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Seit 20 Jahren ist die Fussball-Legende Gilbert Gress Ehrentrainer des FC Traktor azb Strengelbach. Am letzten Dienstag war er wieder einmal zu Besuch. Im Interview erzählt Gress, wie der Kontakt mit dem FC Traktor zustande kam, welche Chancen er der Schweiz an der Fussball-WM gibt und warum ihm seine Frisur auch mal Schwierigkeiten machte.
Seit 1998 ist Gilbert Gress (76) nun schon Ehrentrainer des FC Traktor azb Strengelbach, ein Fussballteam mit Menschen mit einem Handicap. Trotz voller Agenda reserviert er für seine Spieler vom FC Traktor zwei, drei Termine im Jahr. Letzten Dienstag war es wieder so weit: Gress und seine Gattin Béatrice kamen zum Weihnachtsessen – weil man im Dezember keinen Termin gefunden hatte. Radio-Inside-Programmleiter Daniel Küng und Wiggertaler-Chefredaktor Bruno Muntwyler trafen Gress am Rande der Feier zu einem Gespräch über die Fussball-WM, die Unwägbarkeiten auf dem Rasen – und sein Markenzeichen, die Frisur.
Ja klar! Wir haben uns damals kennen gelernt, als ich Nationaltrainer war. Sekretär war Pierre Benoit (Benoit war langjähriger Funktionär beim Schweizerischen Fussballverband, Anmerkung der Redaktion). Wir haben uns einmal in der Woche getroffen und sind unter anderem jeweils die Post durchgegangen. Dann kam der Brief vom FC Traktor. Pierre sagte: «Da haben Sie keine Zeit!» Ich antwortete: «Einen Moment! Das interessiert mich!» Wir haben uns verabredet, und am Tag davor habe ich einen Schnupfen und Husten gehabt – das war unglaublich. Ich bin ganz selten krank, aber an diesem Tag vor dem ersten Treffen war ich krank. Ich bin dann trotzdem hingefahren, und so kam es zum ersten Kontakt mit dem FC Traktor.
Klar, ich kann nicht alle Tage hier sein, aber ich bin in Kontakt, vor allem mit den Trainern Heinz Keller, David Schlatter und Christoph Nohl. Heilig ist immer das Weihnachtsessen, das jetzt im Mai stattfindet. Ich war voll ausgebucht im Dezember, sodass wir keinen Termin fanden. Jetzt haben wir endlich einen Tag gefunden, an dem wir uns wieder treffen und gemeinsam einen schönen Abend verbringen können. Es ist immer wieder eine grosse Freude, hierher zu kommen – für mich und meine Frau Béatrice.
In meiner Kindheit lebten in unserer Strasse in Strasbourg zwei geistig behinderte Buben. Beide waren ziemlich verwahrlost und hatten kaum Sozialkontakte. Die Väter tot, die Mütter am Arbeiten. Meine Mutter Françoise kümmerte sich rührend um die beiden Knaben, die sonst vermutlich auf der Strasse verwahrlost wären. Sie waren oft bei uns und gehörten fast zur Familie. Seither gehe ich ungehemmt mit Menschen mit einer Behinderung um. Sie bereichern mein Leben, weil sie so authentisch sind.
Ich muss sagen, ich bin ja sehr treu. Ich war 40 Jahre lang zwei Vereinen treu. 25 Jahre dem FC Strassburg, 10 Jahre in der Jugend, 15 Jahre als Spieler und Trainer, dann 15 Jahre beim FC Xamax. Was ich öfters sage, wenn ich hierher komme: Ihr habt schon einen grossartigen Verein hier.
In 20 Jahren hat der FC Traktor erst zwei Trainer gehabt. Stellen Sie sich einmal vor: Der FC Sion, in 20 Jahren – wie viele Trainer haben die denn gehabt?
Das überlasse ich dem Trainer und seinem Co-Trainer. Und wie das eben so ist: Wenn die Mannschaft gewinnt, ist das meine Arbeit, wenn sie verliert, ist es die Arbeit von Heinz Keller (lacht).
Ich bin in dieser Zeit teilweise unterwegs, dann am Fernseher in einem Hotel, oder auch zu Hause.
