Justiz
Fluchtgefahr besteht trotz Coronakrise: Junger Räuber aus Sri Lanka muss im Gefängnis bleiben

Ein junger Mann will aus der Haft entlassen werden und begründet dies unter anderem mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Seine Freilassung erreicht er damit vor Bundesgericht allerdings nicht.

Manuel Bühlmann
Drucken
Der 22-jährige Häftling bleibt eingesperrt. (Symbolbild)

Der 22-jährige Häftling bleibt eingesperrt. (Symbolbild)

Symbolbild: Keystone

Die Grenzen sind geschlossen, zum Schutz vor dem weltweit grassierenden Coronavirus. Von der Massnahme, die für viele Menschen mit der Einschränkung ihrer Freiheit verbunden ist, erhoffte sich ein 22-jähriger Mann aus dem Kanton Aargau das Gegenteil. Sein Gesuch um Haftentlassung begründete er unter anderem mit der Coronakrise: Eine Flucht ins Ausland sei derzeit gar nicht möglich.

Seit mehr als zwei Jahren befindet er sich hinter Gittern, den grössten Teil davon im vorzeitigen Strafvollzug. Im April 2019 hat ihn das Bezirksgericht Aarau zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, unter anderem wegen Raubes, einfacher Körperverletzung, Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Für sieben Jahre des Landes verwiesen

Der junge Tamile hat vor gut zwei Jahren einem gleichaltrigen Schweizer ein Päckli Zigaretten aus der Hand gerissen und diesen geschlagen. Das Aarauer Bezirksgericht qualifizierte dies als Raub – ein sogenanntes Katalogdelikt, das gemäss Ausschaffungsinitiative zwingend zu einem Landesverweis führt, sofern kein Härtefall vorliegt. So verwies das Gericht den Beschuldigten, der aus Sri Lanka stammt und in der Schweiz aufgewachsen ist, denn auch für sieben Jahre des Landes. Ob es dabei bleibt, wird sich erst noch zeigen: Staatsanwaltschaft, Privatkläger und Beschuldigter haben das Urteil ans Obergericht weitergezogen.

Klar ist hingegen bereits jetzt: Aus dem Gefängnis wird der Aargauer vorläufig nicht entlassen. Mit den Argumenten für seine Freilassung vermag er auch das Bundesgericht nicht zu überzeugen, wie das jüngst veröffentlichte Urteil zeigt. Weil der Mann sich nicht genügend mit der obergerichtlichen Begründung auseinandergesetzt habe, tritt die oberste Instanz gar nicht erst auf die Beschwerde gegen das abgelehnte Haftentlassungsgesuch ein. Die Begründung im kurz gefassten Entscheid lautet: Der Beschuldigte zeige nicht auf, wieso die Vorinstanz zu Unrecht von einer nach wie vor bestehenden Fluchtgefahr ausgegangen sein soll.

Flucht über grüne Grenze möglich

Das Aargauer Obergericht hatte das Haftentlassungsgesuch bereits Anfang April mit deutlichen Worten abgewiesen: «Was der Beschuldigte vorbringt, ist abwegig.» Sollte der Privatkläger oder die Staatsanwaltschaft mit der Berufung und der Forderung nach einer Verurteilung wegen versuchter Tötung beziehungsweise versuchter schwerer Körperverletzung erfolgreich sein, könnte die Strafe deutlich höher ausfallen. Der Beschuldigte habe sich zudem schon als Jugendlicher strafbar gemacht und könne «weder beruflich noch sozial als integriert oder auch nur integrationswillig bezeichnet werden».

Das Obergericht hielt daher fest: Bei einer Entlassung drohe die Gefahr, dass sich der Mann dem Strafverfahren und der verbleibenden Freiheitsstrafe entziehen würde. «Der blosse Umstand, dass die Grenzübergänge aufgrund der Coronakrise zum Teil geschlossen und vermehrt kontrolliert werden, kann eine Flucht ins Ausland zwar möglicherweise erschweren, die Fluchtgefahr aufgrund der teilweise unbemannten Grenzübergänge und der oftmals unkontrollierten grünen Grenze sowie der Möglichkeit eines Untertauchens in der Schweiz aber offensichtlich nicht beseitigen.»

Gesuch war womöglich ein Eigentor

Die Ablehnung seines Haftentlassungsgesuchs hat für den Beschuldigten nicht nur zur Folge, dass er bis auf Weiteres im Gefängnis bleiben muss, die Bedingungen hinter Gittern werden sich für ihn womöglich gar verschärfen: Weil er nach Ansicht des kantonalen Gerichts mit seinem Haftentlassungsgesuch zu verstehen gegeben habe, mit dem vorzeitigen Strafvollzug nicht mehr einverstanden zu sein, muss das Amt für Justizvollzug nun prüfen, ob er ins restriktivere Regime der Sicherheitshaft versetzt werden soll.

Noch offen ist, wann das Obergericht als zweite Instanz die Taten beurteilen wird, die dem jungen Mann zur Last gelegt werden. Der Grund für die Unsicherheit bei der Planung: die Pandemie. «Über die Berufung des Beschuldigten wird nach Beendigung der Coronakrise im Sommer oder Herbst 2020 entschieden werden können», heisst es in der obergerichtlichen Verfügung zum Haftentlassungsgesuch.

Bundesgerichtsurteil 1B_227/2020 vom 12. Mai 2020