Mägenwiler Wäldli
Grossrat Florian Vock: «Als schwuler Mann erlebe ich tagtäglich wertende Blicke»

Im Interview beantwortet Grossrat Florian Vock (SP) aus Baden Fragen über das Mägenwiler Wäldli, die Situation der Schwulen im Aargau und erzählt über seine eigenen Erlebnisse.

Fabian Hägler
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Florian Vock stellt auch heute noch eine Diskriminierung von Schwulen fest.

Florian Vock stellt auch heute noch eine Diskriminierung von Schwulen fest.

Alex Spichale

Florian Vock (28) ist Vizepräsident der Fachstelle Sexuelle Gesundheit Aargau und Vorstandsmitglied von Pink Cross. Der SP-Grossrat aus Baden ist homosexuell und setzt sich seit Jahren für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transmenschen ein.

Florian Vock, welche Bedeutung hat das Mägenwiler Wäldli für die Schwulen-Community im Aargau?

Florian Vock: Es ist ein Teil der schwulen Kultur und Geschichte, aber heute als Treffpunkt für Männer vielleicht nicht mehr so wichtig wie früher. Früher war das anders, der Wald hatte in den 1980er- und 90er-Jahren eine grosse Bedeutung als sozialer Raum. Damals war der Wald ein international bekannter Treffpunkt, Männer kamen von weit her. Heute verkehren dort vorwiegend ältere Leute, die jüngere Generation nutzt eher eine App auf dem Handy oder geht nach Zürich an eine Party, um etwas anzubandeln.

Gibt es andere Orte im Aargau, wo sich Schwule häufig treffen?

Es gibt wohl noch den einen oder anderen öffentlich halb-zugänglichen Ort, aber das Mägenwiler Wäldli ist am bekanntesten. Wenn es einfach um Sex geht, gibt es neben Etablissements und Privaträumen noch Treffpunkte wie Autobahnraststätten, die werden von Heterosexuellen genauso genutzt. Präventionsarbeit für sexuelle Gesundheit ist an vielen Orten nötig.

Ein anonymer Besucher des Mägenwiler Wäldli schrieb der AZ, er habe Angst davor, «dass Gegner Druck ausüben, um dieses letzte Stück Freiheit zu schliessen. Ich befürchte, dass wir zur Zielscheibe für homophobe Personen werden.»

Ich hoffe, Aargauerinnen und Aargauer sind genauso locker wie ich: Wenn es mich nichts angeht, muss ich mich auch nicht aufregen – es gibt keinen Grund, diesen Ort als Treffpunkt nicht zu respektieren. Es kann aber natürlich zu Ressentiments kommen, wenn mehr oder weniger geheime Orte öffentlich bekannt werden. Vor vier Jahren gab es in der Region Bern zum Beispiel Beschwerden von Spaziergängern, die sich an Treffpunkten von Schwulen störten. Es kommt auch vor, dass Leute dann bewusst solche Orte aufsuchen, dabei kann es Provokationen oder Gewalttaten geben. Wichtig ist in diesem Fall, dass das gegenseitige Verständnis gefördert wird.

Warum hat der Mann, der in der AZ über das Wäldli berichtete, denn solche Befürchtungen?

Weil es diese Erfahrungen gibt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es homophobe Übergriffe gibt und gab. Beleidigungen und Gewalt gegen Schwulen, Lesben und Transmenschen sind immer noch ein Problem.

Was meinen Sie damit, wie erleben Sie als Schwuler heute Ihre Situation im Aargau?

Wer heterosexuell ist, bemerkt das gar nicht, aber als schwuler Mann erlebe ich tagtäglich wertende Blicke. Mir wird auch von Gewalt im Ausgang berichtet, und bei Pink Cross erfahren wir von Beleidigungen und Übergriffen. Darum haben wir eine Meldestelle, die LGBT-Hotline, geschaffen, um die Fälle zu erfassen und Hilfe anzubieten. Denn auch wenn das für uns Alltag ist, die Normalität sollte es nicht sein.

Wie reagieren Sie auf diese Situation, wie schützen Sie sich vor möglichen Übergriffen?

Es ist ja tragisch, dass ich mich selbst schützen muss, weil es noch so viel Homophobie gibt. Aber die Politik tut selbst recht wenig zum Schutz von Schwulen, Lesben und Transmenschen. Man passt präventiv sein Verhalten an, überlegt sich zum Beispiel zweimal, ob man Hand in Hand mit dem Freund durch die Strasse geht. Manchmal ist man mutig und will das, manchmal hat man einfach keine Lust, sich blöden Bemerkungen auszusetzen.

Was lässt sich dagegen machen?

Diskriminierung ist ein gesellschaftliches Problem, die Auswirkungen hingegen treffen jeden einzelnen Schwulen. Darum sind Rückzugs- und Schutzräume so wichtig, wie sie der Besucher im Mägenwiler Wäldli schildert – dazu gehören Jugendgruppen, Bars und Clubs, Gesprächsrunden, und für den anonymen Schreiber offensichtlich auch das Wäldli.

In einer Befragung von Schülerinnen und Schülern im Aargau zeigte sich, dass über 10 Prozent der Meinung sind, man könnte Schwule dazu bringen, auf Frauen zu stehen.

Das ist nicht nur bei Schülern im Aargau so, Pink Cross klagt momentan gegen die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) wegen einer ähnlichen Aussage, man könnte Schwule «heilen». Leider ist eine solche Klage relativ chancenlos, solange die Beleidigung nur gegen Schwule allgemein, nicht aber gegen mich persönlich als Florian Vock gerichtet ist. Das ist ziemlich absurd, ich hoffe deshalb, dass der Nationalrat diesen Missstand korrigiert und die Anti-Rassismus-Strafnorm auf sexuelle Minderheiten ausweitet.

Zurück zur Schülerumfrage: Hat das Ergebnis Sie erschreckt oder überrascht?

Nein, das war zu erwarten. Im Gegensatz zur Pnos ist es bei den Schülerinnen und Schülern aber kein Problem von Hass, sondern von fehlendem Wissen und pubertärer Unsicherheit. Leider ist die professionelle sexuelle Bildung an den Aargauer Volksschulen stark begrenzt. Die Fachstelle Sexuelle Gesundheit Aargau hat einen Leistungsauftrag des Kantons, der allerdings auf 55 Klassen pro Jahr limitiert ist. Dabei wäre es einfach, diese Themen mit Schülerinnen und Schülern anzugehen. Jugendliche haben ein Recht auf umfassende altersgerechte Informationen zu diesem Lebensthema. Zudem interessieren sie sich brennend dafür – die besten Voraussetzungen also, um mehr Verständnis für die vielfältige Realität zu schaffen.