Gesundheitswesen
Nach dem Ja zur Pflegeinitiative: Regierungsrat hat keine Eile und nimmt Spitäler und Heime in die Pflicht

Der Regierungsrat will kurzfristig keine Massnahmen ergreifen, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. SP-Grossrätin Silvia Dell'Aquila wirft der Regierung vor, den Willen der Stimmbevölkerung zu ignorieren.

Noemi Lea Landolt
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Am «Walk of Care» in Baden forderte das Gesundheitspersonal bessere Anstellungsbedingungen und machte auf die Abstimmung über die Pflegeinitiative aufmerksam.

Am «Walk of Care» in Baden forderte das Gesundheitspersonal bessere Anstellungsbedingungen und machte auf die Abstimmung über die Pflegeinitiative aufmerksam.

Sandra Ardizzone (Baden, 12.10.2021)

58 Prozent der Stimmenden im Aargau haben am 28. November 2021 an der Urne ein Ja zur Pflegeinitiative eingelegt. Sie wollen eine Ausbildungsoffensive und bessere Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal. Der Ball liegt nun beim Bundesrat. Er muss die Vorlage umsetzen.

Die Kantone seien bezüglich Arbeitsbedingungen und Qualität aber genauso in der Pflicht wie der Bund, hielt die SP-Fraktion zwei Tage nach dem Ja an der Urne in einem Vorstoss fest. Für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: «Auf kantonaler Ebene müssen nun rasch Strategien entwickelt und Massnahmen ergriffen werden, damit Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen und der Pflegequalität angegangen werden können.»

Kurzfristig braucht es nicht mehr Ausbildungskapazitäten

Dem Regierungsrat hingegen scheint es mit der Umsetzung der Pflegeinitiative nicht so sehr zu pressieren. Das zeigt die Antwort auf den SP-Vorstoss. Die Regierung will kurzfristig keine Massnahmen ergreifen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es stehe den Gesundheitsinstitutionen und ihren Sozialpartnern aber frei, «eigenverantwortlich tätig zu werden und ihren Angestellten bessere Anstellungsbedingungen anzubieten», hält der Regierungsrat fest.

Immerhin: Der Regierungsrat ist bereit, bei der Vergabe von Leistungsaufträgen stärker auf die Arbeitsbedingungen zu achten und diese bei der Evaluation zu berücksichtigen.

Auch bei den Ausbildungskapazitäten sind laut Regierungsrat kurzfristige Massnahmen zur Kapazitätssteigerung «nicht angezeigt». Er verweist auf die Einführung der Ausbildungsverpflichtung im Jahr 2012. In den vergangenen zehn Jahren seien mit dieser Massnahme die Ausbildungsplätze etwa bei den Fachfrauen und Fachmännern Gesundheit verdoppelt worden und in anderen Bereichen fortlaufend angestiegen, teilweise sogar sehr stark.

In Bezug auf die Ausbildung ist es dem Regierungsrat ein Anliegen, auch in Zukunft für attraktive Bildungsangebote zu sorgen. Die Aargauische Fachschule für Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege der beiden Kantonsspitäler will der Regierungsrat langfristig sichern. In der neuen gesundheitspolitischen Gesamtplanung soll das Thema Fachkräfte zudem als eigenständiges Themenfeld ausgewiesen und damit besonders gewichtet werden.

Finanzielle Mittel für Lohn- und Beschäftigungsmassnahmen für Angestellte im Gesundheitswesen will der Regierungsrat dem Grossen Rat aber nicht beantragen. Dafür seien die Arbeitgeber beziehungsweise Gesundheitsbetriebe verantwortlich, argumentiert er. Der Kanton beteilige sich mit einem Anteil von 55 Prozent an den Fallkosten der Spitäler.

«Eine über diesen Anteil hinausgehende Entschädigung an den Lohnkosten sieht der Regierungsrat nicht vor.»

Zwar würden sich andere Kantone direkt an den Lohnkosten im Gesundheitswesen beteiligen, das führe aber zu einer Wettbewerbsverzerrung, so die Regierung.

SP-Grossrätin Silvia dell'Aquila stellt weitere Vorstösse zum Thema in Aussicht.

SP-Grossrätin Silvia dell'Aquila stellt weitere Vorstösse zum Thema in Aussicht.

Fabio Baranzini

SP-Grossrätin Silvia Dell’Aquila ist von den Antworten enttäuscht. «Der Regierungsrat redet sich mit Scheinargumenten raus und verweist auf den Bund, obwohl das Gesundheitswesen kantonal geregelt ist.» Sie stellt weitere Vorstösse zum Thema in Aussicht. Denn es gehe nicht an, dass der Regierungsrat trotz deutlichem Ja zur Pflegeinitiative an der Urne nun nicht auch von sich aus aktiv werde und die Bedingungen im Gesundheitswesen verbessere.

«Damit ignoriert er den Willen der Stimmbevölkerung.»

Der Kanton Zürich agiert weniger zögerlich als der Aargau. Er will nicht auf konkrete Vorgaben des Bundes zur Umsetzung der Pflegeinitiative warten. Der Zürcher Regierungsrat hat Anfang Februar beschlossen, 3,8 Millionen Franken in die Weiterbildung von Pflegepersonal zu investieren.

Konkret erhalten Personen, die sich zwischen dem 1. April 2022 und dem 31. Januar 2024 für eine Weiterbildung entscheiden, diese kostenlos. Zudem trägt der Kanton die Studiengebühren für die zweijährigen Nachdiplomstudiengänge für Intensiv- und Notfallpflegepersonal.

Auch der Kanton Basel-Stadt will nicht abwarten, wie eine Sprecherin des Basler Gesundheitsdepartements gegenüber der bz sagte. Der Kanton Baselland hingegen verhält sich ähnlich wie der Aargau: Der Bund gebe den Takt vor, auch wenn der Kanton Zürich vorpresche.