Der heftige Hagelsturm, der am Mittwochabend über die Region Baden fegte, hat Spuren hinterlassen. Besonders heftig traf es Ehrendingen. Ein Augenschein.
Fredrik Meier beobachtete am Mittwochabend mit seinen Kindern zu Hause in Ehrendingen die Blitze in der Ferne. «Zu diesem Zeitpunkt dachte ich nicht daran, was uns erwarten würde.» Als sich aber die Gewitterfront von Freienwil her näherte und der Hagelniederschlag innert Kürze stärker wurde, wusste Meier: «Jetzt beginnt das Telefon zu klingeln.» Er lag richtig.
Der Familienvater stieg ins Auto und fuhr Richtung Feuerwehrmagazin. Dort traf der Vizekommandant der Feuerwehr Ehrendingen-Freienwil auf die anderen Feuerwehrleute. Schnell war ihm klar, dass der Sturm kein gewöhnlicher werden würde. Die Hagelkörner türmten sich bis zu 40 Zentimeter hoch, Wassermassen fluteten langsam, aber sicher die Strassen.
Meier und seine Kollegen versuchten, die Dorfstrasse und den Kirchweg aus Sicherheitsgründen zu sperren. «Die Autos schwebten wie Schiffe auf dem Wasser», erzählt er. Meier lief die Dorfstrasse hinab, klingelte bei den Anwohnern und fragte, ob alles in Ordnung sei. «In dieser Situation kam mir das Unwetter in Zofingen in den Sinn.» Damals, am 8. Juli 2017, wurde die Region Zofingen von einem heftigen Unwetter heimgesucht, das Schäden in Millionenhöhe hinterliess. «Das Unvorstellbare war jetzt auch in Ehrendingen eingetroffen», sagt Meier. Der Vizekommandant fühlte sich wie in einem Kriegsfilm, als wären Bomber mit Hagel über das Dorf eingefallen.
Fredrik Meier sitzt am Tag nach dem Hagelsturm im Feuerwehrmagazin Ehrendingen. An seinen Stiefeln sind noch Schlammspuren zu sehen. Er sieht müde, aber zufrieden aus. Bis 4 Uhr morgens war die Feuerwehr Ehrendingen-Freienwil im Einsatz. «Wir waren sehr gut organisiert und haben super zusammengehalten.»
Gefreut hat ihn, dass die Bevölkerung verständnisvoll und solidarisch gewesen sei. «Erst in solchen Situationen merkt man, wie verwundbar man eigentlich ist.» Auch sein Garten und seine Garage blieben nicht verschont. «Der Hagelsturm hat alles übertroffen.» Es werde wohl noch eine Weile dauern, bis er das Ereignis verarbeitet habe.
Das Ausmass des Hagelsturms noch nicht richtig realisiert hat auch Landwirt Erich Frei aus Ehrendingen. Sein Betrieb liegt knapp 500 Meter neben dem Feuerwehrmagazin. Freis Erdbeerpflanzen sind vernichtet. Auch um den Raps, die Zuckerrüben und den Mais steht es nicht sonderlich gut. «Ich habe aber Hoffnung», sagt Frei. Denn wenn die Herzblätter unbeschadet sind, werden die Pflanzen weitergedeihen.
Das Unwetter im Raum Baden kam unerwartet, schnell und heftig. Voraussagen lassen sich solche Ereignisse schwer: «Wir hatten eine Hagelwarnung herausgegeben, welche Region es genau trifft, lässt sich aber kaum im Voraus berechnen», sagt Reto Vögeli von Meteonews.
Umso besser kann der Meteorologe erklären, wie es zu diesem Hagelsturm kam: Am Mittwoch seien vereinzelt hochsommerliche Temperaturen gemessen worden, in Beznau etwa 29,1 Grad. Zudem sei eine gewisse Feuchtigkeit in der Luftmasse gewesen. «So war nur noch ein ’Zündholz’ nötig, um das Gewitter zu entfachen. In den höheren Schichten der Tropopause kam es zu einem kleinen Temperaturrückgang. Kombiniert mit der grossen Menge an latenter Energie führte dies zur Bildung von heftigen Gewitterzellen», so Vögeli.
Mitverantwortlich war auch ein Aufeinanderprallen von Winden, wie SRF Meteo schreibt. Böiger Westwind in der Region Bern und gleichzeitig kräftiger Ostwind in der Region Zürich prallten über dem Aargau zusammen.
Zwischen 17 und 18 Uhr bildeten sich im Aargau starke Gewitter. In der Folge entwickelten sich weitere Zellen, die sich am Abend zu einer Gewitterlinie vereint haben. Örtlich brachten die Gewitterzellen über 50 Liter Regen pro Quadratmeter (z.B. in den Bezirken Baden und Zurzach), bis zu 2 cm grosse Hagelkörner (in der Stadt Baden) und mehreren Tausend Blitzentladungen. (dko)
Den Hagelsturm einigermassen gut überstanden haben hingegen die Kirsch- und Apfelbäume. Sie waren durch ein Hagelnetz geschützt – obwohl es an einigen Stellen durch das Gewicht der Hagelkörner eingerissen ist. «Wir haben ein Riesenglück gehabt, ich bin dankbar dafür», sagt Frei. Auch sei er froh, dass die Obst- und Ackerbaukulturen Hanglage haben, dadurch konnte das Wasser ablaufen. Bis jetzt hat Erich Frei nicht viel Zeit gehabt, sich um seine Plantagen zu kümmern. «Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass der Betrieb am Laufen bleibt», sagt Frei. Erst in ein paar Tagen kann er abschätzen, wie gross die Ertragseinbusse ist. Klar für ihn ist aber: «So hat es uns noch nie erwischt.»
Nicht ganz so heftig wie in Ehrendingen gingen die Hagelniederschläge in Baden nieder. Dennoch begruben die Körner viele Strassen und Plätze unter sich. Der Metroshop mit dem Coop und weiteren Geschäften stand knöcheltief im Wasser. Am Tag danach zeugen blätterübersäte Böden und Hagelkörner-Haufen vom Unwetter. In den Quartieren räumen viele den Garten auf. In der Innenstadt stellt «Fiori»-Wirt Kumaran «Kumi» Ramalingam Stühle und Tische wieder auf.
«Der Sturm war unglaublich und überraschte uns alle», sagt Kumi. «Die Terrasse war gedeckt, als es plötzlich zu hageln begann. Innert Kürze lief das Wasser nur so die Weite Gasse runter.» Die Gäste hätten sofort drinnen Schutz gesucht. Er half dem benachbarten «Rose»-Wirtepaar Bergan und Erdal Dogan, die Sonnenschirme zu schliessen. «Die Solidarität und der Zusammenhalt der Nachbarn waren am Mittwochabend sehr gross», sagt die «Rose»-Pächterin. Beizer und Gwerbler unterstützten sich gegenseitig, etwa, als die Wassermassen ins Kleidergeschäft «Street One» eindrangen und das Licht ausging.
Unterwegs war am Mittwochabend auch Dario Christen. «So einen Hagelsturm habe ich noch nie erlebt.» Er sei in der Badstrasse knöcheltief im Wasser gestanden. «Das war eindrücklich.» Marta Graf, die mit Rollator und Hund ebenfalls in der Stadt war, suchte Schutz unter einem Dach. «Als es nicht mehr aufhörte zu hageln, nahm ich die Decke meines Hundes, schützte mich und lief los. Ich war froh, als ich unversehrt zu Hause angekommen bin.»