1. Mai
Klima, Klassenkampf und Frauenrechte: Wie Wermuth und Müri ihren Wahlkampf eröffneten

Am Tag der Arbeit lancieren im Aargau die linken Kandidaten für den Ständerat offiziell ihren Wahlkampf. Den Anfang machte SP-Kandidat Cédric Wermuth in Baden. Ruth Müri folgte in Aarau für die Grünen.

Stefania Telesca
Drucken
Rund 200 Personen demonstrierten am Tag der Arbeit in Baden.
14 Bilder
Ganz vorne mit dabei waren auch die Ständeratskandidaten Ruth Müri (Grüne, ganz links) und Cédric Wermuth (SP, 2. von rechts).
1. Mai 2019 in Baden
Lelia Hunziker (links) und Florian Vock (rechts) wollen für die SP in den Nationalrat.
Vor der 1.Mai-Demo hielt der Cédric Wermuth eine Rede. Dabei sprach er nebst der Klimaproblematik auch die Ungleichheiten in der Wirtschaft an.
Die Demonstranten ziehen mit roten Fahnen durch Baden.
Die Ansprachen fanden auf dem Theaterplatz in Baden statt.
"Runter mit den Boni, rauf mit den Frauenlöhnen." Der 1.Mai-Umzug erreicht den Bahnhofsplatz in Baden.
Am frühen Abend fand die 1.Mai-Feier am Holzmarkt in Aarau statt. Die Grüne Ständeratskandidatin Ruth Müri hielt ihre Ansprache hier.
Nach dem Umzug in Baden, war sie am Abend auch in Aarau an der 1. Mai-Demo in Aarau mitgelaufen.
Ruth Müri kandidiert für den Ständerat.
Kinder und Erwachsene lauschen den Ansprachen am Holzmarkt.
Auch in Aarau lief die 1.Mai-Demo ohne Zwischenfälle ab. Kinder bewundern den Polizisten, der vor dem Umzug mitläuft.
Redner Endo Anaconda brachte die Zuhörer mehr als einmal zum Schmunzeln.

Rund 200 Personen demonstrierten am Tag der Arbeit in Baden.

Alex Spichale

Er wird diese Rede bis zum Ende des Tages dreimal gehalten haben, den Anfang macht Cédric Wermuth auf dem Theaterplatz in Baden. Mehr als 200 Menschen haben sich zur 1.-Mai-Feier versammelt. Der Sozialdemokrat hatte den Tag auf Facebook als Start seiner Kampagne angekündigt.

«Die Klimakrise ist fundamental eine Krise der Ungleichheit», sagt Wermuth und setzt in der ersten Hälfte seiner Ansprache auf die Problematik der steigenden Co2-Emissionen. «60 Prozent aller Emissionen, die die Schweizer Bevölkerung verursacht, sind in Produkten, die im Ausland ausschliesslich für unseren Konsum produziert wurden.»

Wermuth betont die Leistung der jungen Klimaaktivisten: «Diese Generation beweist mehr Reife als die gesamte politische Elite.» Er erntet Applaus. Die Schuld für die schlechte Co2-Bilanz gibt er einem Weltwirtschaftssystem, das eine Profitmacherei mit Öl und Kohle erlaubt: «71 Prozent der weltweiten Emissionen werden von 100 Firmen und ihren Produkten verursacht.»

Arbeiterklasse gegen Kapitalisten

Dabei sässen nicht alle im gleichen Boot, sagt der Ständeratskandidat und kommt auf Klassenunterschiede zu sprechen: «Die 10 Prozent reichsten verursachen auch bei uns in etwa gleich viel Co2-Emissionen wie 50 Prozent der Gesellschaft zusammen.»

Die Ungleichheit nehme stetig zu, auch beim Vermögen der Bevölkerung. Dies sei nicht nur «irgendwo in Afrika» der Fall, sondern auch in der Schweiz. «Der Chef der Credit Suisse verdiente letztes Jahr 13 Millionen Franken.» Eine Aargauer Lehrerin müsse, um das Gleiche zu verdienen wie er in zehn Jahren, 45 Jahre arbeiten und 23 Mal wiedergeboren werden.

Die Ungleichheit falle nicht vom Himmel, sondern sei ein Ergebnis von 30 Jahren Politik der «schamlosen Selbstbereicherung». Während Unternehmen in der Schweiz mit zu tiefen Steuersätzen belohnt würden, litten diejenigen, die in der Gesellschaft oft als unproduktiv bezeichnet werden: Lehrpersonen, Pflegepersonal, Frauen, die sich zu Hause um Kinder kümmern. Wermuth betont die Wichtigkeit dieser Menschen: «Würden diese Personen morgen um 8 Uhr in den Streik treten, würde unsere Gesellschaft eine Viertelstunde später zusammenbrechen.»

Es brauche endlich Politiker in den Räten, die für diese Menschen in der Schweiz lobbyieren: «Zu lange haben wir es zugelassen, dass die Lobbyisten der Grosskonzerne die Politik in Bern entschieden haben. Damit muss und kann Schluss sein.»

Mobilisieren für die Frauen

Nach seiner Rede läuft Wermuth beim Umzug durch Baden genauso mit wie seine Mitbewerberin um die zwei frei werdenden Aargauer Ständeratssitze, die grüne Badener Stadträtin und Grossrätin Ruth Müri.

Die 47-jährige hat im Vergleich zu Wermuth noch keine Erfahrungen in Bundesbern. Trotzdem rechnet sie sich im Ständeratswahlkampf Chancen aus. In einem Interview mit der AZ sagte sie im Oktober, sie glaube, mit ihrem Profil für einen grossen Teil der Bevölkerung wählbar zu sein: «Ich habe keine Berührungsängste mit Vertretern der Wirtschaft und bringe auch beruflich diesen Background mit.»

Es überrascht deshalb wenig, als sie am frühen Mittwochabend in ihrer 1.-Mai-Ansprache in Aarau im Vergleich zu Wermuth keine klassenkämpferischen Töne anschlägt. Die Grüne Kandidatin trägt unter dem schwarzen Blazer ein violettes T-Shirt, das auf den Frauenstreik am 14. Juni hinweist. Die Frauenfrage ist in ihrer Rede das Hauptthema: «Der erste Mai ist für mich ein guter Tag, um Forderungen aus Sicht der Frauen zu stellen.» Müri erzählt, wie sehr sie der erste landesweite Frauenstreik vor fast dreissig Jahren beeindruckt und politisch beeinflusst habe. Umso frustrierender sei es, dass man heute noch für die effektive Gleichstellung der Geschlechter kämpfen müsse: «Es braucht endlich griffigere Massnahmen. Wir Frauen fordern gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.»

Müri, die sich in ihrer bisherigen politischen Karriere stark um bildungspolitische Themen gekümmert hat, spricht auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf an: «Es braucht familienergänzende Betreuungsangebote, die hochwertig und bezahlbar sind.»

Müri kommt auch direkt auf die Ständeratswahlen zu sprechen: «Mit einem Anteil von 15 Prozent im Ständerat sind die Frauen in der Politik krass untervertreten», kritisiert sie. Im linken Lager ist Müri die einzige Frau im Aargau, die für den Ständerat kandidiert. Pascale Bruderer (SP) tritt nach acht Jahren in der kleinen Kammer Ende Jahr zurück. «Wir fordern von den Parteien, dass sie Listen und politische Ämter zur Hälfte mit Frauen besetzen», sagt Müri und erntet Applaus.