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Nehat Ismaili steht in der Kritik, weil umstrittene Gäste in seiner Moschee predigten. Der Imam wehrt sich gegen die Anschuldigungen, hinterlässt aber Fragezeichen.
Kommt es in Schweizer Moscheen zur Radikalisierung von Muslimen, werden dort gar junge Männer für den Dschihad rekrutiert und als IS-Kämpfer nach Syrien und in den Irak geschickt? Zuletzt geriet vor allem die An-Nur-Moschee in Winterthur in die Schlagzeilen, nachdem ein Imam in einer Predigt zum Mord aufgerufen hatte. Doch nicht nur in Winterthur, sondern auch in Aarburg sollen Radikale aufgetreten sein – das schreibt zumindest der «Tages-Anzeiger». Schätzungsweise 30 salafistische Prediger aus Mazedonien und Kosovo, «deren Namen auf Listen radikaler Imame figurieren, haben einmal oder mehrmals in hiesigen albanischen Moscheen gepredigt – besonders häufig in Altstetten, Regensdorf und Aarburg», heisst es im entsprechenden Artikel. Dort betreibt der Verein Albanisch-Schweizerisches Kulturzentrum Weisse Moschee seit 2011 ein grosses Gebetshaus. Imam in der Weissen Moschee in Aarburg ist der 42-jährige Nehat Ismaili, der aus Kumanovo in Mazedonien stammt.
Laut dem «Tages-Anzeiger» gehen in Ismailis Moschee in Aarburg ultrakonservative Muslime ein und aus. So etwa der islamistische Politiker Gezim Kelmendi aus Kosovo, oder Bekir Halimi aus Mazedonien, «der mit Predigten junge Albaner motiviert haben soll, nach Syrien und in den Irak in den Krieg zu reisen». Wiederholt habe der Aarburger Imam den wohl umstrittensten kosovarischen Salafisten in die Schweiz eingeladen: Shefqet Krasniqi, der vor einem Jahr als Imam der grossen Moschee in Pristina entlassen wurde. Im September 2014 wurde Krasniqi mit anderen Imamen in Kosovo verhaftet, weil er zum Dschihad aufgerufen und den IS unterstützt haben soll.
Im «Tages-Anzeiger» verteidigt sich Ismaili und sagt, als er Krasniqi eingeladen habe, sei dieser Imam in Pristina gewesen und nicht unter Radikalismus-Verdacht gestanden. Tatsache ist: Shefqet Krasniqi trat im November 2013 in der Weissen Moschee in Aarburg mit Ismaili auf, wie ein Youtube-Video des albanisch-sprachigen Radio Pendimi zeigt (siehe Bild oben). Der Aarburger Imam erklärt im «Tages-Anzeiger», er habe vorher einen Austausch mit den Aargauer Sicherheitsbehörden gehabt. Ob dies zutrifft, lässt sich nicht feststellen, das zuständige Innendepartement will auf Nachfrage der az nicht konkret Stellung nehmen. «Moscheen im Aargau sind im Rahmen der Notwendigkeit, der gesetzlichen Möglichkeiten und der Verhältnismässigkeit auf dem ‹Radar› der Kantonspolizei», sagt Sprecher Samuel Helbling. Diese werde im Auftrag des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) und auf Basis des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit tätig.
Auch die Nachrichtendienst-Sprecherin Carolina Bohren bleibt allgemein. Sie sagt, der NDB äussere sich nicht zu konkreten Einzelfällen, zu einzelnen Organisationen oder Gruppierungen sowie zur Lage in einzelnen Städten. Grundsätzlich verfüge der Nachrichtendienst «über keine rechtlichen Grundlagen, um Moscheen oder Imame und ihre Tätigkeiten in der Schweiz ohne Hinweise auf eine mögliche Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit zu beobachten». Der Einsatz von technischen Mitteln, um Moscheen unter Beobachtung zu stellen, sei daher ausgeschlossen. Bei konkreten Hinweisen auf «terroristische oder gewaltextremistische Aktivitäten eines Imams oder eines Besuchers einer Moschee» könne der NDB indes präventive Massnahmen gegen diese Person ergreifen und allenfalls ein Einreiseverbot beantragen. Der Nachrichtendienst bearbeite diese Thematik aktiv und stehe in engem Kontakt mit den zuständigen Behörden, versichert Carolina Bohren.
