Mord
Mörder vor Gericht: «Ich werde es solange bereuen, wie ich lebe»

Im März 2011 erstach ein Kosovare im Aarauer Damm-Quartier seine Frau. Die Kinder waren am Prozess anwesend. Nicht alle wollten ihrem Vater gegenübertreten. Das Bezirksgericht verurteilte den Mörder zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren.

Aline Wüst
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Der Polizist, der plötzlich im Warteraum des Gerichts steht, fällt auf. Der Mann daneben nicht. Ein kleiner, alter Herr mit grauen Haaren und weissem Schnurrbart. Freundlich lächelnd, in Handschellen.

Er hat seine Ehefrau im März 2011 «kaltblütig abgeschlachtet», wie der Staatsanwalt in seinem Plädoyer sagt. Dafür wurde der 62-jährige Kosovare am Mittwoch wegen Mordes vom Bezirksgericht Aarau zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren verurteilt.

Vor Gericht erscheinen fünf seiner insgesamt sieben Kinder. Drei Töchter verlangen, dass ihr Vater den Saal verlässt, wenn sie befragt werden. Sie wollen den Mörder ihrer Mutter nicht sehen.

Einzeln werden die vier Töchter vom Gerichtspräsidenten befragt. Die Aussagen der jungen Frauen sind berührend: «Im Grossen und Ganzen waren wir eine gute Familie», sagt eine. Eine andere meint: «Meine Mutter hatte keinen schönen Tag in ihrem Leben.»

Der Vater sei eifersüchtig gewesen. Sie erzählen aber auch von den schönen Momenten mit ihrem Vater. Einig sind sich die vier Frauen darin, dass ihre Mutter eine gute, anständige Frau war.

Alle sagen, dass ihr Vater wiederholt erwähnte, dass er ihre Mutter umbringen werde. Dann werde er ins Gefängnis gehen und dort ein schönes Leben haben.

Die Kinder hatten sich an die Drohungen des Vaters gewöhnt. Und sie sagten vor Gericht: «Ich meine, er ist mein Vater. Nie hätte ich gedacht, dass er es wirklich tut.»

Mit 23 Messerstichen

Er tat es. Mit 23 Messerstichen tötete ihr Vater die Mutter. Über den genauen Tathergang gibt es verschiedene Versionen. Der Kosovar erzählt vor Gericht etwas anders, als in früheren Einvernahmen. Seine Version von Mittwoch: Er sei früh morgens aufgestanden, fuhr mit dem Auto durch Aarau, trank einen Kaffee.

Er war seit längerer Zeit arbeitslos, hoffte jeden Tag aufs Neue, dass ihn das Temporärbüro anrufen würde. Etwas um halb acht Uhr morgens ging er bei einer Autogarage vorbei. Der Inhaber war ein Freund von ihm.

Dann fuhr er nach Hause, wo er um 8.45 Uhr eintraf. Seine Frau war allein. Sie schälte Kartoffeln. Es kommt zum Streit. Er behauptet, sie habe ihn attackiert. Davon sei ihm schwarz geworden vor Augen.

Er habe die Kontrolle verloren. Als er wieder zu sich gekommen sei, lag seine Frau blutüberströmt am Boden. Er habe sich umgezogen und geschrien: «Oh mein Gott, ich habe meine Frau umgebracht.»

Dann stieg er ins Auto und fuhr zum Polizeiposten. Gestand die Tat. Es war 9.37 Uhr, als er dort verhaftet wurde. Die Befragung vor Gericht dauert lange, weil alles übersetzt werden muss und weil der Gerichtspräsident oft nachhaken muss. Die Stimmung ist angespannt, der Gerichtssaal überfüllt, weil noch zwei Schulklassen die Verhandlung verfolgen.

Der Gerichtspräsident will vom Mörder wissen, ob er seine Frau oft geschlagen habe. «Nie», antwortet er. Ob er gedroht habe, sie umzubringen? «Nein.»

Der Staatsanwalt zeichnete das Bild eines eifersüchtigen Ehemanns auf, der seiner Frau stets unterstellte, eine Beziehung mit einem anderen Mann zu führen. Wie sich herausstellte, war er es selber, der eine sexuelle Beziehung mit einer viel jüngeren afrikanischen Frau hatte.

Nur eine der vier anwesenden Töchter pflegt noch Kontakt zum Vater. Sie umarmt ihn im Gerichtssaal. Sie sagt: «Er ist und bleibt mein Vater. Was er gemacht hat, ändert nichts daran.» Sie bleibt während der ganzen Verhandlung im Saal. Man sieht ihr an, wie sie hin und her gerissen ist zwischen Wut und Mitleid für ihren Vater.

Zum Schluss steht der Kosovar auf. In unsicherem Deutsch liest er eine kurze Rede vor: «Ich möchte mich bei meinem Kindern dafür entschuldigen, was ich ihrer Mutter angetan habe. Ich bereue es. Ich werde es so lang bereuen, wie ich lebe.»