Missbrauchsfall
Kein Einzelfall: Auch Zürcher Psychiater nutzte Notlage seiner Patientin aus – und wurde härter bestraft

Ein Zürcher Psychiater kassierte eine bedingte Freiheitsstrafe, weil er ein Verhältnis mit seiner Patientin hatte – zuerst wurde er freigesprochen.

Noemi Lea Landolt
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Der Psychotherapeut hatte ein sexuelles Verhältnis mit einer drogenabhängigen Patientin.

Der Psychotherapeut hatte ein sexuelles Verhältnis mit einer drogenabhängigen Patientin.

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Der Aargauer Psychiater, der über Jahre die Notlage seiner Patientin ausgenutzt hat, ist kein Einzelfall. Im Frühling 2017 befasste sich das Bundesgericht mit einem Zürcher Therapeuten, der ein sexuelles Verhältnis mit einer drogenabhängigen Patientin hatte.

Sie soll das nur geduldet haben, weil sie Angst vor ihm in seiner Funktion als Psychiater des Zentrums für Suchtmedizin gehabt habe. Die Frau befürchtete, sie würde bei der Medikamentenabgabe benachteiligt, wenn sie sich weigern würde, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.

Das Bezirksgericht Zürich hatte den Psychiater 2014 freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft zog das Urteil ans Obergericht weiter. Dieses sprach ihn 2016 schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten und ordnete an, dass er während der zweijährigen Probezeit keine Patientinnen behandeln darf.

Der Beschuldigte wehrte sich vor Bundesgericht gegen den Schuldspruch und prangerte ausserdem an, die Weisung, er dürfe während der Probezeit keine Patientinnen behandeln, sei «unzumutbar und unverhältnismässig», weil sie faktisch einem Berufsverbot gleichkomme. Das Bundesgericht wies seine Beschwerde ab und bestätigte das Urteil des Obergerichts.

Anders als der Zürcher Psychiater, wurde sein Berufskollege aus dem Kanton Aargau im abgekürzten Verfahren verurteilt. Dabei verständigen sich die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte auf einen Urteilsvorschlag, der vom Gericht nur noch abgesegnet werden muss.

In diesem Fall einigten sich die Parteien auf eine bedingte Geldstrafe von 81'000 Franken und eine Busse von 6000 Franken. Zudem muss der Psychiater dem Opfer 45'000 Franken Genugtuung zahlen.

Arbeiten darf er bis heute. Das Gericht hat einzig beschlossen, dass er zwei Jahre lang keine Patientinnen behandeln darf. Staatsanwältin Barbara Loppacher sagte laut «SonntagsZeitung» am Prozess, das sei «das Minimum vom Minimum». Ein Berufsverbot von zehn Jahren wäre «ohne weiteres» möglich gewesen.

Ein skandalöses Urteil

Jürg Fehr, pensionierter Oberrichter und ehemaliger Staatsanwalt, findet den Prozess im abgekürzten Verfahren «mit einer absolut lächerlichen Strafe» höchst verdächtig. Das Urteil des Bezirksgerichtes Aarau sei «ein offener Skandal».

Er betont, der Fall im Aargau sei gravierender als jener in Zürich, weil die Patientin in der Jugend sexuellen Missbrauch erlebt hatte und sich das sexuelle Verhältnis offenbar über Jahre hinzog.

Eine Freiheitsstrafe von 20 oder 24 Monaten wäre aus seiner Sicht angemessen gewesen; eine bedingte Geldstrafe sei viel zu mild. Weshalb die Staatsanwaltschaft das Strafmass nicht angefochten habe, werde noch abzuklären sein, so Fehr.