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Der SP-Regierungsratskandidatin wird Versagen als Sozialvorsteherin in Wettingen vorgeworfen. Es geht um eine Organisationsanalyse der sozialen Dienste, die in Auftrag gegeben wurde und deren Ergebnisse der Präsident der Finanzkommission als «erschütternd» bezeichnet.
Franziska Roth verweist auf ihre Personalverantwortung am Bezirksgericht Brugg, Maya Bally streicht ihre leitenden Funktionen für verschiedene grosse Unternehmen heraus. Führungserfahrung und -kompetenz sind wichtige Argumente, die von den Kandidatinnen für den zweiten Wahlgang der Regierungsratswahlen in die Waagschale geworfen werden.
Ein grosses Plus von SP-Nationalrätin Yvonne Feri: Als Gemeinderätin von Wettingen, der zweitgrössten Aargauer Gemeinde, verfügt sie auch über langjährige Exekutiverfahrung. Und als Leiterin des Ressorts Soziales betreut sie genau die Dossiers, die sie mit grösster Wahrscheinlichkeit auch als Regierungsrätin, als Vorsteherin des Departements Gesundheit und Soziales, weiter beschäftigen würden. Bessere Voraussetzungen kann man eigentlich kaum mitbringen.
Doch wenige Tage vor der Wahl wird nun ihre Kompetenz in genau diesem Bereich infrage gestellt. Es geht um eine Organisationsanalyse der sozialen Dienste, die in Wettingen parallel und vertiefend zum Projekt LOVA 2 (leistungsorientierte Verwaltungsanalyse) in Auftrag gegeben wurde.
«Erschütternd» soll der Befund ausgefallen sein, der Bericht des Berner Büros social-design AG zeigt angeblich «deutlich auf, dass die Führung komplett versagt hat», heisst es in einem Protokollauszug, der in den letzten Tagen gestreut wurde.
Der Bericht behandelt zwar explizit die operative Leitung der sozialen Dienste, aber ein solches Urteil fällt natürlich auf die letztlich verantwortliche Ressortleiterin, also Regierungsratskandidatin Yvonne Feri zurück. Würde man jemandem Regierungsverantwortung übertragen wollen, der einen so maroden Laden führt? Wohl kaum.
Der Haken an der Sache: Der besagte, im September abgelieferte Bericht ist vertraulich. Weder können sich die Wähler ein eigenes Bild davon machen, ob er tatsächlich als derart vernichtend zu beurteilen ist, noch kann die an die Vertraulichkeit gebundene Gemeinderätin Yvonne Feri konkret auf den Inhalt eingehen, um die Vorwürfe allenfalls zu entkräften.
Das Fazit «erschütternder Befund» und «Führung komplett versagt» stammt von Christian Wassmer, dem Präsidenten der Wettinger Finanzkommission, die Einsicht in den Bericht hatte. Der CVP-Mann äusserte sich mit diesen Worten an der Einwohnerratssitzung vom 20. Oktober, also wenige Tage vor dem ersten Wahlgang der Regierungsratswahlen.
Nur nahm das ausserhalb des Gemeindeparlaments kaum jemand zur Kenntnis. Inzwischen liegt aber der Protokollentwurf zu dieser Einwohnerratssitzung vor, und nun ist ein Ausschnitt mit der für Yvonne Feri wenig schmeichelhaften, womöglich vernichtenden Passage im Umlauf und wurde aus den Reihen ihrer Gegner auch der az zugespielt.
Ein hoch brisantes Dokument oder ein plumpes Manöver, um in letzter Minute unentschlossene Wähler auf den richtigen, den rechten Weg zu bringen? Einwohnerrat und Finanzkommissionspräsident Christian Wassmer steht zu seinen Worten. Die Aussagen habe er im Rahmen der Prüfung des LOVA-Geschäfts im Namen der Fiko gemacht. Wenn vielleicht auch nicht für alle Mitglieder, spreche er aber «garantiert» für die klare Mehrheit der Kommission, sagt Wassmer.
Die Regierungsratskandidaten des 2. Wahlgangs und ihre politische Position:
Der Bericht zu den sozialen Diensten zeige schonungslos die Mängel auf. Ihm stösst unter anderem sauer auf, dass Wettingen nicht nur eine überdurchschnittlich hohe Sozialhilfequote hat (wofür weder die politische Führung noch die operative Leitung der sozialen Dienste verantwortlich zu machen wäre), sondern auch überdurchschnittlich hohe Kosten pro Fall aufweise.
Ins Detail geht auch Wassmer mit Verweis auf die Vertraulichkeit des Berichts von social-design nicht, aber er spricht von hoher Fluktuation und fehlender Führung. Bei solchen Problemen sei die zuständige Ressortleiterin des Gemeinderats gefragt und in der Verantwortung.
Gemeindeammann Markus Dieth hält die Beurteilung der Organisationsanalyse durch seinen Parteifreund für doch etwas übertrieben und dramatisiert. So gehöre zum angeblich «erschütternden Befund» zum Beispiel, dass sich Mitarbeitende der sozialen Dienste über die fehlende Klimatisierung ihrer Büros beklagten.
Die Wahl in den Regierungsrat hat Dieth zwar schon auf sicher, die Kritik an seiner potenziellen Regierungskollegin könnte im Nachhinein aber bis zu einem gewissen Grad auch auf ihn selbst zurückfallen. Denn in Wettingen ist der Gemeindeammann der oberste Personalverantwortliche, er und nicht die ressortverantwortlichen Gemeinderäte führt zum Beispiel die Personalgespräche mit den Abteilungsleitern.
Und der Leiter der sozialen Dienste nahm im Spätsommer 2015 den Hut. Das habe zu einem Führungsvakuum (die Stelle ist seit Februar wieder besetzt) und Unstimmigkeiten im Team geführt, räumt Yvonne Feri ein.
Für sie zeigt der Bericht – den sie im Übrigen selbst initiiert habe – allerdings weniger Führungsmängel, sondern vielmehr die Probleme auf, auf die sie selber immer wieder hingewiesen habe. Sie spricht damit die in einer schlanken Verwaltung wie der von Wettingen schnell in Überlastung mündende Mehrbelastung durch neue Aufgaben wie etwa im Kinder- und Erwachsenenschutzrecht an. Dadurch drohe die Qualität der Arbeitserfüllung zu leiden.
Und dafür würden alle Ebenen, der Gesamtgemeinderat und das Gemeindeparlament, in der Verantwortung stehen, so Yvonne Feri. «Ich bin froh über den Bericht, damit haben wir jetzt eine neutrale Situationsanalyse schwarz auf weiss.»