Rettungsdienst
Nach dem Todesdrama: Kantonsspital will Abläufe auf Schwachstellen prüfen

Beim tragischen Todesfall einer 71-Jährigen in Fislisbach traf die Ambulanz erst nach 23 Minuten am Einsatzort ein. Die Einsatzleitzentrale will am Freitag Stellung nehmen. Klar scheint aber schon jetzt: Das bestehende System soll überprüft werden.

Urs Moser
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Aufgrund schwerer Kopfverletzungen musste der junge Mann sofort ins Spital gebracht werden (Symbolbild).

Aufgrund schwerer Kopfverletzungen musste der junge Mann sofort ins Spital gebracht werden (Symbolbild).

Schwager

Eine 71-jährige Frau bricht in Fislisbach zusammen. Eine Passantin alarmiert den Rettungsdienst. Vom Kantonsspital Baden aus wäre eine Ambulanz in drei Minuten vor Ort. Bis der Krankenwagen eintrifft, dauert es aber 23 Minuten. Die bewusstlose Frau erleidet einen Herzstillstand und stirbt.

Der Fall, den Tele M1 am Mittwoch schilderte, sorgt für Kopfschütteln. «Leben wir in einer Bananenrepublik und sind nicht fähig, den Notfalldienst richtig zu organisieren?» So und ähnlich kommentierten Leser das Ereignis auf aargauerzeitung.ch.

Zielvorgabe klar verfehlt

Dass eine Notfallpatientin quasi einen Steinwurf von einem Spital entfernt so lange auf Hilfe warten muss, ist auf den ersten Blick tatsächlich schwer verständlich. Aber hat das Rettungswesen wirklich versagt, hätte Hilfe wirklich schneller vor Ort sein können, sein müssen?

Tatsache ist: Die Zielvorgabe des kantonsärztlichen Dienstes wurde im vorliegenden Fall klar verfehlt. Es gilt die 15-Minuten-Regel. Über ein ganzes Jahr gesehen, sollen in mindestens 80 Prozent der Fälle die Rettungsdienste innert 15 Minuten nach Alarmeingang beim Patienten sein. Die tatsächlich erreichte Quote lag in den letzten Jahren minimal über der Norm: bei 81 bis 83 Prozent.

Nur: Als der Alarm von Fislisbach einging, waren beide Ambulanzen des Kantonsspitals Baden besetzt. Eine war bereits zu einem lebensbedrohlichen Notfall gerufen worden und konnte nicht abgezogen werden, der zweite Wagen, der schliesslich nach 23 Minuten in Fislisbach eintraf, kam gerade vom Transport eines Patienten in die Neurologie in Aarau zurück.

«Dieser Notfall wurde im Einzugsgebiet des Kantonsspitals Baden abgeholt, konnte aber in Baden nicht behandelt werden», erklärt Marco Bellafiore, Sprecher des Kantonsspitals Baden (KSB), die Fahrt nach Aarau.

Die Frage ist: War es richtig, auf diesen Wagen zu setzen, oder hätte nicht ein anderer Rettungsdienst aufgeboten werden müssen? Die Einsatzgebiete der Rettungsdienste sind in einem kantonalen Konzept festgelegt, das sich an der 15-Minuten-Regel orientiert.

Es gib auch vor, wer in zweiter Priorität aufzubieten ist, wenn der für ein Gebiet in erster Priorität zuständige Rettungsdienst nicht verfügbar ist. Warum hat die Einsatzleitzentrale, die beim Kantonsspital Aarau angesiedelt ist, also keinen Wagen aus dem näher gelegenen Brugg angefordert, wo ebenfalls ein Rettungsdienst stationiert ist?

Grundsätzlich der Nächste

Vorderhand gibt es nur Fragen und keine Antworten. Nachdem das Kantonsspital Aarau bzw. die Einsatzleitzentrale gestern zunächst eine Stellungnahme zugesagt hatte, kam eine Absage. Die Einsatzleitstelle des Kantons Aargau und das Kantonsspital Baden würden heute in einer gemeinsamen Mitteilung informieren, wurde in Aussicht gestellt. Bis dahin würden keine Anfragen beantwortet.

Zwar ist durchgesickert, dass zu besagtem Zeitpunkt am Dienstag in Brugg Kapazitäten für einen Rettungseinsatz vorhanden gewesen wären, es bleibt aber offiziell unbestätigt.

Ziemlich sicher schneller vor Ort als der von Aarau zurückkommende Wagen des Kantonsspitals Baden und zur fraglichen Zeit verfügbar gewesen wären auch die privaten Rettungsdienste Neeser aus Wohlen und Intermedic aus Berikon.

Wohlen sei nicht aufgeboten worden, weil das System diese Ambulanz für einen Rettungseinsatz in Fislisbach nicht als Rückfallebene vorsieht, hatte die Einsatzleitzentrale am Mittwoch gegenüber Tele M1 erklärt.

Das Departement Gesundheit und Soziales äussert sich nicht zum konkreten Fall. Wie Heini Erne von der Fachstelle Rettungs- und Katastrophenwesen des kantonsärztlichen Dienstes erklärt, sind nur die in erster und zweiter Priorität aufzubietenden Rettungsdienste für das jeweilige Einsatzgebiet verbindlich festgelegt. Danach liege es an der Einsatzleitzentrale, zu beurteilen, welche Lösung die beste ist. Grundsätzlich sei natürlich der nächste verfügbare Rettungsdienst zu alarmieren.

Zwar sehr selten, aber ab und zu komme eine Konstellation wie am Dienstag in Fislisbach halt vor, meinte KSB-Sprecher Bellafiore, bevor die betroffenen Stellen gar nichts mehr sagten. Man werde auf jeden Fall in Zusammenarbeit mit der Einsatzleitzentrale die Prozesse überprüfen, um eventuelle Schwachstellen aufzudecken.