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Kanton Aargau
Coiffeur Rolf Hofmann gehört zu Windisch wie das Amphitheater oder die Klosterkirche. Nach Weihnachten will er aufhören mit dem Haareschneiden - für immer.
«Gosch efang ine. Chasch jo scho mol afo met Schnide», zwinkert Figaro Rolf Hofmann (68) einem Kunden zu, während er einen anderen Gast bei der Türe verabschiedet. Sein Herrensalon Rolf ist legendär: Vom Schulbuben bis zum HTL-Professor schneidet Rolf Hofmann allen die Haare. Zur Kundschaft gehören auch Gemeindeammänner, Regierungsräte und Wirtschaftsbosse.
«Bei mir sind alle gleich – mir ist es egal, was einer ist. Für mich zählt der Mensch.» Wenn die klamme Gemeinde Windisch einen neuen Rasenmäher kauft oder in der Jurastrasse teure Verkehrs-Hindernisse verbaut, Coiffeur Rolf erfährt es als einer der Ersten. Horrende Krankenkassenprämien, kriminelle Ausländer oder der neue US-Präsident Donald Trump – alle Probleme und Sorgen werden mit den Kunden auf dem Coiffeurstuhl diskutiert.
Zuerst habe er Hochbauzeichner werden wollen, doch da habe die Mutter gemeint: «Lehr doch Coiffeur!» Bei Coiffeurmeister Willy Weber an der Zürcherstrasse 16 machte er die Lehre (Herren und Damen) – im gleichen Salon, den er Anfang 1972 mit 24 Jahren übernahm. Nur wenige Jahre kehrte er Windisch den Rücken: Rolf Hofmann arbeitete in Zürich, Buchs (SG), Arosa und Lugano-Paradiso. «Dort schnitt ich eine Saison lang die Haare im ‹Salon Muschi›. Der Laden hiess wirklich so.»
«Damals gab es noch diese Langhaardackel-Frisuren. Die Leute sahen aus wie Indianerhäuptlinge.» Am Anfang kamen viele junge Kunden zu Rolf Hofmann: «Vor dem Militärdienst musste man zum Coiffeur. Die alten Coiffeure haben den Jungen zu viel abgehauen – ich wusste genau, wie lang noch drinlag», sagt das Windischer Coiffeur-Urgestein und grinst.
In den 70er-Jahren war Anmeldung beim Herren-Coiffeur wenig üblich. Rolf Hofmann erinnert sich: «Die Leute fragten mich am Anfang: ‹Besch Du etz en Arzt?› – ‹Nei. Gegenfrage: Wartisch Du gern?› – ‹Nei.› – ‹Ebe›.» Unverblümt und «grad use», aber das Herz immer am rechten Fleck – das ist Rolf Hofmann. Um einen flotten Spruch ist er nie verlegen. «Ich bin ein direkter Typ. Ich sage, was ich denke.» Nur am Feierabend spannt er gerne aus: «Ich schnörre scho de ganz Tag, de beni zobe froh, wenni nüt muess säge!» Früher fischte er im Hallwilersee Egli, relaxte auf dem Campingplatz Mosen. «Andere flogen in die Karibik, mir gefiels an der ‹Costa Mosa›.»
Zehntausende von Autofahrern kannten Rolf Hofmann, wie er bei der Harmonie-Kreuzung im Türrahmen seines Herrensalons stand und zwischendurch eine «Kent Extra» rauchte. «Die Bus-Chauffeure winkten mir alle zu. Als ich plötzlich weg war, fragten sie: ‹Wo besch au? Me gsehnd di nömm!›» Der Kanton hatte das markante Obrist-Haus wegen eines Kreiselbaus zwangsenteignet. Das Gebäude wurde im Mai 2009 abgebrochen.
Dort, wo Rolf Hofmann mehr als 40 Jahre lang die Haare schnitt, gruben bald schon die Archäologen: «Mich nimmt ja wunder, was die ‹Römer-Grübler› unter meinem Salon finden – wahrscheinlich eine römische Coiffeur-Schere von Kaiser Augustus!», orakelte Figaro Rolf damals schalkhaft und hob vielsagend die Augenbrauen. Seit Februar 2009 klappert Rolfs Coiffeur-Schere an der Bergstrasse 2 in Windisch. So ganz gepasst hat ihm der Umzug nicht, aber es musste sein. Seine treuen Kunden atmeten auf: Rolf schnitt weiter, seine flotten Sprüche – dank Rufnummern-Anzeige oft «massgeschneidert» – blieben.
«John Porno, ähhh Buongiorno. Sali Angelo, wenn hesch welle cho? – «8.15, morn? – Das esch super. Ciao, Angelo.» Rolf hängt den Telefonhörer auf und schneidet weiter.
Er kennt seine Kundschaft und seine Kundschaft kennt ihn. «Ich habe oft nur 14 Tage Ferien gemacht im Jahr. Gefehlt hat mir deswegen nichts.» Nach 52 Jahren will Rolf Hofmann nach Weihnachten seine Coiffeur-Schere endgültig an den Nagel hängen: «Irgendeinisch muesch höre.» Seine treuen Stammkunden und Fans können sich noch gar nicht recht vorstellen, dass bald schon wirklich Schluss sein soll mit Haarschnitten by Rolf. Manch einer hofft insgeheim, dass sich irgendwo in der Region ein freier Coiffeur-Stuhl finden lässt, wo Rolf vielleicht noch tageweise mit Schere und Föhn hantiert.
Was kommt danach? Ferien in der Türkei, ein neues Hobby oder ein Selbstfindungs-Trip auf einer Harley-Davidson? «Nüüt eso. Jetzt will ich erst mal meine Ruhe haben und einfach das Nichtstun geniessen», meint Rolf Hofmann. Eben ist ein Kunde mit dem Fahrrad eingetroffen und betritt, den Velohelm noch aufgesetzt, den Salon Rolf. «Sali, Marcel. Chasch de Helm grad aloo. Da goht eifacher. De haui eifach ab, was ondeföre lueget.»