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Kanton Aargau
Der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg sagt, wie die Reformierte Landeskirche Mitglieder zu halten versucht. Und warum es richtig ist, dass bei der Gotthardtunnel-Segnung jetzt doch auch eine reformierte Pfarrerin dabei ist.
Christoph Weber-Berg: In der Zeit, als der moderne schweizerische Bundesstaat begründet wurde, haben sich auch die Aargauer Reformierten eine neue synodale Kirchenverfassung gegeben. Die Synode ist das höchste kirchliche Leitungsgremium. Es übt von der Mitgliederbasis her die Kontrolle über die kantonale Kirchenleitung aus, der ich vorstehe. Unsere Kirche ist rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet. Diese Kirchenverfassung spiegelt auch die Aufbruchsstimmung im 19. Jahrhundert, auf dem unser Rechtsstaat gründet.
Das bedeutet, dass unsere Kirche mit den Grundwerten des demokratischen Rechtsstaats und der Aufklärung versöhnt ist. Man hat damals weitsichtige und heute noch zukunftsfähige Grundlagen gelegt: Aufgeklärte Rationalität, Meinungsvielfalt und demokratisch eingebettete Toleranz stehen nicht im Widerspruch zum christlichem Glauben. Im Gegenteil: Zusammen bilden sie ein gutes Wertefundament für unsere Gesellschaft.
Tatsächlich gehen die Studierendenzahlen zurück, wir ordinieren weniger Pfarrer als vor 25 Jahren, als ich angefangen habe. Mit dem Quereinsteigerstudiengang haben wir jetzt aber für Leute, die mitten im Berufsleben stehen, eine neue Möglichkeit geschaffen. Wir konnten erstaunlich viele für dieses Studium gewinnen, und hoffen, so zusätzliche Pfarrerinnen und Pfarrer zu gewinnen. Trotzdem zeichnet sich in den nächsten 10, 15 Jahren ein zunehmender Pfarrermangel ab.
Wir verlieren leider auch Kirchenmitglieder. Deren Zahl schrumpft aber im Verhältnis weniger als die der Pfarrpersonen. Künftig muss eine Pfarrerin oder ein Pfarrer wohl mehr Mitglieder betreuen. In einigen Gemeinden ist das heute schon so.
Diesen Trend können wir nicht auf kurze Frist stoppen. Wir haben aktive Mitglieder und auch viele, die wenig Kontakt zur Kirche haben, aber dazugehören und weiter ihren Beitrag dazu leisten wollen. Mit ihnen müssen wir unbedingt besser kommunizieren, ihnen unsere Wertschätzung zeigen, und zeigen, was die Kirche alles macht. Das geht weit über Gottesdienste und Seelsorge hinaus. Ihre Mitgliedschaft ist für uns in jeder Hinsicht wertvoll. Aber natürlich versuchen wir auch, mit unseren Aktivitäten und vielfältigen Gottesdiensten so attraktiv zu sein, dass sich mehr Menschen beteiligen möchten.
Der Gottesdienstbesuch ist für viele nicht mehr selbstverständlich. Es gilt immer wieder neu zu überlegen, wie wir unseren Glauben so gestalten und feiern, dass er für viele Menschen verständlich und attraktiv ist. Die Musik ist tatsächlich ein Element, mit dem der Gottesdienst näher an der emotionalen Befindlichkeit der Leute gefeiert werden kann. Es haben eben nicht mehr alle einen Zugang zu klassischer Kirchenmusik. Martin Luther hat einst Volksliedmelodien geistliche Texte unterlegt. Heute ist die Aufgabe im Grunde dieselbe: Wir müssen unsere traditionellen Inhalte mit moderneren Melodien verbinden.
Im Aargau hat die Reformation zwar erst 1528/29 Einzug gehalten. Doch wir feiern nächstes Jahr mit Freude mit. Wir nehmen 2017 zum Anlass, unseren
Glauben im Geist der Reformation neu zu überdenken und uns zu vergewissern, wie wir Kirche sein wollen.
Wir haben zum Beispiel Gottesdienstliturgien in drei verschiedenen Musikstilen neu vertont: klassisch, mit Popmusik und mit Volksmusik. Ausserdem haben wir ein musikalisches Krippenspiel für Kinder komponieren lassen. Historiker arbeiten die Geschichte der Reformation im Aargau auf. Zur Frage, wie die Reformation damals eingesickert ist, kamen ganz spannende Dinge zutage, über die ich aber noch nichts Näheres sagen will. Ein grosser Festakt ist nicht geplant, aber am Reformationssonntag wird – neben vielen besonderen Gottesdiensten in den Gemeinden – in diesem Jahr zum ersten Mal auch ein kantonaler Gottesdienst gefeiert.
Kardinal Koch hat wiederholt gesagt, man müsse wegen der damaligen Kirchenspaltung Busse tun. Damit bin ich nicht einverstanden. Wir müssen Busse tun für alle Chancen, die wir seither verpasst haben, einander die Hand zu reichen und uns trotz Unterschieden auf Augenhöhe als Kirchen zu begegnen.
Ja, das war ein Problem, weil zwei grosse Kirchen immer noch rund zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung repräsentieren – und das darf auch bei einem solchen Ritual sichtbar werden. Der frühere Einsiedler Abt Martin Werlen hätte bestimmt für alle Christen gesprochen. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Doch dass jetzt neben ihm auch eine Frau und Vertreterin der reformierten Kirche dort stehen wird, ist ein stärkeres Zeichen der Einheit und Verbundenheit der Christen in der Schweiz – über konfessionelle Grenzen hinweg.