Nehat Ismaili, der umstrittene Imam von Aarburg, weist den Vorwurf zurück, er lasse regelmässig radikale Prediger in seinem Gebetshaus auftreten. «Seit die Moschee eröffnet wurde, habe ich nie solche Leute eingeladen», sagt Ismaili. Die Vorwürfe bezeichnet er als üble Nachrede, weil ihm jemand schaden wolle. Er sei gegen radikale Tendenzen, ihm sei es wichtig, die Schweizer Gesetze zu achten und einen Islam zu predigen, der hier akzeptabel sei. «Aber ist es denn meine Schuld, wenn jemand einmal zu uns zu Besuch kam und Jahre danach etwas Extremistisches sagt oder tut?», fragt Ismaili. Man könne nicht immer alles kontrollieren, hält der Imam fest. Bei den Auftritten der umstrittenen Prediger in einzelnen Moscheen habe es sich mehrheitlich nicht um Einladungen gehandelt, sondern um nicht angekündigte Besuche. Ismaili ergänzt, in vielen Fällen hätten sich die Vorwürfe gegen die Prediger nicht erhärtet. Zudem seien Begriffe wie konservativ mit radikal und radikal mit extremistisch verwechselt und so missbraucht worden. Er betont: «Die scheinbar ‹Radikalen› machen weniger als fünf Prozent aller Theologen und Prediger aus, die eingeladen wurden oder Moscheen besuchten.»
Nehat Ismaili ist nicht nur Imam in Aarburg, sondern auch Präsident der 2012 gegründeten Union der albanischen Imame in der Schweiz (UAIS). Diese habe das Ziel, die moderaten Muslime in der Schweiz zu vertreten. Dazu passt die Ausrichtung des Trägervereins der Aarburger Moschee. Laut dem Handelsregister bezweckt der Verein «das Gewissen und die menschliche Würde unter den albanischen Moslems weiter zu entwickeln». Wenn es um Religion und Kultur geht, orientiert sich der Verein an der als moderat geltenden hanafitischen Glaubensrichtung, die auf dem Balkan weit verbreitet ist. Zudem will der Verein einerseits die Traditionen der albanischen Moslems wahren, diesen aber auch bei der Integration in der Schweiz helfen und zur Völkerverständigung beitragen.
Er könne verstehen, dass viele Leute Angst hätten vor dem extremistischen Islam, sagt Ismaili. «Dem will ich offen begegnen und den Kontakt suchen». Nur durch offene Kommunikation sei es möglich, Vorurteile abzubauen. Weiter sagt Ismaili: «Vom Zeitpunkt an, als gewisse Prediger unter Verdacht standen, waren sie in unseren Moscheen nicht mehr präsent.» Die UAIS habe verkündet, dass diese Prediger nicht mehr eingeladen würden «und nicht mehr willkommen sind hier, unabhängig davon, ob ihnen ungerechterweise Radikalismus vorgeworfen wird».
Nehat Ismaili steht nicht nur wegen den Auftritten radikaler Prediger in Aarburg in der Kritik. Gemäss dem «Tages-Anzeiger» übersetzt und rezensiert er «Werke berühmter Islamisten, etwa von Mohammed Mursi und Yusuf Qaradawi, dem äusserst umstrittenen Vordenker der Muslim-Brüder». Er habe sogar eine Fatwa-Kommission initiiert, welche die Imame der albanischen Union in der Schweiz bei der religiösen Rechtsprechung leiten solle.
Von der az darauf angesprochen, sagt Ismaili, die Fatwa sei eine Rechtsauskunft von muslimischen Autoritäten, die dazu diene, ein religiöses oder rechtliches Problem zu klären. «Dabei geht es um verschiedene Themen, meistens um familiäre Angelegenheiten oder Eheberatungen.» Ziel sei es, Probleme so zu lösen, dass die Mitglieder der albanischen Gemeinde nicht vor Gericht gehen müssten. «Entscheidet sich jemand aber dazu, vor Gericht zu gehen, mische ich mich nicht mehr ein», versichert Ismaili.
Auch, dass er Bücher von Mohammed Mursi übersetzt habe, dem ehemaligen ägpytischen Staatspräsidenten und Mitglied der islamistischen Muslimbrüder, bestreitet Ismaili. Er holt ein Buch aus dem Gestell und legt es auf den Tisch. «Sehen Sie», sagt er, «es ist ein Buch über Kindererziehung. Das wurde von einem anderem Mohammed Mursi geschrieben». Das Buch habe er aus dem Arabischen ins Albanische übersetzt, es sei in Mazedonien veröffentlicht worden. «Das Land ist sehr streng, wenn es darum geht, Bücher zur Kindererziehung zu veröffentlichen. Es hat keinen ideologischen oder streng religiösen Hintergrund», betont der Imam.
