Oberwil-Lieli
Kritische SVP-Stimmen: «Oberwil-Lieli stellt sich mit diesem Entscheid selbst ins Abseits»

Der demokratische Entscheid von Oberwil-Lieli, keine Asylbewerber aufnehmen zu wollen, sorgt für Kritik – aber auch für Unterstützung von unerwarteter Seite.

Manuel Bühlmann
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Im Zentrum des Medieninteresses: Oberwil-Lielis Gemeindeammann Andreas Glarner posiert am Tag seines Abstimmungserfolgs für die Kameras.

Im Zentrum des Medieninteresses: Oberwil-Lielis Gemeindeammann Andreas Glarner posiert am Tag seines Abstimmungserfolgs für die Kameras.

Keystone

Ein Dorf kauft sich frei: 290 000 Franken budgetiert Oberwil-Lieli, um keine Asylbewerber aufnehmen zu müssen.

Ein knapper Volksentscheid, der die Gemeinde und ihren Ammann in die Schlagzeilen nationaler Medien brachte.

110 statt 10 Franken kostet die Ersatzabgabe seit Januar – pro Tag und zugeteilter Person.

Kein Problem für Oberwil-Lieli, dessen 2200 Einwohner sich über den tiefsten Steuersatz im Kanton freuen dürfen.

Ein Beispiel, das Schule machen soll. Zumindest wenn es nach Gemeindeammann und SVP-Nationalrat Andreas Glarner geht.

Im «TalkTäglich» von Tele M1 sagte er: «Es wäre spannend, wenn andere Gemeinden auch das Volk fragen würden: Wollt ihr zahlen oder Asylbewerber aufnehmen?»

Die Frage drängt sich deshalb auf, ob das «Juwel vom Mutschellen», wie sich die Gemeinde selber nennt, zum Vorbild im Kanton werden könnte. Und: Kommt die Solidarität an ihre Grenzen?

Hinweise darauf, dass das Abstimmungsergebnis Signalwirkung haben könnte, gebe es nicht, sagte die grüne Regierungsrätin Susanne Hochuli im Interview mit der Aargauer Zeitung. «Oberwil-Lieli ist nach heutigem Stand der Dinge ein Einzelfall.»

Dennoch kritisiert Hochuli den Entscheid als unsolidarisch. «Letztlich ist die Erfüllung der Aufnahmepflicht stets eine Frage der Solidarität.»

Nehmen die Gemeinden die ihnen zugeteilten Personen nicht auf, müssen diese in anderen Dörfern und Städten des Kantons untergebracht werden.

Für Solidarität unter den Gemeinden spricht sich auch Renate Gautschy immer wieder aus.

Die Präsidentin der Aargauer Gemeindeammännervereinigung nimmt nun aber Oberwil-Lieli in Schutz: «Solidarität ist auf unterschiedliche Art möglich – auch durch das Zahlen einer Ersatzabgabe.»

Das revidierte Gesetz sehe diese Option vor. Dort heisst es: «Die Gemeinden sind nach Massgabe ihrer schweizerischen Wohnbevölkerung verpflichtet, die in ihre Zuständigkeit fallenden Personen aufzunehmen.»

Für den Fall, dass diese Pflicht nicht erfüllt wird, droht die Ersatzvornahme, ein Betrag in der Höhe der real entstehenden Kosten.

Vielen Gemeinden fehlt das Geld

«Das ist nicht unsolidarisch, das ist rechtens», sagt deshalb Renate Gautschy. «Ich verstehe die Kritik an Oberwil-Lieli nicht. Es ist unfair, die Bewohner für ihren Entscheid zu kritisieren.»

Das Thema müsse sachlich, nicht theatralisch behandelt werden.

«Die Gemeinden sind mit der Aufnahme von Asylbewerbern von A bis Z gefordert. Die Folgen können und müssen durchaus zu denken geben, etwa bei den Sozialhilfekosten oder bei der Integrationsarbeit.»

