Grosser Rat
Flüchtlingshilfe vor Ort, mehr Geld aus Bern: Aargau schickt gleich zwei Asylinitiativen ins Bundeshaus

Heute tagt der neu zusammengesetzte Grosse Rat erstmals in diesem Jahr. Er wird unter anderem eine Asyl-Standesinitiative verabschieden. Eine zweite folgt demnächst.

Mathias Küng
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Bern wird sich mit zwei Aargauer Asyl-Anliegen beschäftigen müssen. (Archiv)

Bern wird sich mit zwei Aargauer Asyl-Anliegen beschäftigen müssen. (Archiv)

Keystone

Im neuen Jahr hat der Grosse Rat erst eine Sitzung abgehalten, um den neuen Ratspräsidenten zu wählen. Seither herrschte nach aussen Funkstille. Das hat damit zu tun, dass die Regierung zum Legislaturende jeweils möglichst viele Geschäfte abschliesst. Neue Geschäfte müssen von der neuen Regierung erst aufgegleist werden. Mit Verzögerung kommen diese dann in den Grossen Rat. So tagt dieser heute erst zum zweiten Mal in diesem Jahr. Am meisten Beachtung dürfte dabei eine neue Standesinitiative finden.

Ausgelöst hat diese die SVP-Fraktion. Sie will, dass der Aargau den Bund auffordert, «durch eine Änderung der Asylpolitik dafür zu sorgen, dass die Schweiz den an Leib und Leben bedrohten Flüchtlingen möglichst nahe den Herkunftsländern hilft und dafür Anreize konsequent abbaut, welche Schleppern ein blühendes Geschäft mit lebensgefährlichen Reisen ermöglicht». Dieser Text ist Ende August von SVP, FDP, der mehrheitlichen CVP und der EDU unterstützt worden. Das reichte mit 78 : 43 für die Ausarbeitung einer Standesinitiative.

Bund soll länger zahlen

Der Grosse Rat hat im Spätsommer zwei Asylvorstösse erheblich erklärt, die als Standesinitiativen in Bern eingereicht werden sollen. Nebst dem SVP-Vorstoss (vgl. Hauptartikel) geht es um einen der FDP-Fraktion. Verlangt wird darin, dass der Bund neu «während der ersten zehn Jahre die vollen ungedeckten Kosten für vorläufig Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge» übernimmt. Die Gesundheitskommission bereitet derzeit den definitiven Antrag an den Grossen Rat vor.

Laut Kommissionspräsident Ulrich Bürgi (FDP) soll jetzt nur eine Erhöhung von 5 auf 7 (statt auf 10) Jahre verlangt werden. Dafür will die Kommission die unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber in die Initiative miteinbeziehen. Denn diese kosten pro Monat 4 000 Franken und verursachen dem Kanton ungedeckte Kosten von 7 Millionen Franken pro Jahr. Auch wolle man verlangen, dass der Bund die Integrationspauschale gemäss Empfehlung der Sozialdirektorenkonferenz von 6 000 auf 20 000 Franken pro Asylbewerber erhöht. Dieses Geld soll insbesondere für die schulische und berufliche Integration eingesetzt werden.

Jetzt schlägt die zuständige Sicherheitspolitische Kommission dem Rat mit 8:4 bei einer Enthaltung vor, die Standesinitiative nach Bern zu schicken. Allerdings hat sie ihr in der Vorberatung «zwei gewichtige Zähne gezogen», wie Marlène Koller (SVP), die bei der Beratung dabei war, in der az unlängst sagte. In der Begründung für die Initiative fehlen jetzt nämlich die SVP-Forderungen, die Grenzen für Asylsuchende zu schliessen, sowie auch im Mittelmeer aufgegriffene Menschen in Lager vor Ort zurückzubringen.

Entscheidend sei, sagt SVP-Fraktionschef Jean-Pierre Gallati dazu, dass die Forderung «wirksame Flüchtlingshilfe vor Ort» nach Bern geschickt wird. Um die einzelnen Formulierungen in der Begründung mag er nicht streiten.

Roth trägt Entscheid kollegial mit

Es ist davon auszugehen, dass der Grosse Rat heute gegen den Protest vorab von SP und Grünen die Standesinitiative beschliesst. Etwas Spannung in die Debatte bringt der Umstand, dass die Regierung empfiehlt, auf die Initiative zu verzichten. Dies hat sie noch in alter Zusammensetzung (1 Regierungsrat SVP, 1 FDP, 1 CVP, 1 SP, 1 Grüne) entschieden. Natürlich unterstütze sie das Anliegen, Menschen vor Ort zu helfen, betont sie. Der Bund sei aber bereits entsprechend tätig – auch finanziell. Deshalb sei es «wenig zweckmässig, zu dieser Frage noch eine Standesinitiative einzureichen».

