16 Nationalratssitze, 288 Kandidaten und Kandidatinnen. Da gibt es auch parteiinterne Wahlduelle. Kaum woanders ist der Konkurrenzkampf um die Pole Position so offensichtlich wie bei den Grünen: Irène Kälin oder Jonas Fricker?
Es ist nicht die Zeit der politischen Hochkonjunktur für die Grünen. Im Aargau verloren sie bei den letzten Nationalratswahlen trotz vermeintlichem Fukushima-Effekt rund einen Zehntel der Wählerschaft, die aktuellen Umfragen deuten auf weitere Verluste oder bestenfalls das Halten des Wähleranteils hin (bei den Nationalratswahlen 2011 lag er im Aargau bei etwas mehr als 7 Prozent).
Natürlich sind solche Momentaufnahmen mit Vorsicht zu geniessen, dennoch ist die Prognose kaum gewagt: Für die Grünen geht es am 18. Oktober nicht um einen Sitzgewinn, sondern um die Frage, ob sie das seit 2003 vom Badener Stadtammann Geri Müller gehaltene Mandat halten können.
Die Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist das eine. Es gibt aber auch parteiinterne Duelle darum, wer ein Ticket nach Bern ergattert. In einer kleinen Serie zeigt die az, wo die Konkurrenz besonders spannend ist.
Kälin startet aus Pole Position
16 Nationalratssitze sind für den Aargau am 18. Oktober zu vergeben, 288 Kandidaten und Kandidatinnen bewerben sich darum. Die meisten werden sich bewusst sein, im Wahlkampf nur als Wasserträger für ihre Partei unterwegs zu sein. Aber kaum woanders ist der Konkurrenzkampf um die Pole Position so offensichtlich wie bei den Grünen.
Jonas Fricker, Parteipräsident aus Baden und Irène Kälin, Co-Präsidentin der Grossratsfraktion aus Lenzburg, gelten als die Favoriten für die Nachfolge von Geri Müller. Beide haben echte Ambitionen, nur eine(r) von ihnen wird es schaffen – wenn überhaupt.
Dass das innerparteiliche Duell nicht ganz spannungsfrei ist, zeigte sich schon daran, dass die Grünen an einer Mitgliederversammlung praktisch den ganzen Abend der Frage widmeten, wer auf den ersten Listenplatz gesetzt werden soll. Schliesslich machte Kälin das Rennen, die auch für den Ständerat kandidiert. Wie matchentscheidend der Listenplatz als Spitzenkandidatin ist, darüber lässt sich streiten.
Bei der SVP zum Beispiel gilt Andreas Glarner, Präsident der Grossratsfraktion, sicher als heisser Anwärter auf ein Ticket nach Bern – und er startet auf dem zehnten Listenplatz in die Wahlen.
Ein Signal war der Entscheid zum klaren Fokus auf die Ständerats- und Nationalrats-Spitzenkandidatin bei den Grünen aber schon. Einerseits habe Fricker bereits einen Vorteil, weil er auf ein grosses Stimmenpotenziel in der bevölkerungsreichen Region Baden zählen könne, hiess es etwa.
Andererseits sei gerade auch dies mit einem gewissen Risiko verbunden, weil man nicht wisse, ob die Affäre um die Nacktselfies des Badener Stadtammanns Geri Müller, bis dann ein sicherer Wert für die Grünen, negative Nachwirkungen auf die Nationalratswahlen haben könnte.
Wer profitiert von «Gerigate»?
«Gerigate» war auch für Parteipräsident Jonas Fricker eine schwierige Phase, in der es für ihn keine Lorbeeren zu holen gab. Da war auf der einen Seite die Loyalität zum Partei- und persönlichen Freund, auf der anderen Seite die bei den Grünen durch die Affäre zusätzlich befeuerte Debatte um Ämterkumulationen (die Affäre wurde von manchen als Zeichen der Überlastung interpretiert). Es war für Fricker nicht einfach, um es einmal vorsichtig auszudrücken, in dieser Situation immer absolut souverän zu wirken.
Seine interne Konkurrentin um den Nationalratssitz war zwar clever genug, das nicht in einem offenen Konflikt auszuschlachten. Für sich zu nutzen wusste sie es aber schon.
Während der Parteipräsident dazu lieber nichts mehr sagte, brachte Irène Kälin die Forderung ein, es sei nun schnell Klarheit über Geri Müllers Zukunftspläne zu schaffen (dieser hatte vor «Gerigate» immerhin schon einmal öffentlich kundgetan, er wolle für eine weitere Legislaturperiode kandidieren).
Und bei dieser Gelegenheit schob sie sich auch gleich in Front für die Ständeratskandidatur, was zusätzliche Medienpräsenz im Wahlkampf und damit einen Vorteil gegenüber der parteiinternen Konkurrenz verspricht.
Ironie des Schicksals: Wäre Jonas Fricker kaltblütig genug gewesen, Geri Müller zu einem Rücktritt noch vor Ablauf der Legislatur zu bewegen, hätte er als Bisheriger in die Wahlen steigen können. Fricker wäre in diesem Fall in den Nationalrat nachgerutscht.
Er landete bei den Wahlen 2011 zwar nur auf dem zweiten Ersatzplatz, die vor ihm platzierte, ehemalige Grossratspräsidentin Patricia Schreiber hätte aber verzichtet.
In ihrer Position als Co-Präsidentin der Grossratsfraktion und dank der zusätzlichen Präsenz mit der aufwendig gestalteten Ständeratskampagne steigt Irène Kälin wohl mit leichten Vorteilen ins Rennen um den Platz in Bern.
Wenn es um die feinen Nadelstiche im internen Konkurrenzkampf geht, steht ihr Jonas Fricker allerdings in nichts nach: Wenn er zum Beispiel in den sozialen Medien das Engagement des grünliberalen Kandidaten Gian von Planta für Elternzeit und Lohngleichheit lobt – durchaus auch ein Kernanliegen seiner Parteifreundin Kälin.