Pilotprojekt
Keine Freistunde, wenn Lehrer flach liegt: Kanton setzt auf «Springer»

Schulfrei, wenn der Lehrer krank ist: Damit soll an immer mehr Aargauer Schulen bald Schluss sein. Das Bildungsdepartement BKS forciert die Einführung von fest angestellten Stellvertretungen. Einer dieser ersten «Springer» ist Stefan Voramwald.

Pascal Meier (Text und Foto)
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Stefan Voramwald: «Mein Job ist extrem abwechslungsreich.»

Stefan Voramwald: «Mein Job ist extrem abwechslungsreich.»

Pascal Meier

Die E-Mail landet am Freitag um 18.10 Uhr in der Mailbox von Stefan Voramwald. Absender: Schulleitung Seengen. Die Lehrerin Cécile Hofer (Name geändert) liegt mit Fieber im Bett, an Unterricht ist kommende Woche nicht zu denken.

Damit ist auch Stefan Voramwalds Wochenende gelaufen. Mehrere Stunden wälzt der 30-jährige Lehrer Mathematik- und Französisch-Literatur und stellt das entsprechende Lernmaterial zusammen. Am Montag steht er um 8 Uhr als Stellvertreter vor Cécile Hofers Schulklasse.

«Springer» an der Schule

Schulen mit einer Grösse von über 600 Schülern können alleine oder in Zusammenarbeit mit maximal zwei Partnerschulen sogenannte «Springer» anstellen. Damit sollen kurzfristige Ausfälle von Unterrichtslektionen vermieden werden, was Schulleitung und Lehrer entlastet.

In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben drei Aargauer Schulen Erfahrungen mit «Springern» gesammelt. Das System hat sich laut dem Bildungsdepartement BKS bewährt und soll deshalb ausgebaut werden. Das Problem: Es ist schwierig, Lehrer zu finden, die sich für diese Art des Unterrichts eignen und sich dabei wohlfühlen. (pi)

«Ich bin kein Super-Lehrer»

Ohne eigene Schulklasse und persönlichen Stundenplan ist Stefan Voramwald ein Exot im Lehrerzimmer. Stattdessen steht er den Schulleitungen von Seengen und Seon von Montag, 8 Uhr, bis Freitag, 17 Uhr, frei zur Verfügung. «Diese Art des Unterrichtens ist extrem spannend und abwechslungsreich», sagt Voramwald, der bislang rund 60 Lehrer vertreten hat. Der kürzeste Einsatz dauerte zwei Stunden, der längste zwei Monate.

Algebra, Französisch, Sport oder Physik: Stefan Voramwald unterrichtet jedes Schulfach. Ist er damit ein Super-Lehrer? «Nein, auch ich koche nur mit Wasser», sagt Voramwald. «Ich muss nicht jede Lehrkraft vollwertig ersetzen können, das wäre unmöglich.» Vielmehr sei es seine Aufgabe, den Unterricht aufrechtzuerhalten, was Schulleitung und betroffene Lehrer entlastet.

«Springer» bringt Ruhe in Schule

Entlastung: Das ist laut dem Seenger Schulleiter Urs Bögli auch einer der Hauptvorteile des «Springer»-Modells: «Stefan Voramwald bringt Kontinuität und Ruhe in den Schulbetrieb», sagt Bögli. Erkrankte Lehrer könnten so ohne schlechtes Gewissen im Bett bleiben – «und zwar ohne den Druck, schnell wieder gesund zu werden und den versäumten Stoff nachholen zu müssen».

Zeit zum Däumchendrehen, wenn im Kollegium gerade keine Grippe grassiert, hat Stefan Voramwald selten: «Bei über 70 Lehrkräften, die mit unterschiedlichen Pensen bei uns arbeiten, gibt es oft Ausfälle.» Und wenn er doch einmal nicht gebraucht wird, kompensiert dies die Vorbereitungszeit nach Feierabend und am Wochenende.

«Ich weiss auch nicht alles»

Obwohl sein Job enorme Flexibilität voraussetzt: Das Wasser, in das Stefan Voramwald immer wieder kurzfristig geworfen wird, ist selten eiskalt. «Meistens kann ich auf ein vorbereitetes Programm zurückgreifen.» Und falls nicht, sei dies kein Problem: «Ich bin ehrlich zu den Schülern und gebe offen zu, dass ich etwas nicht weiss. Wir suchen dann gemeinsam die Lösung.»

Überhaupt würden die Schüler gut reagieren, wenn er überraschend vor die Klasse trete. «Sie haben sich inzwischen an mich gewöhnt», sagt Voramwald. Natürlich hätten einige Pappenheimer zu Beginn etwas die Nase gerümpft, weil die Zeit der Freistunden vorbei war. «Inzwischen hat sich das System aber gut eingespielt und ich werde als vollwertiger Teil des Kollegiums akzeptiert.» Das habe im Gegensatz zu ständig wechselnden, externen Stellvertretungen einen weiteren entscheidenden Vorteil: «Die Schülerinnen und Schüler tanzen mir nicht auf der Nase herum.»

Auch als Mensch auf dem Sprung

Zum Lehrer ohne Schulklasse, aber mit theoretisch rund 600 Schülern, ist Stefan Voramwald im Jahr 2010 durch einen Zufall geworden. Damals hatte er nach drei Jahren an der Seenger Realschule gekündigt. Dies nicht aus Frust, wie Voramwald heute sagt. «Ich wollte nur noch Stellvertretungen übernehmen, um Zeit für eine Weiterbildung in sozialer Arbeit zu haben.» Just zu dieser Zeit suchten die Oberstufen von Seengen und Seon im Rahmen des Pilotprojekts des Kantons eine professionelle Stellvertretung – und fanden diese in Voramwald, der so gleichzeitig seine Weiterbildung absolvieren und 2012 auch abschliessen konnte.

Wie lange Stefan Voramwald noch zwischen den Seenger und Seoner Klassenzimmern pendeln wird, ist offen. «Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt», sagt er – und der 30-jährige Lehrer lässt dabei keinen Zweifel daran, dass er auch sonst im Leben oft auf dem Sprung ist.