. Nur noch einzelne Köpfe wie die Aargauer Ständerätin Christine Egerszegi oder der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen ragen noch heraus.