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Kanton Aargau
Der Kanton Aargau schmettert Initiativen gegen die Atomkraft deutlicher ab als alle anderen Kantone. Warum eigentlich?
Über die Zukunft der Atomkraftwerke wird am Sonntag an der Urne entschieden – einmal mehr. Die Namen der Volksinitiativen unterscheiden sich, das Resultat war im Aargau immer das gleiche: ein klares Bekenntnis zur Atomkraft. Mehrmals lehnte das Aargauer Stimmvolk die Vorlagen so deutlich ab wie sonst kein anderer Kanton. 1990 etwa lag der Ja-Anteil bei 32,3 Prozent und damit fast 15 Prozentpunkte unter dem landesweiten Ergebnis.
Kein anderer Kanton ist so stark mit dieser Technologie verbunden – drei von fünf Reaktoren sind im Aargau, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi), die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), das Zwischenlager (Zwilag) ebenfalls. Über 1000 Arbeitsplätze hängen an der Atomindustrie, die Betreiber liefern Kanton und Standortkantonen trotz umkämpftem Strommarkt immer noch Millionen an Steuern ab. Doch lässt sich die grosse Zustimmung in weiten Teilen der Aargauer Bevölkerung alleine damit erklären?
«Durch die grosse Dichte an atomaren Anlagen und Institutionen ist die Betroffenheit sehr direkt», sagt Max Chopard, ehemaliger SP-Nationalrat und langjähriger AKW-Gegner. «Bislang glaubten viele, gut damit zu fahren. Arbeitsplätze entstanden, Gelder flossen.» Doch Chopard stellt in den letzten Jahren eine Veränderung in der Diskussion fest. «Inzwischen ist die Produktion von Atomstrom ein Verlustgeschäft, das Bewusstsein dafür wächst. Doch ich spüre auch, dass viele Leute immer noch Mühe haben, loszulassen.»
Den grossen Rückhalt führt Heini Glauser hauptsächlich auf wirtschaftliche Gründe zurück. Er stand schon 930 Mal vor dem Ensi in Brugg, wo er nach der Katastrophe von Fukushima 2011 mit anderen Atomgegnern eine Mahnwache ins Leben gerufen hat. Glauser spricht von einer «kollektiven Solidarisierung mit grossen Arbeitgebern». Die Atomkraftwerke Beznau und Leibstadt seien nicht nur direkt, sondern auch indirekt über Zulieferbetriebe für viele Arbeitsplätze verantwortlich. «Die Gemeinden profitieren stark davon.» Für den Sonntag rechnet Glauser denn auch mit dem höchsten Nein-Anteil im Kanton Aargau – «alles andere würde mich erstaunen». Die Aargauer Bevölkerung habe ein spezielles Verhältnis zur Atomkraft, sagt Glauser. «Man lernt, damit zu leben, und entwickelt einen Verdrängungseffekt, der dazu führen kann, die Gefahren zu unterschätzen.»
Eine absolute Sicherheit gebe es nicht, dessen seien sich alle bewusst, sagt FDP-Nationalrätin und Nagra-Präsidentin Corina Eichenberger. «Doch das Vertrauen in die seriöse Arbeit der AKW-Mitarbeiter ist im Aargau wohl grösser als im Rest der Schweiz.» SVP-Nationalrat Hansjörg Knecht spricht ebenfalls von einem Vertrauen, das über die Jahre aufgebaut worden sei. «Man kennt das Atomkraftwerk und die Leute, die dort arbeiten.»
In seiner Region stelle er eine hohe Akzeptanz der Atomkraft fest, auch wegen der vielen Arbeitsplätze. Dazu komme: «Ein Atomausstieg würde für die Gemeindefinanzen einen massiven Einschnitt bedeuten.» In Knechts Gemeinde Leibstadt haben Anti-AKW-Initiativen einen besonders schweren Stand. Bei der letzten Abstimmung 2003 über die Volksinitiative «Strom ohne Atom» hat keine andere Gemeinde deutlicher Nein gesagt: Rund 96 Prozent stimmten dagegen. Und die Stimmbeteiligung dürfte heute hoch sein. In Döttingen etwa, Standortgemeinde von Beznau I und II, sind am Freitag schon deutlich mehr Stimmzettel eingetroffen als bei durchschnittlichen Abstimmungen.