Frickers Rücktritt
Freund und Feind überrascht – «Das ist ein harter Schritt für ihn und seine Karriere ist jetzt wohl vorbei»

Ob Thierry Burkart, Andreas Glarner, Ruth Humbel oder Cédric Wermuth: Mit Frickers Rücktritt hat kaum einer der Aargauer Nationalräte gerechnet. In der Sache gehen alle hart ins Gericht mit dem Grünen.

Rolf Cavalli
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Aargauer Nationalräte äussern sich zu Jonas Frickers Rücktritt. Von links nach rechts: Thierry Burkart, Cédric Wermuth, Andreas Glarner.

Aargauer Nationalräte äussern sich zu Jonas Frickers Rücktritt. Von links nach rechts: Thierry Burkart, Cédric Wermuth, Andreas Glarner.

Emanuel Per Freudiger/Keystone/Montage:az

FDP-Nationalrat Thierry Burkart hat nicht mit Frickers Rücktritt gerechnet. Zwar war die Entschuldigung des Grünen-Politikers auch in Burkarts Augen zu wenig. Auf Twitter schrieb der Freisinnige am Donnerstag: «Mit einer Entschuldigung ist vorgelesene Verharmlosung der Nazi-Verbrechen nicht erledigt.» Burkart hätte erwartet, dass sich Fricker «ernsthaft mit dem Gesagten auseinandersetzt und sich überlegt, wie er zu solchen unhaltbaren Aussagen gekommen ist.» Mit dem Rücktritt nun zeige er Grösse. «Die maximale Konsequenz Rücktritt wäre meines Erachtens aber nicht nötig gewesen», findet Burkart, der wie Fricker aus Baden kommt.

Für Burkart zeigt der Fall Fricker auch: «Wir Politiker müssen uns stets sehr gut überlegen, was wir wann wie sagen. Einmal Gesagtes kann man nicht mehr zurücknehmen.»

Bei der SVP noch schneller weg?

SVP-Nationalrat Andreas Glarner findet den Rücktritt richtig. «Hätte das einer von uns gesagt, wäre er innert 15 Minuten weg gewesen aufgrund des Drucks.» Glarner selber hat Frickers Holocaust-Vergleich im Nationalratssaal nicht mit eigenen Augen gesehen: «Ich war gerade draussen und wurde dann von Parteikollege Büchel darauf aufmerksam gemacht. Als ich das nachgelesen habe im Protokoll, konnte ich es kaum glauben. Wie kann man nur so etwas Unsägliches, Dummes sagen.»

"Ein aussergewöhnlicher Schritt"

CVP-Nationalrätin Ruth Humbel sass im Nationalratssaal, als Fricker seine fatale Rede hielt. «Ich war erschrocken, als ich den Vergleich mit dem Holocaust gehört habe. Das war eine klare Grenzüberschreitung», sagt Humbel. Zum Rücktritt meint sie: «Ich bin nicht sicher, ob das nicht eine Überreaktion war. Offenbar war der Druck in der eigenen Partei sehr gross.» Sie habe Jonas Fricker als «Herzblut-Politiker» kennen gelernt und ihn geschätzt. «Der Rücktritt ist ein harter Schritt für ihn und seine politische Karriere jetzt wohl vorbei.»

Cédric Wermuth, SP-Nationalrat und Co-Präsident der SP Aargau, findet Frickers Rücktritt "konsequent und respektabel": «Das ging nun alles sehr schnell und ist ein aussergewöhnlicher Schritt.» Er nehme den Rücktritt zur Kenntnis. Er ändere aber nichts am Umstand, dass nicht gehe, was Fricker gesagt habe. Wermuth kennt seinen Aargauer Politkollegen gut: «Jonas Fricker ist sicher kein Antisemit, aber solche Aussagen dürfen nicht passieren und sind nicht zu entschuldigen.» Er begrüsse es, «wenn die Grünen das Thema nun parteiintern angehen und klären».

