Arbeitsmarkt
Kampf um Schulabgänger wird härter – 600 Lehrstellen im Aargau noch immer unbesetzt

Wir sind schon mitten in den Sommerferien. Und noch immer sind 600 Lehrstellen, die im August besetzt sein sollen, unbesetzt. Einerseits wird der Kampf um Schulabgänger härter. Umgekehrt bleiben einige Jugendliche wegen den Ansprüchen der Berufswelt auf der Strecke.

Peter Brühwiler
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Keine Nachwuchssorgen: In der Berufsgruppe Elektrotechnik sind 95 Prozent der Lehrstellen besetzt.

Keine Nachwuchssorgen: In der Berufsgruppe Elektrotechnik sind 95 Prozent der Lehrstellen besetzt.

Keystone

4 468 Schulabgänger starten nächsten Monat im Aargau gemäss dem kantonalen Lehrstellennachweis («Lena») eine Berufslehre. Es könnten allerdings noch einige mehr sein, denn laut der gleichen Statistik sind aktuell 12 Prozent der ausgeschriebenen Lehrstellen noch nicht besetzt. Gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitpunkt stieg die Zahl der nicht besetzten Stellen damit um fast 100 auf 612. Der Grund für diese Entwicklung ist in erster Linie das steigende Angebot: Waren im Juli 2015 auf der kantonalen Plattform noch 4 877 Stellen registriert, sind es zwei Jahre später bereits 5 080.

Der Kampf um die Schulabgänger ist also härter geworden. Mit einer Quote von knapp 30 Prozent unbesetzten Lehrstellen besonders betroffen ist laut «Lena» die Baubranche. Urs Keusch, Ausbildungsverantwortlicher beim Baumeisterverband Aargau, relativiert den Befund allerdings. Probleme habe vor allem das Baunebengewerbe wie etwa Gipsereibetriebe. Im Strassenbau hingegen seien bereits 43 Lehrstellen besetzt. Dies sei im Vergleich mit den Vorjahren «ein sehr guter Wert», sagt er. Die kantonale Statistik, gemäss der lediglich sechs Strassenbau-Lehrstellen besetzt sind, zeige ein verzerrtes Bild. «Denn viele Betriebe finden Lernende über andere Kanäle wie zum Beispiel die Mund-zu-Mund-Propaganda.»

Grafik Lehrstellen

Grafik Lehrstellen

Marco Tancredi

Der Grundbefund aber bleibt: Handwerklich-technische Branchen haben tendenziell mehr Mühe, genug Nachwuchs zu finden. «Die Zahl der Bewerber ist gegenüber früher zwar nur leicht gesunken. Aber viele von ihnen erfüllen die Anforderungen nicht mehr», sagt Keusch, dessen Verband die Maurer und Strassenbauer vertritt.

Das Wettinger Bauunternehmen Bürgler AG etwa hat die Suche nach einem Maurerlehrling bereits abgebrochen. «Wir hätten auch zwei genommen», sagt die Personalverantwortliche Miryam Sommerhalder. «Aber es hat einfach nicht gepasst». Als Hauptproblem hätten sich weniger die schlechten Noten als vielmehr charakterliche Defizite wie etwa viele Absenzen während der Schulzeit herausgestellt.

Aus dem Ausland Stifte holen

Gar keine Wahl haben andere Betriebe. Fleischfachmann - so die heutige Bezeichnung - sei «ein schöner Beruf mit Zukunft», sagt der Sekretär des Metzgereiverbands, Rolf Meyer. Trotzdem: Als er sein Amt vor 36 Jahren antrat, wurden im Aargau 72 Metzger-Lehrlinge ausgebildet. Und heute? Der Ausbildungsverantwortliche Philipp Sax rechnet mit deren Zehn - eigentlich zu wenig, um eine Klasse zu führen. «Früher oder später werden wir aus dem Ausland rekrutieren müssen», vermutet Sax, der gerne auch Asylsuchende ausbilden würde.

Hier müsse aber zuerst der Staat aktiv werden, denn vielfach fehle die Arbeitserlaubnis.
Weniger Nachwuchssorgen haben die kaufmännischen Berufe - obwohl das KV in Zeiten der Digitalisierung auch schon als Auslaufmodell bezeichnet wurde. Lediglich 15 von total 728 Stellen sind laut «Lena» in diesem Bereich noch nicht besetzt.

Die Ausbildung müsse natürlich laufend angepasst und ganzheitlicher werden, sagt Peter Fröhlich, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Kaufmännische Grundbildung. Dies werde aber auch gemacht. Er empfiehlt das KV als Fundament deshalb «jedem, der später einmal eine Firma managen will».

Ein gutes Fundament können natürlich auch andere Lehrberufe sein. «Wir versuchen Jugendliche zu motivieren, zum Beispiel über den Detailhandel in den kaufmännischen Beruf einzusteigen, falls sie sich erfolglos um eine KV-Stelle beworben haben», sagt der Berufsberater Philipp von Wartburg. Dass dies nicht immer klappt, zeigt die kantonale Statistik des letzten Jahres, gemäss der sich rund 20 Prozent der Schulabgänger für Anschlusslösungen wie Brückenangebote oder Praktika entschieden.