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Eine Forschungsexpedition mit Aargauer Teilnehmern am Himlung Himal in Nepal zeigt: In grosser Höhe geraten Stoffwechsel und Hormonhaushalt durcheinander.
Beim Bergsteigen in grosser Höhe verändern sich im menschlichen Körper nicht nur das Sauerstoffangebot und der Stoffwechselprozess: Der Körper passt sich mit jedem Höhenmeter auch mit einer Veränderung der Hormonausschüttungen an die schwierigen äusseren Bedingungen an. Die Auswertung der im Jahr 2013 auf einer grossen Forschungsexpedition in Nepal gesammelten Datensätze zum menschlichen Hormonhaushalt in grosser Höhe sind deshalb für Reisende und Bergsteigerinnen und Bergsteiger auch bei den Reisevorbereitungen interessant. Und die Forscher der grössten Schweizer Forschungsexpedition kommen auch bei der Arbeit im Labor immer wieder ins Staunen.
«Besonders heftig ist die hormonelle Reaktion auf Höhen über 5000 Metern», erklärt der Berner Hormonspezialist, Forscher und Bergsteiger Michael von Wolff seine grundsätzlichen Erkenntnisse. Der Leiter der gynäkologischen Endokrinologie der Frauenklinik am Berner Inselspital hat im Herbst 2013 – zusammen mit anderen Forschern –- vor, während und nach dem Aufstieg auf den 7126 Meter hohen Himlung Himal in Nepal bei über zwei Dutzend Testpersonen mehr als 1000 Blutproben gesammelt. Dabei waren auch mehrere Aargauer, unter anderem Gianin Müller aus Reinach und Brigitte Vogel aus Lenzburg.
Die zuerst im Gletschereis des Himalaya eingefrorenen und später tiefgekühlt in die Schweiz geflogenen Blutproben haben rund 6000 Hormonmessungen möglich gemacht. Die aufwändige Laborarbeit hat gezeigt, dass nicht alle Hormone gleich auf die Höhenveränderung reagieren. Es sei offensichtlich, dass der Körper, um funktionieren zu können, auf verschiedenen Höhen auch unterschiedliche Hormonversorgungen benötigt, sagt Michael von Wolff. Gemäss dem Berner Professor lässt sich der Hormonhaushalt beim Aufstieg am Himlung Himal rückblickend grob in zwei «Etappen» einteilen. Bis auf eine Höhe von knapp 5000 Metern haben die Forscher bei allen Testpersonen eine gehemmte und reduzierte Ausschüttung von Stresshormonen nachweisen können. Mit zunehmender Akklimatisation habe sich dieser Wert aber langsam wieder normalisiert.
Auf über 5000 Metern schliesslich sei die Ausschüttung von Stresshormonen aber durchgehend und bei allen Testpersonen heftig in die Höhe geschossen. Spannend: Die Versorgung des Körpers mit Hormonen findet nicht permanent und dauernd, sondern in regelmässigen Abständen ca. ein Mal pro Stunde statt. Am Berg nimmt nach von Wolff aber nicht die Hormonmenge pro Impuls zu, sondern es verändert sich der Rhythmus – die «Schübe» werden häufiger. Die Bergsteiger selber nehmen die Veränderung im Hormonhaushalt körperlich wie psychisch aber kaum wahr. Geschlafen werde auf diesen Höhen ohnehin schlecht und die permanente Müdigkeit kompensiere die allfällige zusätzliche Nervosität.
Während der Körper also bei Aufstieg mit Stresshormonen «geflutet» wird, nimmt die Ausschüttung von Fortpflanzungshormonen ständig ab. «Auf dieser Höhe merkt auch der Körper, dass es ums Überleben und nicht um die Fortpflanzung geht», schmunzelt von Wolff. Vor bleibenden – und zu Hause unerwünschten – Veränderungen brauche man aber keine Angst zu haben. Gleich wie der Akklimatisationsprozess kehre auch die Versorgung mit den sogenannten Fortpflanzungshormonen nach rund zehn Tagen im Tiefland wieder zur Normalität zurück.
Die nun aufwändig erforschten Hormonveränderungen am Berg zeigen auch die Gründe, weshalb sich bei Frauen mit zunehmender Höhenexposition die Regel verändert. Durch die Verringerung der Fortpflanzungshormone steigt mit jedem Höhenmeter die Wahrscheinlichkeit, dass der Zyklus durcheinander gebracht und die Periode plötzlich ganz ausbleibt oder erst später kommt. «Dass wir uns richtig verstehen, eine Höhenexposition alleine ist kein Schwangerschaftsschutz», erklärt der Berner Forscher und Frauenarzt. Von Wolff unterstreicht in diesem Zusammenhang aber auch die Tatsache, dass bei schwangeren Frauen am Berg die Akklimatisation und damit auch die Anpassung des Hormonhaushaltes besonders wichtig ist. Es gelte weiterhin die Regel, dass schwangere Frauen sehr langsam und grundsätzlich nicht höher als 2500 Meter steigen sollen. Dies, obwohl von den Hormonparametern aus auch ein Aufstieg in grössere Höhen theoretisch möglich wäre.