Jonas Frickers Werdegang in Bildern
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Von 2002 bis 2006 sass Fricker für das team baden im Einwohnerrat der Stadt Baden.
Jonas Fricker bei den Grossratswahlen am März 2009 in Aarau. Von 2007 bis 2010 war er Ratsmitglied. Von 2005 bis 2009 war er zudem Parteipräsident der Grünen im Kanton Aargau.
Jonas Fricker gratuliert der neugewählten Regierungsrätin Susanne Hochuli am 30. November 2008 im Grossratsgebäude. Hochuli machte sich für den Badener stark, als er 2015 für das Nationalratsmandat kandidierte. Sie schrieb: “Ich unterstütze Jonas Fricker, weil die Nachhaltigkeit für ihn kein Schlagwort, sondern gelebte Realität ist – in der Familie, im Beruf, in der Politik. Wir brauchen im Bundesparlament Politikerinnen und Politiker, die im Grossen wie im Kleinen immer das Ganze im Auge haben.“
Von 2011 bis 2013 lebte Fricker mit seiner Familie in Amsterdam. Im Bild mit seiner Tochter und seinem Cousin Adrian Hunziker. Fricker ist seit 2011 verheiratet und hat mittlerweile drei Kinder.
Fricker hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Neben seiner politischen Laufbahn arbeitete er auch als Lehrer.
2015 kandidierte der Badener für den Nationalrat. Obwohl Irène Kälin aus Lenzburg auf dem ersten Listenplatz kandidierte...
...überrundete Fricker sie mit rund 3000 Stimmen.
Vorfreude: Der Grüne Jonas Fricker vor seinem ersten Tag als gewählter Nationalrat im Parlament.
Euphorie nach der Abstimmung vom 21. Mai: Die Befürworter des neuen Energiegesetzes freuen sich über den unerwartet deutlichen Abstimmungserfolg. Laura Curau (Kampagnenleiterin CVP), Alt-Nationalrat Ruedi Rechsteiner, Beat Jans (Nationalrat SP-BS), Roger Nordmann (Nationalrat SP-VD), Matthias Aebischer (Nationalrat SP-BE), Regula Rytz (Parteipraesidentin Gruene), Jonas Fricker (Nationalrat Gruene-AG), Stefan Mueller-Altermatt (Nationalrat CVP-SO), von links, und weitere Befuerworter der Energiestrategie 2050 jubeln nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnung, im Hauptquartier der Befuerworter der Energiestrategie 2050, am Sonntag, 21. Mai 2017 in Bern.
Jonas Fricker setzte sich auch für die Geschlechter-Gleichstellung ein: Hier während einer Protestaktion mit Maya Graf (Grüne) im Juni 2017 vor dem Bundeshaus.
«Die Menschen, die dort deportiert wurden, die hatten wenigstens eine kleine Chance zu überleben»: Jonas Frickers Rede im Parlament 28. September 2017

Jonas Frickers Werdegang in Bildern

Chris Iseli

Blinder Fleck bei Linken

Das findet auch CVP-Kantonalpräsidentin Marianne Binder wichtig, die als Badenerin Jonas Fricker gut kennt und ihm «trotz dem unerträglichen Votum keine entsprechende Gesinnung» unterstellen will. «Wenn Jonas Fricker jetzt die Konsequenzen zieht, bringt er damit auch alle in seiner Partei unter Druck, die seine Aussage jetzt heftig verurteilen, bei anderen aber bisher immer schwiegen», sagt Binder und konkretisiert: Leute, die unter dem Deckmantel von «Israelkritik» die klassischen Vorurteile gegen Juden ausleben würden. Der rechte Antisemitismus sei nicht überwunden, aber wenigstens identifiziert, so Binder. «Der linke muss auch aufgearbeitet werden, denn da ist ein blinder Fleck. Bekämpfen muss man ihn, wo er auftaucht.»