Das Ziel ist klar: eine Runde weiterzukommen. Das erste Spiel ist ja gegen Brasilien, das finde ich gar nicht so schlecht. Vielleicht finden die Brasilianer nicht von Anfang an den Rhythmus – könnte ja sein, warten wir ab. Wenn schon gegen Brasilien, dann ist es gut, dass es das erste Spiel ist.
Für die Schweiz, ganz klar! Es ist nur so: Stellen Sie sich vor, wir gewinnen gegen Brasilien und verlieren die beiden anderen Spiele: Das wäre eine Katastrophe.
Immer erst nach dem Spiel kann man sagen, ob es ein schwieriges Spiel war oder ein leichtes Spiel. Ich habe das öfters mitgemacht. Als ich bei Xamax war, hatten wir in einer Europacup-Runde vier Spiele zu Hause. Wir spielten gegen Prag, gegen Malmö, gegen Sporting Lissabon und gegen Hamburg – die Mannschaft war deutscher Meister. Die vier Mannschaften haben uns kein Tor geschossen. Dann spielten wir im Cup gegen Delémont, eine 1.-Liga-Mannschaft – und verlieren das Spiel 0:1. So ist Fussball!
Der Verein hat wieder seine Linie gefunden, die Mannschaft spielt guten Fussball. Vielleicht eine oder zwei Verstärkungen könnten im Team eine gute Rolle spielen.
Ja, mit dem Trainer Michel Decastel manchmal schon, wir treffen uns immer wieder mal. Ja, die Kontakte sind da.
Ja, warum nicht? Was ich nicht gedacht hätte, ist, dass die Punktdifferenz zum zweitplatzierten FC Basel so gross sein könnte. Das beweist, dass die Young Boys eine sehr, sehr tolle Serie gespielt haben.
Das weiss ich nicht mehr, das ist schon ein paar Jahre her. Aber ich bin manchmal noch als Trainer aktiv.
Wenn es ein seriöser Verein wäre, dann würde ich mir das bestimmt überlegen.
Finanziell gesehen: Ganz klar heute. Ich habe gesehen, dass Neymar jetzt drei Millionen im Monat verdienen will; früher hat eine ganze Mannschaft in 20 Jahren nicht so viel verdient wie er in acht Tagen. Und ja, wenn schon, hätte ich gerne in der Mannschaft von Barcelona unter Trainer Pep Guardiola (2008 bis 2012) gespielt.
Ja, wer gewinnt die WM? Die Deutschen werden sicher dabei sein, Brasilien auch nicht unbedingt weit weg. Und dann gibt es vielleicht eine Überraschungsmannschaft; wünschen wir uns, dass die Schweiz diese Überraschungsmannschaft ist.
Ich bin ja nicht so jung (lacht), dass alle Friseure, die ich gehabt habe, noch arbeiten würden. Aber erst wenn ein Friseur in den Ruhestand geht, dann verlasse ich ihn auch. Aber wegen der Frisur: Sie wissen ja, dass diese mir manchmal Probleme eingebracht hat. 1966 war die Weltmeisterschaft in England. Zuvor war ein Spiel mit Frankreich gegen die Russen angesetzt; wir hatten ein Trainingslager, acht Tage lang (Gress spielte damals für Frankreich, Anmerkung der Redaktion). Da kam der Trainer zu mir, drei Tage vor dem Spiel, und sagte, dass ich zum Friseur gehen soll. «Wir nehmen keine Beatles mit nach England.» Da sagte ich: «Ja gut, ich will nicht zum Friseur, da bleibe ich zu Hause.» Der Trainer hat uns dann später die Liste gegeben (mit dem WM-Aufgebot, Anmerkung der Redaktion); von den 17 Spielern, die in Moskau waren, war ich der Einzige, der nicht auf der Liste stand. Am selben Abend habe ich einen Vertrag beim VfB Stuttgart unterschrieben. Mein Ziel war, in die Bundesliga zu gehen; da waren pro Spiel bis 80'000 Zuschauer. So habe ich es gut verschmerzt, dass ich 1966 nicht nach England gehen konnte.