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Der «Aargauer des Jahres 2017» Markus Wopmann sagt im Siegerinterview, wie er sich das gute Resultat erklärt, was ihm der Preis bedeutet und wieso ein tragischer Fall am Anfang seines Engagements stand.
Die erste Nacht als «Aargauer des Jahres» war kurz, der Schlaf schlecht. Zu aufgewühlt sei er nach der Ehrung an der NAB-Gala gewesen, zu viele Gedanken seien ihm auch Stunden danach durch den Kopf gegangen, sagt Markus Wopmann am Tag danach. Doch der Schlafmangel ist dem Kinderarzt nicht anzusehen, als er am Sonntagvormittag zwischen Frühstück mit der Familie und einem Kindergeburtstag im Newsroom der Aargauer Zeitung zum Interview erscheint.
Herr Wopmann, herzliche Gratulation zum NAB-Award! Wie haben Sie den Gala-Abend erlebt?
Bis eine Minute vor Bekanntgabe des Entscheids war ich nicht nervös, doch auf der Bühne änderte sich das. Als dann mein Name auf der Leinwand eingeblendet wurde, sind mir mindestens 100 Kilogramm von den Schultern gefallen. 1200 Gäste im Saal erhoben sich, um zu applaudieren – ein sehr berührender Moment.
Von den Zuschauern zu Hause und im Saal erhielten Sie über die Hälfte aller Stimmen. Wie erklären Sie sich die hohe Zustimmung?
Bei meiner Arbeit geht es um das Wohl von Kindern, das berührt viele Leute. Kindsmisshandlung ist ein sehr emotionales Thema. Dazu beigetragen hat vermutlich auch, dass sich die Kinderschutzgruppe schon sehr lange in der Region engagiert. Der Preis ist auch das Verdienst der anderen sechs Mitglieder der Kinderschutzgruppe. Ich selbst trage nur einen Teil zum Gelingen bei.
Nun sind Sie «Aargauer des Jahres». Inwiefern können Sie von diesem Titel profitieren?
Ich hoffe, dass die Auszeichnung die Kinderschutzgruppe weiterbringt und das Bewusstsein für das Thema Gewalt an Kindern in der Bevölkerung weiter wächst. Schön wäre, wenn es einen Schub in der Öffentlichkeitsarbeit und somit auch in der Prävention gäbe.
Am Anfang Ihres Engagements stand ein tragischer Vorfall: Ein 3-jähriges Kind starb, nachdem es von seinen Eltern schwer misshandelt worden war.
Damals habe ich als junger Arzt im Kinderspital Zürich gearbeitet und gemerkt, dass wir in keiner Weise auf einen solchen Vorfall vorbereitet waren. Niemand wusste, was zu tun war. Daraus entstand die Kinderschutzgruppe, die ich nach meinem Wechsel ans Kantonsspital Baden auch dort eingeführt habe. So gesehen begann alles mit einem tragischen Zufall.
Wie häufig sind Sie mit Fällen von Kindsmisshandlung konfrontiert?
Gravierende Fälle sind zum Glück selten. Häufiger sind wir mit leichteren Verletzungen konfrontiert, die sich nicht immer sofort auf Misshandlungen zurückführen lassen. Wenn eine Erklärung nicht plausibel erscheint, müssen wir aufmerksam sein. Die wenigsten Mütter und Väter, die ihre Kinder misshandelt haben, geben dies uns gegenüber zu. Umso wichtiger ist es, einen geschärften Sinn zu entwickeln. Denn zentral ist, die Gewalt durch die Eltern in einer frühen Phase zu stoppen.
Warum?
Die Intensität der Gewalt steigert sich häufig mit der Zeit. Die meisten Mütter und Väter, die ihre Kinder schlagen, tun dies nicht aus Sadismus, sondern zur Erziehung. Doch die Schläge verlieren ihre Wirkung schnell, worauf die Eltern mit noch brutalerer Gewalt reagieren – ein Teufelskreis.
Sie beobachteten in den letzten zwanzig Jahren aber auch eine positive Entwicklung. Inwiefern?
Auf verschiedenen Ebenen hat ein Umdenken stattgefunden. Heute wäre es undenkbar, dass Lehrer ihre Schüler mit Gewalt bestrafen. Das Bewusstsein dafür steigt, dass Körperstrafen falsch sind und nichts nützen.
Dennoch gibt es immer noch Eltern, die ihre Hand gegen das eigene Kind erheben. Wieso?
Die häufigste Ursache ist Überforderung – mit dem eigenen Leben, mit der Beziehung, mit dem Kind. Dazu kommt oftmals eine psychische Erkrankung, eine Sucht oder finanzielle Not. Zu glauben, das Problem lasse sich jemals ganz lösen, wäre eine Illusion. Gewalt unter Menschen wird es immer geben und sie wird sich auch immer gegen Kinder richten. Umso wichtiger ist es, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen. Das bleibt die zentrale Aufgabe der Kinderschutzgruppe.
Sie und Ihr Team können nicht allen Kindern helfen. Manchmal seien Ihnen etwa in einer konfliktreichen Scheidung die Hände gebunden, sagen Sie. Wie gehen Sie damit um?
Daran nicht zu verzweifeln, ist unglaublich schwierig. Doch wir können nicht immer die Welt retten. Das ist leider ein Teil der Realität, die wir nicht ändern können. Doch zum Glück besteht mein Alltag als Kinderarzt längst nicht nur aus Fällen von Kindsmisshandlung, das wäre nicht auszuhalten.
Haben Sie sich schon ein Ziel gesetzt für das bevorstehende Jahr?
Nein, dafür ist es zu früh. Das muss ich mir erst noch durch den Kopf gehen lassen. Zuerst geniesse ich den Moment.
Wie beginnen Sie Ihre erste Woche als «Aargauer des Jahres»?
Ganz normal im Spital. Wir führen unsere Arbeit in der Kinderschutzgruppe genau gleich weiter. Den Schwung der Auszeichnung werde ich aber sicher mitnehmen.