Seit dem Abstimmungssonntag steht fest: Unser Gesundheitswesen lässt sich nicht reformieren. Wie sollen erst bedeutende Veränderungen mehrheitsfähig werden, wenn bereits Retuschen scheitern - oder eher: in Bausch und Bogen verworfen werden?
Dass Managed Care abgelehnt würde, hatte sich abgezeichnet. Dass dann 76 Prozent Nein sagten, verblüffte Befürworter und Gegner - schliesslich war die Vorlage einst politisch breit abgestützt. Wie kann es sein, dass da das deutlichste Nein zu einer Behördenvorlage seit 1952 herauskommt?
Man kann zig Argumente gegen Managed Care ins Feld führen. Der Hauptgrund für das Fiasko ist simpel: Die grosse Mehrheit ist mit unserem Gesundheitswesen zufrieden und will nichts daran ändern.
Die finanzielle Entwicklung indes bietet allen Grund zur Sorge. 1999 gab die Schweiz 41 Milliarden Franken für das Gesundheitswesen aus, 2010 bereits über 62 Milliarden - rund 8000 Franken pro Kopf. Selbst kaufkraftbereinigt liegt nur Norwegen höher. Für den Einzelnen jedoch zählt etwas ganz anderes: die Gewissheit, dass er die bestmögliche Behandlung erhält, jederzeit ein Arzt für ihn da ist, die Notaufnahme im Spital funktioniert, und so weiter. Wir haben das teuerste, aber eben auch eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Viele Länder beneiden uns darum. Nicht zufällig haben nur die Japaner eine gleich hohe Lebenserwartung wie wir.
So klagen dann zwar alle Jahr für Jahr über die steigenden Krankenkassenprämien. Arg treffen sie jedoch vor allem jene Mittelschicht, die zu wenig vermögend ist, um die Mehrkosten problemlos zu verkraften, aber zu vermögend, um Prämienverbilligungen zu erhalten. Diese Mittelschicht jedoch schrumpft. Inzwischen beziehen 2,4 Millionen Menschen Prämienverbilligungen - ein Drittel aller Versicherten! So viele, dass es sich eben auch an der Urne zeigt mit der Blockierung jeglicher Reformen: Was bin ich an finanziellen Einsparungen interessiert, wenn ich ja unterstützt werde?
Echt Bedürftige müssen unterstützt werden. In der Schweiz ist aber nicht ein Drittel der Bevölkerung arm. Wenn wir uns heute ein Gesundheitssystem leisten, bei dem der Staat jeden dritten Bürger unterstützt, dann ist etwas faul. Dann haben wir schwedische Verhältnisse mit einer Rundumversorgung, die nicht dem Schweizer Modell der Eigenverantwortung entspricht.
Die Linke hat ihre Initiative für eine Einheitskasse zustande gebracht, die Rechte will das Krankenkassenobligatorium abschaffen, weitere Begehren sind in der Pipeline. Alles chancenlos. Wer wirklich etwas verändern will, muss zuerst dafür sorgen, dass der Stimmbürger die finanziellen Konsequenzen spürt, über die er abstimmt. Das würde bedeuten: Weg mit Prämienverbilligungen für die breite Masse. Da brächte zwar zuerst einmal viele arg ans Limit. Aber es würde gleichzeitig die Reformbereitschaft erhöhen.