Gautschy glaubt nicht, dass weitere Gemeinden dem Beispiel folgen und über die Frage «zahlen oder aufnehmen?» abstimmen lassen werden. «Die Mehrheit bemüht sich, die Aufnahmepflicht zu erfüllen.»

Eine Umfrage bei SVP-Gemeindeammännern im Kanton zeigt: Eine Nachahmung im grossen Stil wird es kaum geben.

Der Tenor: kein Geld für die Ersatzabgabe. «Wir können uns das nicht leisten», sagt – stellvertretend für die grosse Mehrheit der Angefragten – Roger Fricker, Gemeindeammann in Oberhof.

Verständnis für Glarner und Oberwil-Lieli äussern neben ihm auch andere SVP-Ammänner. Otto Moser, Gemeindeammann in Staufen, etwa sagt: «Das Gesetz überlässt den Gemeinden den Entscheid, ob sie zahlen oder Asylbewerber aufnehmen wollen.»

Allerdings werden durchaus auch kritische Stimmen aus der eigenen Partei laut.

Regine Leutwyler, SVP-Gemeindeammann in Gipf-Oberfrick, ruft zur Solidarität unter den Gemeinden auf: «Wir müssen das alle miteinander tragen.»

Zum aktuellen Beispiel von Oberwil-Lieli sagt sie: «Wenn sie diesbezüglich einen separaten Zug fahren, stellen sie sich selbst ins Abseits.» Viele Nachahmer werde das Beispiel kaum finden, bei vielen scheitere es – wie bei Gipf-Oberfrick – bereits am Geld. «Kleine Gemeinden können diesen hohen Betrag gar nicht aufbringen.»

Ähnlich tönt es auch in Erlinsbach. Der Entscheid gegen die Ersatzvornahme sei schnell gefallen, sagt Gemeindepräsident Markus Lüthy. «Dafür fehlt uns das Geld.»

Rund eine halbe Million Franken müsste Erlinsbach jährlich zahlen. Es gebe sicher auch andere Gemeinden, die sich diese Option überlegen.

«Würden viele Gemeinden so handeln, würde das zum Problem.» Und Patrick Gosteli, SVP-Gemeindeammann in Böttstein, sagt: Der Entscheid Oberwil-Lielis gelte es zu respektieren. Gosteli ist der Meinung, es handle sich dabei um einen Einzelfall.

«Sollte dies allerdings überhandnehmen, müsste die Option der Ersatzabgabe wieder diskutiert werden.»

In Böttstein sei dies nie ein Thema gewesen und werde das auch in Zukunft nicht sein. «Seit Jahrzehnten haben wir hier eine Tradition, Asylbewerber aufzunehmen – im Sinne der Solidarität unter den Gemeinden.»

Die Ersatzabgabe als letzte Option

Auch der Lupfiger Ammann Richard Plüss sagt: «Wir sind der Meinung, dass eine Gemeinde auch ein Stück in der Pflicht steht, Asylanten aufzunehmen.»

Die Ersatzabgabe sei zurzeit noch kein Thema, könnte aber zu einem werden. Sobald keine Wohngelegenheiten mehr verfügbar seien, müsse auch diese Möglichkeit abgewogen werden.

Davon Gebrauch machen musste Dürrenäsch. Die Gemeinde hat dafür einen Betrag budgetiert.

Der Grund: Schwierigkeiten bei der Suche nach Räumlichkeiten. In der Zwischenzeit sei man aber fündig geworden, sagt Markus Boos. «Wir können unserer Verpflichtung ab drittem beziehungsweise viertem Quartal nachkommen, dies in einer gemeindeeigenen Liegenschaft. Ein entsprechendes Schreiben geht diese Tage an den Kanton.»

Der einbudgetierte Posten wäre ohnehin zu klein gewesen – inzwischen ist die Zahl der zugeteilten Personen bereits von drei auf fünf gestiegen.