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Weshalb die SP-Ständerätin Pascale Bruderer problemlos wiedergewählt wird. Sie selber sagt über sich: «Ich bin keine Frau der lauten Töne. Ich kann gut mit dem Vorwurf leben, keine Stricke zu zerreissen.»
Zum Einstieg drei Fragen: Sind Sie dafür, dass Menschen mit Behinderung besser in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen? Sind Sie auch dafür, dass die Einfuhr von tierquälerisch erzeugten Pelzprodukten verboten wird?
Und sind Sie schliesslich dafür, dass Abtreibungen verhindert werden müssen, die einzig und alleine deshalb stattfinden, weil den werdenden Eltern das Geschlecht des Kindes nicht passt? Selbst ohne umfangreiche politologische Studien lässt sich mit Sicherheit sagen: Eine erdrückende Mehrheit der Aargauerinnen und Aargauer beantwortet diese drei Fragen mit Ja. Wer ist schon für Tierquälerei? Oder gegen Behinderte?
Die Unsichtbare
Es sind drei Vorstösse aus der zu Ende gehenden Legislatur, welche die Handschrift von Pascale Bruderer tragen. Sie sind typisch für die 38-jährige SP-Politikerin: Es geht darum, Gutes zu tun.
In einer vierteiligen Serie stellt die az diese Woche die aussichtsreichsten Ständeratskandidatinnen und -kandidaten vor. Heute: Pascale Bruderer. Damit sind alle Porträts erschienen: Ruth Humbel, Philipp Müller, Hansjörg Knecht.
Für Tiere, für Behinderte, für ungeborene Kinder. Wenig erstaunlich findet sie mit diesen Anliegen Mehrheiten. Oft schon in der Kommission, manchmal gar im Bundesrat, der sich der vorgeburtlichen Geschlechterselektion ganz im Bruderer’schen Sinne angenommen hat. Sumpfgebiete, wo man einen Schuh voll Schlamm herausziehen könnte, sind nicht ihr Ding. Die markigen sozialdemokratischen Voten im Rat halten andere. Die Baslerin Anita Fetz etwa, die sich in der Kratzbürsten-Rolle gefällt.
Gewerkschaftsführer Paul Rechsteiner, der den Klassenkampf zelebriert oder SP-Chef Christian Levrat, der unbestrittene Boss der Genossen. Sobald es wehtut, müssen andere ran.
Politikerkollegen verschiedener Couleur bezeichnen Bruderer abwechselnd als «Hinterbänklerin» oder «Leichtgewicht». Weich wie plüsch und süss wie Zuckerwatte. Bruderer steckt die Giftpfeile ohne Ranküne ein: «Ich kann gut mit dem Vorwurf leben, keine Stricke zu zerreissen. Ich bin keine Frau der lauten Töne.»
Die 38-jährige Politologin ist verheiratet und Mutter von zwei Töchtern. Bruderer wohnt in Nussbaumen. Ihre politische Karriere lancierte sie 1997 als Einwohnerrätin in Baden. Zwischen 2001 und 2002 gehörte sie kurz dem Grossen Rat an, ehe sie 2002 in den Nationalrat nachrücken konnte. 2011 schaffte sie auf Anhieb den Sprung in den Ständerat.
Bruderer, die Kompromissfähige, Bruderer, die Brückenbauerin, Bruderer, die Kantonsvertreterin. Der Leistungsausweis gebe ihr recht: Altersvorsorge, Asylpolitik, Energiestrategie: Überall sei eine Mitte-links-Allianz am Drücker, still und beharrlich, überall stehe sie, die Konsenspolitikerin, an vorderster Front für die aufgegleisten Reformen ein.
«Die Arbeit in den Kommissionen ist vertraulich und darum für die Medien vielleicht weniger spektakulär, aber sie ist entscheidend. Ich habe mitgeholfen, eine mehrheitsfähige Lösung zu zimmern. Darauf bin ich stolz.»
