Hunzenschwil
Pioniergeist und reines Gewissen – ein Nachmittag an der einzigen Wasserstofftankstelle der Schweiz

2016 eröffnete Coop in Hunzenschwil die erste Schweizer Wasserstofftankstelle. Wo steht die Technologie heute und warum fährt man ein Auto, das man nur an einem einzigen Ort tanken kann? Eine Spurensuche vor Ort.

Sébastian Lavoyer
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Rentner Beda Schmid tankt Wasserstoff in Hunzenschwil.
7 Bilder
Er fährt ein Brennstoffzellen-Fahrzeug.
In Hunzenschwil steht die einzige Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz.
Schmid tankt seinen Wagen.
Es folgen weitere Bilder der Wasserstoff-Tankstelle.
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Rentner Beda Schmid tankt Wasserstoff in Hunzenschwil.

Severin Bigler

Mobilität Kaum in Hunzenschwil angekommen, fährt schon das erste Wasserstoffauto zur Tankstelle. Es ist kurz nach 13.30 Uhr, als Beda Schmid, Rentner aus Staufen, seinen Hyundai Nexo neben der Säule mit der Aufschrift «H2 – 100% Leistung, 0% Abgas» abstellt. Der Himmel ist grau, die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, aber Schmid lacht, als wir ihn ansprechen. Warum er sich das antue, Wasserstoff? Er wohne im Nachbardorf, sei technisch interessiert, sagt der ehemalige IT-Fachmann. Und: «Ich habe gemerkt, dass Elektroautos nicht die Lösung sein können.»

Schmid ist nicht Lobbyist der Gasbranche und auch «kein Grüner», wie er sagt. Er hat daheim in der Garage auch einen grossen Benziner und einen Elektro-Smart stehen. Ein Technikfreak eben. Das Problem bei den Elektroautos, so sein Schluss, sei die Batterie. Ökologisch wie finanziell gesehen. Mehr als zehn Jahre macht kaum eine Batterie, deshalb würden die Garantien auch nie länger laufen, so der Rentner. Die nötige Ersatzbatterie koste beim Smart 9000 Franken, bei einem Tesla gar 21'000. Und dann kommt die Recycling-Problematik hinzu.

Schmid schreitet zum Bankomaten. Mit Zahlen kann er. Seinen Hyundai hat er von rund 85'000 Franken auf knapp 40000 heruntergehandelt. «Heute kriegt jeder Rabatt, der ein Auto kauft – und in diesem Fall bin ich eine Art Versuchskaninchen», sagt er und schmunzelt. Kreditkarten-Code eingeben, die am Kopf eisig kalte Tankpistole auf die Vorrichtung beim Auto aufsetzen, ein Teststoss zum ermitteln, wie viel Wasserstoff noch drin ist, und los gehts. Plötzlich ein rhythmisches Scharren. «Jetzt wird der Druck erhöht», erklärt Schmid. Auf 700 bar im Inneren des Tankes. 5 Kilogramm H2 fasst er so. 100 Gramm kosten 109 Rappen. «Was Sie ja interessiert», so Schmid, «sind die Kosten auf 100 Kilometer.» Zwischen 11 und 12 Franken, ein bisschen teurer als ein sparsamer Benziner, der um die 9 Franken kostet. Schmid: «Dafür habe ich ein reines Gewissen. Hinten kommt ja bloss Wasserdampf raus.» Sagts, steigt ein und dampft davon.

Oder besser: Er schleicht davon. Wie Elektroautos sind Wasserstofffahrzeuge praktisch geräuschlos. Zurück bleiben wir an der Tankstelle in Hunzenschwil. Hier, wo der Liter bleifreies Benzin mit 1.60 überdurchschnittlich teuer ist (1,57 Franken pro Liter). Trotzdem wird an diesem Nachmittag kaum eine Minute verstreichen, in der nicht mindestens ein Lieferwagen, SUV oder Kleinwagen tankt. Verkehrstechnisch ist diese Coop-Tankstelle ein Juwel. Mitten im Industriegebiet Korbacker. Umgeben von Garagen, Burger King und Autowaschanlage. Hier fährt man durch, hier arbeiten ein paar wenige, aber hier lebt kaum einer.

«In den Ferien vermisse ich mein Wasserstoffauto»

Kaum ist Schmid weg, wird der Tag für uns noch grauer, als er es ohnehin ist. Niemand tankt Wasserstoff. Kurze Aufregung um 14.29 Uhr, ein H2-Auto von Coop. Es fährt vorbei. Also weiter warten. Frieren. Warten. Eigentlich hätten wirs wissen müssen. Es gibt knapp 25 Wasserstofffahrzeuge in der Schweiz. Rund die Hälfte gehört zur Flotte von Coop. Man kann daher keinen Ansturm erwarten. Aber wenn der Nachmittag so vielversprechend beginnt...

Die Erlösung kurz nach 17 Uhr. Ueli Hauser, Coop-Mitarbeiter, seit November 2016 fährt er mit Wasserstoff. Weil er Pionier sein wollte. Er hat sich beworben für das Projekt. «Wenn wir in den Ferien ein Fahrzeug mieten, vermisse ich mein Wasserstoffauto.» Hauser würde nie auf Benzin zurückwechseln. Kinderkrankheiten verzeiht er, weil er weiss, dass hier alle Neuland betreten, nicht nur er. Einmal sei der Kompressor ausgestiegen, der den Druck in den Tank bringt. Es dauerte, bis Ersatz aus Österreich da war. «Natürlich sind wir noch auf ein Ersatzauto angewiesen, aber schon bald wird es weitere Tankstellen geben in der Schweiz», sagt Hauser. Die Zukunft gehört dem Wasserstoff, daran zweifelt er nicht.

«Steigen Sie ein», fordert Hauser den Reporter auf. Man müsse das Auto erfahren. Eine kurze Spritztour im Wasserstoffauto. Hauser schwärmt davon, wie er aus dem Stand trotz 1900 Kilogramm Gewicht jeden normalen Mittelklassewagen stehen lässt. Er wolle diesen Sommer noch einmal versuchen, mit seinem Liebling nach Norwegen zu fahren. Das wollte er schon 2019. Aber dann gab es Probleme mit einer Tankstelle im Norden. Als wir zurück in Hunzenschwil sind, biegt gerade ein Toyota Mirai um die Ecke, will die Tankstelle verlassen. Hauser winkt, der Toyota- Fahrer hält. Wir unterhalten uns über das Fahren mit Wasserstoff. Ein weiterer Hyundai tankt derweil. Die Herren sind sich einig, dass man, obwohl es nur eine Tankstelle gäbe, bis ins Tessin und zurückkomme. Bald sollen weitere Tankstellen hinzukommen. Dann dürften auch weitere Autos folgen. An diesem Nachmittag bleibt es bei vier Fahrzeugen, vier Pionieren.