Sondersetting
Expertin zum Möriker Prügelschüler: «Für gewaltbereite Jugendliche ist Boxen nicht sinnvoll»

Sefika Garibovic ist Expertin für Nacherziehung, Kommunikation, systemisch orientierte Therapie und Konfliktmanagement. Im vergangenen Herbst ist ihr erstes Buch «Konsequent Grenzen setzen – Vom Umgang mit schwierigen Jugendlichen» erschienen.

Fabian Hägler
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Sefika Garibovic hat viel Erfahrung mit schwierigen Jugend- lichen.

Sefika Garibovic hat viel Erfahrung mit schwierigen Jugend- lichen.

Philipp Schmidli

Ein 14-jähriger Schüler bricht seiner Lehrerin mit einem Faustschlag den Kiefer. Der Fall in Möriken-Wildegg hat Empörung ausgelöst – kommt so etwas für Sie überraschend?

Sefika Garibovic: Das hat mich nicht erstaunt, in meiner Tätigkeit beobachte ich oft ähnliche Fälle. Dass eine erfahrene Lehrerin von einem Schüler verprügelt wird, ist für die Frau schlimm und aus gesellschaftlicher Sicht bedenklich. Es gibt aus meiner Erfahrung gerade unter Flüchtlingen viele Jugendliche, die gewaltbereit sind und sich Autoritätspersonen nicht unterordnen. Es muss nicht immer zu körperlicher Gewalt kommen, aber die Probleme mit dieser Gruppe sind bekannt.

Der Schüler hatte sich offenbar radikalisiert, verlangte von Mitschülerinnen, dass sie sich dezent kleiden sollen und akzeptierte die Lehrerin nicht als Autoritätsperson...

Aus meiner Sicht hatte sich der Schüler nicht hier radikalisiert, sondern kam wohl schon mit dieser Grundhaltung aus Syrien hierher. Das klingt hart, aber Lehrpersonen, Schulbehörden, Justiz und Politik in der Schweiz sind nicht vorbereitet auf solche Fälle. Auch in Syrien ist eine Lehrerin eine Respektsperson, wenn ein Schüler sie angreift, würden die Eltern in einer funktionierenden Familie ihn bestrafen und dies unterbinden. Aus meiner Sicht wollen die Eltern des Jugendlichen aus Möriken-Wildegg das nicht, da sie selber radikalisiert sind.

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Ein 14-jähriger Schüler hat im Sommer seine Lehrerin so heftig geschlagen, dass sie mit gebrochenem Kiefer ins Spital musste. Nun beantwortet die Regierung einen Vorstoss mit diversen Fragen zum Fall – wie es mit dem Syrer weitergeht, bleibt jedoch offen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Lässt sich das Verhalten des Schülers erklären, weil die Lehrperson eine Frau war und er aus einer patriarchalen Gesellschaft stammt?

Nein, ich glaube nicht, dass hier das Geschlecht der Lehrperson eine Rolle spielt. Der Schüler, der sie angriff, hat einfach die Normen und Werte nicht gelernt, die hier gelten. Es hätte auch einen Lehrer treffen können, nicht nur eine Lehrerin.

Wie sollen Behörden mit einem solchen Jugendlichen umgehen, der keine Regeln akzeptiert und aggressiv gegenüber Mitschülern und Lehrpersonen ist?

Viel härter und konsequenter, als die Behörden in diesem Fall gehandelt haben. Erstens müssen Lehrerinnen und Lehrer das Recht haben, einen solchen Schüler auszuschliessen, wenn er nicht tragbar ist. Heute wird zuviel abgeklärt, beraten, psychologisch analysiert und begutachtet. Das verursacht hohe Kosten und bringt am Ende wenig, wie der aktuelle Fall zeigt.

Der gewalttätige Schüler wurde in ein Sondersetting mit Box-Coaching geschickt. Dort sollte er unter anderem lernen, seine Aggressionen zu kontrollieren – halten Sie das für sinnvoll?

Nein, das finde ich völlig falsch. Stellen Sie sich mal vor: Die Lehrerin, die er angegriffen hat, geht jetzt in Pension, und die Behörden schicken den Schüler, der sie geschlagen hat, in ein Boxtraining. Dort lernt er, wie er künftig andere verprügeln kann, auch wenn das vielleicht nicht das Ziel des Settings ist. Ich halte Boxen für gewaltbereite Jugendliche nicht für sinnvoll, das ist ein falsches Zeichen für sie.

Was hätten Sie denn mit dem Schüler gemacht?

Ich hätte ihn auf einen Bauernhof geschickt, wo er unter professioneller Begleitung jeden Tag hart arbeiten muss. Dort müsste er solange bleiben, bis er gelernt hat, welche Werte und Regeln in der Schweiz gelten: Respekt und Anstand gegenüber Lehrpersonen und Mitschülern zum Beispiel. Und der Jugendliche muss auch das lernen: Wenn er sich nicht an diese Normen hält, wird er bestraft.

Die Aargauer Behörden wollten den Schüler rund vier Monate nach dem Vorfall in Lenzburg wieder in eine normale Klasse schicken. Offenbar waren die Prognosen mehrerer Fachstellen positiv – was halten Sie davon?

Zum Glück für die Lehrer und Kinder kam das nicht zu Stande, weil die Medien davon erfuhren und darüber berichteten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der Schüler in so kurzer Zeit im Sondersetting derart stark geändert hat, dass er in eine Regelklasse gehen könnte. Für die neuen Mitschüler und Lehrer in Lenzburg wäre eine solche Situation sehr schwierig gewesen.