Die Phänomenale
Pascale Bruderer ist ein Phänomen: Mit zarten 24 Jahren zieht sie 2002 in den Nationalrat ein. Bei den Wahlen 2007 macht sie das drittbeste Resultat, 2009 erhält sie bei der Wahl ins Nationalratspräsidium phänomenale 174 von 182 gültigen Stimmen. So werden Lieblinge inthronisiert.
2011 wird sie bereits im ersten Wahlgang souverän in den Ständerat gewählt. Was für ein Statement! Ihre Wiederwahl im Herbst ist unbestritten. Es geht nur noch darum, wer neben ihr auf dem zweiten Aargauer Stuhl im Stöckli Platz nehmen darf. Keine Frage: Wer so erfolgreich politisiert, macht vieles richtig.
Pascale Bruderers Rezept: Sie umgarnt und umarmt die halbe Welt. Man kann ihr einfach nicht böse sein. Die Parteikollegen von der SP nicht. Sie haben keine Alternative zur «harmlosen Linken».
Eine zähe Genossin mit gewerkschaftlichem Engagement und klassenkämpferischem Furor wäre im konservativen Kanton chancenlos. Bruderer beschreibt ihr latentes Aussenseitertum innerhalb der SP so: «Wir sind eine breite Partei, in der unterschiedliche Meinungen Platz haben.»
Aber sie sagt auch: «Ich setze mich mit Engagement für sozialdemokratische Kernanliegen ein: Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, Gleichstellung zwischen Mann und Frau, bessere Arbeitsbedingungen für die ältere Generation.»
Die bürgerliche Mitte mag sie auch: Weil sie offen und zugänglich ist, weil sie Lösungen sucht, mit denen die Mitte bestens leben kann, weil sie angepasst ist und mitunter Positionen wie den partiellen A1-Ausbau vertritt, die genau so gut aus der Küche von CVP oder FDP stammen könnten.
Und selbst die SVP-Basis spricht auf Pascale Bruderer an – vor allem die älteren Männer. Sie erliegen massenhaft ihrem Charme und lassen sich von der jungen Kollegin noch so gerne bezirzen.
Die Unfassbare
Hat Pascale Bruderer Ecken und Kanten? EU-Beitritt? Nein. Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative? Nur so, dass es die Bilateralen nicht gefährdet. Die Wahl eines zweiten SVP-Bundesrats? Bruderer gerät ins Stocken. Die Frage ist heikel, schliesslich will sie die mächtige SVP-Anhängerschaft nicht vergraulen.
Sie formuliert es so: «Die Konkordanz muss nicht nur qualitative, sondern auch wesentliche quantitative Bedingungen erfüllen, darum macht es keinen Sinn, vor den Wahlen über die künftige Zusammensetzung zu reden.» Bruderer lässt sich nicht auf die Äste hinaus. Fast wie Angela Merkel, die Meisterin politischer Inhaltslosigkeit.
Wer so leicht durchs Leben geht wie Bruderer, könnte Ambitionen für Höheres hegen. Bundesrätin Bruderer? «Ich bin im Ständerat am richtigen Platz.» Angela Merkel hätte wohl ähnlich geantwortet. So abwegig freilich ist der Gedanke nicht. Bruderer ist fleissig und detailversessen, sie klemmt sich auch in schwere Dossiers hinein, und sie ist ehrgeizig.
Vor allem aber: Bruderer tut nicht weh, linke Politik in homöopathischen Dosen, wattierte Botschaften ohne Groll und Grimm. Was wollen Bürgerliche mehr? Zukunftsmusik. Jetzt ist Wahlkampf.
Und Bruderer ist präsenter denn je. Nach dreieinhalb Jahren gewiss beharrlichem und stillem Rackern in den Hinterzimmern des Bundeshauses ist sie im richtigen Moment wieder aufgetaucht. Und geht auf alle zu. Umgarnt sie. Umarmt sie. Freund und Feind. Angriffe gegen sie? Fehlanzeige. Die Gegner ahnen: Es bringt nichts.