Nehat Ismaili hat sein Studium an der Universität von Medina in Saudi-Arabien absolviert. Laut der «NZZ am Sonntag» war er Mitglied der Europäischen Organisation der islamischen Zentren (EOIC), über die Geld aus Saudi-Arabien an Moscheen, Stiftungen und Vereine in der Schweiz fliesst. Reinhard Schulze, Professor für Islamwissenschaft an der Universität Bern, sagt im Artikel, damit würden Institutionen unterstützt, die dem Wahhabismus nahestehen. Diese Glaubensrichtung stützt sich auf die wortgetreue Auslegung des Korans und das Rechtssystem der Scharia. Auch darum kommt es laut «NZZ» in Saudi-Aarabien wiederholt zu öffentlichen Auspeitschungen und Enthauptungen.
Saïda Keller-Messahli, die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, sagt in der «NZZ am Sonntag», durch Ismaili sei eine direkte Verbindung zwischen der Islamischen Weltliga und den albanischen Muslimen in der Schweiz entstanden. Die UAIS habe Einfluss auf mindestens 30 Moscheen, in nahezu allen werde salafistisches Gedankengut gepredigt. Wie passt die Mitgliedschaft in einer Organisation, die einen ultrakonservativen Islam fördert, zu Ismailis Aussage, er setze sich gegen radikale Prediger und für eine moderate Glaubensrichtung ein?
Ismaili schreibt auf der Website der UIAS, er sei am 13. November aus der umstrittenen EIOC ausgetreten. Mitglied der Organisation sei er nur geworden, weil ihn deren Präsident Ziane Mehadjri gebeten habe, seine «Erfahrung im Umgang mit islamischen Zentren, ihre weitere Koordinierung und transparente sowie konstruktive Zusammenarbeit zum Wohle der Muslime in der Schweiz und darüber hinaus zu vermitteln». Ismaili hält fest, er habe Mehadjri mit den Vorwürfen konfrontiert, dessen Organisation finanziere albanische Moscheen in der Schweiz. «Er hat mir versprochen, dass er selber Stellung nehmen wird und wohl auch rechtliche Schritte plant.» Ohnehin habe die EOIC seit ihrer Gründung «keine signifikante Aktivität gezeigt», was für den Imam «ihre Funktion als seriöse Organisation infrage stellt». Deshalb habe er sich entschlossen, alle Kontakte abzubrechen und die Zusammenarbeit zu beenden. Zugleich erklärt Ismaili, dass keine Moschee und kein islamisches Zentrum, die unter dem Dach der UIAS agieren, aus externen Quellen finanziert würden. Kauf oder Bau der religiösen Objekte würden ebenso wie Wartung und Unterhalt «durch Beiträge der albanischen Bevölkerung geleistet, die hier in der Schweiz lebt und arbeitet».
Dem «Tages-Anzeiger» sagte Ismaili schon im Juni: «Als wir das Gebäude in Aarburg für 2 Millionen Franken kauften, forderten die Behörden, dass die Finanzierung von unseren Mitgliedern stammen müsse. Innert einer Stunde kamen von 120 Mitgliedern 800 000 Franken zusammen. Aus dem Ausland haben wir keinen Rappen erhalten.» Dies lässt sich nicht nachprüfen. Samuel Helbling, Sprecher des Innendepartements, sagt: «Konkrete Angaben zum Erwerb des Grundstücks in Aarburg können wir wegen des Amtsgeheimnisses nicht machen.» Er hält fest, für Ausländer würden beim Kauf von Liegenschaften in der Schweiz gewisse Einschränkungen gelten. Dies treffe auch auf Vereine zu, in denen Ausländer «eine beherrschende Stellung innehaben».
Ein Blick ins Handelsregister zeigt: Bei der Gründung des Vereins Albanisch-Schweizerisches Kulturzentrum Weisse Moschee waren im Vorstand fast ausschliesslich Personen mit mazedonischer, serbischer oder kosovarischer Staatsangehörigkeit. Weil der Verein aber 2011 das Firmengebäude der ein Jahr zuvor geschlossenen Progres Mode AG in Aarburg kaufte, und Einschränkungen für Ausländer nur bei Wohnbauten gelten, war für den Kauf keine Bewilligung nötig. Ausgeschlossen ist eine externe Finanzierung aber nicht. Laut dem Handelsregister finanziert sich der Trägerverein der Weissen Moschee über Mitgliederbeiträge, freiwillige Beiträge und Zuwendungen. Dass solche Spenden nicht aus dem Ausland stammen dürfen, ist in den Vereinsstatuten nicht festgeschrieben.