Diese Empfehlung der Regierung sei «Ausdruck einer Willkommenskultur», sagt dazu SVP-Fraktionschef Gallati. Dies im Unterschied zur SVP-Forderung, Flüchtlinge möglichst vor Ort zu betreuen, was «sicher nicht im Interesse der Mitte-Links-Mehrheit im vorherigen Regierungsrat» sei. Gallati spielt damit darauf an, dass sich die neue Regierung anders zusammensetzt (2 SVP, 1 FDP, 1 CVP, 1 SP). Wie steht denn die neue Gesundheits- Sozial- und Asyldirektorin Franziska Roth (SVP) zur Empfehlung der Regierung? Ihr Generalsekretär Stephan Campi antwortet: «Frau Regierungsrätin Franziska Roth, Vorsteherin DGS, trägt diesen Entscheid der damaligen Regierung kollegial mit.»

So hilft die Aargauerin des Jahres in Flüchtlingslagern:

Eine mobile Zahnklinik für Flüchtlinge - mit Marit Neukomm im Flüchtlingslager Preševo in Serbien
22 Bilder
Einst Tabakfabrik, dann Ruine, jetzt ein Ort der Hoffnung für viele Menschen auf der Flucht: das Flüchtlingslager in Preševo.
Das UNO-Kinderhilfswerk Unicef betreibt einen Kindergarten und Spielplätze im Lager.
Die Erwachsenen können Sport treiben, Sprachen lernen und helfen bei der Arbeit im Lager mit.
Bilal Arafeh und Aleksandra Čimburović haben in Belgrad Zahnmedizin studiert. Sie werden als erste in der mobilen Klinik arbeiten.
Endlich ist sie da: Die mobile Zahnklinik kommt mit zwei Tagen Verspätung in Preševo an.
Nicole Grogg (l.) und Marit Neukomm von "Volunteers for Humanity" mit Dunja (10) und Hiro (9) aus dem Irak.
Das Interesse ist gross: Kinder und Erwachsene begutachten die Klinik.
Aleksandra Čimburović wird sich einen Monat lang um Zahnprobleme der Flüchtlinge kümmern.
Alles ist da: ein Röntgengerät, ein Sterilisator für das Zahnarztbesteck, ein kleiner Computer und ein Stromgenerator.
Evar (7) aus dem Irak darf als erster auf den Patientenstuhl. Er hat Glück: Seine Milchzähne sind gesund.
Der 60 Jahre alte Kurbaneli Jaffari aus Afghanistan hat fast keine Zähne mehr.
Mubeen Loqmani (16) aus Afghanistan hat starke Zahnschmerzen. Er wird in den nächsten Wochen mehrmals in die Klinik kommen.
Nicole Grogg (25) aus Windisch arbeitet an der Fachhochschule Nordwestschweiz. In der Freizeit engagiert sie sich für "Volunteers for Humanity".
Marit Neukomm (33) hat "Volunteers for Humanity" vor gut einem Jahr gegründet. Im November 2016 wurde sie zur "Aargauerin des Jahres" gewählt.
"Chocolate, chocolate, chocolate!" - die Schoggistängeli werden Nicole Grogg aus den Händen gerissen.
Vanja Crnojević (36) aus Schlieren gründete das Hilfswerk "Borderfree Association". Besonders aktiv ist der Verein in Preševo und im griechischen Idomeni.
"Swiss Residence": Während des Balkankriegs flohen viele Bewohner von Preševo nach Deutschland und in die Schweiz. Heute bringen sie Geld und Know-how aus der neuen Heimat nach Preševo.
Es wird gebaut in Preševo: Neubauten schiessen wie Pilze aus dem Boden.
Nicht alle Neubauprojekte werden fertiggestellt - wie dieses Haus im Stadtzentrum.
Die grössere der beiden Moscheen von Preševo. Der Ort ist zum grössten Teil albanischsprachig und muslimisch.
Vor dem Schulgelände steht das Denkmal für den albanischen Nationalhelden Georg Kastriota Skanderbeg (1405-1468). Der Adelige verteidigte Albanien gegen die Osmanen.

Eine mobile Zahnklinik für Flüchtlinge - mit Marit Neukomm im Flüchtlingslager Preševo in Serbien

Aargauer Zeitung