Raser vor Gericht
Gericht entscheidet: Alfa Romeo des Rasers vom Zurziberg wird verkauft

Ein 34-jähriger Italiener muss für ein halbes Jahr ins Gefängnis. Er fuhr ausserorts 141 km/h. Wie das Bezirksgericht Zurzach entschied, wird der Alfa Romeo eingezogen und verkauft. Der Raser erhält vom Erlös allerdings keinen Rappen.

Rosmarie Mehlin
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Wäre Flavio (Name geändert) einen Stundenkilometer weniger schnell gewesen, müsste er nicht sechs Monate in den Knast und könnte sein Auto behalten (siehe Kasten). Doch weil der 34-Jährige mit – toleranzbereinigt – 141km/h den Zurziberg hinuntergebrettert war, hat er sich eines Verbrechens und nicht «nur» eines Vergehens schuldig gemacht.

So steht es seit Januar im Strassenverkehrsgesetz geschrieben: Wer ausserorts mit mehr als 140 km/h fährt, wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft. Dasselbe gilt bei über 70 km/h in einer 30er-Zone, bei mehr als 100 km/h innerorts und bei über 200 km/h auf der Autobahn – alles netto, nach Abzug der Toleranz-Limite.

«Man muss zügig überholen»

Flavio war an einem Samstagmittag im März dieses Jahres mit seinem Alfa Romeo 156 1.9 von Bad Zurzach her über den Berg gefahren. Nach der Passhöhe hatte er auf einen Kleinwagen und einen Kombi eingeholt. «Zwei Kriecher», sagte er gestern vor Gericht, «die hatten höchstens 70 km/h drauf. Und wer so, statt mit 80 fährt, behindert den Verkehr.» Also, so Flavio weiter, habe er die beiden Wagen überholt und – «wie man schon in der Fahrschule lernt» – müsse man das zügig tun.

Nach dem Überholmanöver ging Flavio dann aber nicht vom Gas, sondern hatte in einer Rechtskurve, ohne den Richtungsblinker zu setzen, mit 141 km/h gleich noch einen VW Golf überholt. Anschliessend war er in ähnlich hohem Tempo weitergeblocht, bis er beim Kreisel Tegerfelden von der Polizei gestoppt wurde. «Ich war selber auch geschockt, dass ich über 140 km/h draufgehabt hatte.»

Raserautos: Mit Erlös soll das Verfahren bezahlt werden

Bei Rasern gilt das Auto seit diesem Jahr als Tatwaffe. Und diese Tatwaffe wird im Kanton Aargau seither konsequent beschlagnahmt. «Es gibt Ausnahmen, beispielsweise bei geleasten Autos oder Geschäftswagen, die zurückgegeben werden könnten», sagt Elisabeth Strebel, Sprecherin der Aargauer Staatsanwaltschaft.

23 Strafverfahren gegen Raser wurden dieses Jahr im Kanton bereits eröffnet, insgesamt 20 Autos wurden beschlagnahmt. Sie sind in verschiedenen Garagen im Kanton untergebracht. Was mit den Autos geschieht, das entscheiden die Richter. Klar ist: Wird das Auto verkauft, erhält der Raser den Erlös des Wagens nicht. Das war früher in den seltenen Fällen üblich, in denen ein Auto verkauft wurde.

Wie das Urteil gestern zeigte, kann das Auto heute laut Gesetz verkauft und der Erlös zur Deckung der Parkplatzmiete oder der Verfahrenskosten verwendet werden. Bleibt Geld übrig, könnte es gemeinnützigen Organisationen zugute kommen. Weil die Praxis in der Rechtsprechung noch fehlt, blieb bisher offen, wie beispielsweise mit geleasten Autos umgegangen wird. Würde das geleaste Auto eines Rasers durch das Gericht veräussert und fiele der Ertrag geringer aus als der tatsächliche Wert des Fahrzeugs, hätte die Leasingfirma das Einsehen und müsste selber schauen, wie sie zu ihrem Geld kommt. «Rein hypothetisch könnte das dazu führen, dass sich Leasingfirmen künftig zweimal überlegen, wem sie ein Auto geben», sagt Staatsanwalt Sandro Rossi. (WUA)

Burnout und Schuldenberg

Flavio ist Italiener, wurde hier geboren, hat keinen Lehrabschluss und arbeitet seit vielen Jahren im Umfeld des Autogewerbes. 2010 hatte er sich in der Branche selbstständig gemacht, hatte bis zu einem Burnout geschuftet und war dennoch gescheitert. 2012 hatte er seine Firma liquidiert, woraus ein Schuldenberg von rund 100 000 Franken resultierte.

Inzwischen ist Flavio wieder bei seinem früheren Arbeitgeber tätig, fährt jeden Morgen mit dem Zug 90 Minuten hin und abends zurück. Von seinem Lohn von 5200 Franken gibt er den Eltern 1000 für Kost und Logis, weitere 2000 werden jeden Monat gepfändet.

Am Tatort beschlagnahmt

Der Alfa, den er 2012 seiner Mutter verkauft hatte, war noch am Tatort beschlagnahmt worden und wird jetzt, gemäss Gerichtsentscheid, definitiv eingezogen und verkauft. Mehr noch als die Trennung von dem mit Jahrgang 2003 nicht mehr taufrischen Vehikel schmerzt Flavio der Verlust des Führerausweises.

Einen solchen hatte er bereits einmal durchlitten, ist der 34-Jährige doch einschlägig vorbestraft: 2003 war er mit 30 km/h zu viel erwischt worden, 2005 mit 1,27 Promille. Insgesamt 13 Monate hatte er auf das Billett verzichten müssen.

«Vermehrt verkehren Leute auf unseren Strassen, die dort nicht hingehören, weil es ihnen an Sozialkompetenz mangelt», begann der Staatsanwalt sein Plädoyer. Dem Beschuldigten sei die Freude am Geschwindigkeitsexzess wichtiger gewesen als das Leben anderer Verkehrsteilnehmer.

So habe er nicht nur zum Überholen beschleunigt, sondern das Tempo über eine längere Strecke beibehalten, wobei ihm mehrere Fahrzeuge entgegenkamen: «Er hat mit direktem Vorsatz, egoistisch und rücksichtslos gehandelt.» Dafür forderte der Ankläger eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon 6 Monate unbedingt und 24 Monate bedingt mit der längstmöglichen Probezeit von fünf Jahren.

Der Schuldspruch

Die Verteidigerin meinte, dass ihr Mandant grob fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt habe, wofür eine bedingte Geldstrafe und eine Busse angemessen seien. Überdies sei ihm der Alfa auszuhändigen, schliesslich könnten er oder seine Mutter ja jederzeit auch wieder ein Auto kaufen.

In seiner Replik betonte der Ankläger, dass auch Waffen und Drogen wieder erworben werden können und trotzdem nach einer entsprechenden Straftat konsequent eingezogen werden. Das Gericht unter Präsident Cyrill Kramer sprach Flavio einstimmig schuldig gemäss Anklage und folgte auch im Strafmass dem Staatsanwalt.