Bezirksgericht Bremgarten
Ertrinkungstod eines 14-jährigen Schülers: Gericht spricht den Lehrer frei

Eine Schulklasse war im August 2012 an der Reuss in Bremgarten, und dabei kam es zu einem tödlichen Unfall: Ein Schüler ertrank. Der Lehrer stand am Donnerstag vor dem Bezirksgericht. Die Richter sprachen ihn von der fahrlässigen Tötung frei.

Toni Widmer
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Auch die Armee half im August 2012 bei der Suche.

Auch die Armee half im August 2012 bei der Suche.

MZM/Archiv

Für die Eltern ist das Urteil ein hartes Verdikt: Der Tod ihres 14-jährigen Sohnes, der am 20. August 2012 in der Reuss in Bremgarten ertrunken ist, bleibt ungesühnt. Der heute 53-jährige Lehrer, der mit einer 3. Realklasse der Kreisschule Mutschellen damals einen Ausflug nach Bremgarten gemacht hatte, ist vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Das Bezirksgericht Bremgarten – es tagte unter der Leitung von Lukas Trost – konnte ihm eine Verletzung von Sorgfaltsregeln nicht zweifelsfrei nachweisen.

alv-Präsident: «Mehr Rechtssicherheit»

Niklaus Stöckli, Präsident des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, forderte gegenüber dem SRF-Regionaljournal klare Gesetze des Kantons für Schulausflüge. Sonst müssten sich Lehrpersonen gründlich überlegen, ob sie weiterhin Ausflüge machen.

Irène Richner von der Medienstelle des Departements Bildung, Kultur und Sport, hat Verständnis für die Forderung der Lehrerschaft nach mehr Rechtssicherheit, erklärt aber gegenüber der az, es sei nicht möglich und auch nicht sinnvoll, einheitliche Regeln für Schulausflüge zu erlassen: «Die Ausgangslage ist für jeden Ausflug anders. Es gibt Unterschiede bei der Wahl des Ziels, beim Alter der Schüler und bei der Zusammensetzung der Klassen. Die Schulen kennen die Rahmenbedingungen am besten und wissen, was verantwortet werden kann und was nicht.» Das Departement Bildung Kultur und Sport empfehle Lehrpersonen, nie allein auf Schulreise zu gehen. (ZA)

Es war ein tragischer Badeunfall

Das Gericht hatte sich das Urteil alles andere als einfach gemacht und rund drei Stunden darüber beraten. «Es ist ein sehr tragischer Unfall, an dessen Folgen Eltern, Grosseltern, Freunde und Bekannte bis heute stark leiden. Doch für einen Badeunfall wie diesen kann nicht immer jemand verantwortlich gemacht werden. Es wird sie leider immer wieder geben. Das können keine Gesetze, Vorschriften und Richtlinien vermeiden», sagte der Gerichtspräsident in der Urteilsbegründung.

Für das Gericht sei bei der Urteilsfindung eine allfällige Verletzung der Sorgfaltspflicht durch den Lehrer im Vordergrund gestanden. Diesbezüglich waren von der Staatsanwaltschaft mehrere mögliche Fehler des Lehrers aufgelistet worden.

Unter anderem, dass er ohne zusätzliche Begleitperson mit 12 Schülerinnen und Schülern an die Reuss gefahren war, die Eltern im Vorfeld nicht oder nur mangelhaft über seine Pläne informiert habe, und, dass er nicht wusste, ob das spätere Opfer überhaupt gut genug schwimmen konnte.

Zu nahe an der Strömung gebadet?

«Im Zentrum standen für das Gericht am Schluss zwei Fragen: Hat der Lehrer seine Schülerinnen und Schüler im zu tiefen Wasser oder zu nahe an der Strömungskante baden lassen?», erklärte Lukas Trost. Nach intensiver Beratung hätte das Gericht beides verneint. Dem Lehrer lasse sich eine Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht nicht ohne Zweifel belegen.

Die Armee suchte bei der Einstiegsstelle, wo der Bub nach ersten Ermittlungen ins Wasser stieg, nach dem Schüler Der Bub wurde später tot aufgefunden
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Hier an dieser Stelle in Bremgarten ging die Schulklasse ins Wasser. Es ist ein beliebter Ort zum Baden.
Auch 24 Stunden nach dem tragischen Badeunglück von Bremgarten fehlt jede Spur des vermissten Schülers
Die Polizei wurde bei der Suche von der Armee unterstützt.
Ein Armeetaucher macht sich auf die Suche nach dem vermissten Jugendlichen
Die Polizei stand mit mehreren Patrouillen im Einsatz.

Die Armee suchte bei der Einstiegsstelle, wo der Bub nach ersten Ermittlungen ins Wasser stieg, nach dem Schüler Der Bub wurde später tot aufgefunden

mzm

Stark gestützt habe sich das Gericht dabei auf die Aussagen jenes Kollegen, mit dem das Opfer damals im Wasser gespielt hat: «Seine Aussagen waren detailliert, logisch und nachvollziehbar. Es gab für uns keinen Grund, daran zu zweifeln», sagte der Gerichtspräsident.

Nach Meinung des Gerichts ist der tragische Unfall die Folge eines Tauchspiels der beiden Buben: «Bei diesem Spiel sind sie aus dem ihnen vom Lehrer vorgeschriebenen Bereich in die Nähe der Strömungskante geraten. Das passierte nicht innerhalb von Minuten, sondern innerhalb von ein paar Sekunden», erklärte Trost.

Der Lehrer habe seine Klasse vom Ufer aus beobachtet, das Abdriften der beiden Buben auch sofort bemerkt und umgehend die ganze Klasse zurück ans Ufer gerufen. Doch für das 14-jährige Opfer sei es schon zu spät gewesen. Der Bub sei in die Strömung der Reuss geraten und ertrunken. Trotz eines mutigen Rettungsversuch des Lehrers.

Lehrer unterrichtet gleiche Klasse

Der Lehrer unterrichtet nach wie vor dieselbe Klasse, hat das Ereignis jedoch noch keineswegs verarbeitet, wie er vor Gericht erklärte. Mit den Eltern des verunglückten Buben habe er mehrmals erfolglos das Gespräch gesucht. Er hoffe weiterhin, er könne sich mit ihnen noch einmal an einen Tisch setzen und die Sache besprechen.

Ein grobes Verschulden bei sich selber sieht er nach wie vor nicht. Er habe Schüler und Eltern drei Tage vor dem Unfall über seine Absichten informiert und es hätte keine Einwände gegeben. Am Flussufer habe er klare Anweisungen gegeben, in welchem Bereich die Kinder baden dürften: «Ich habe die Stelle am Tag zuvor rekognosziert und einen flachen und strömungsfreien Abschnitt ausgewählt. Während die Kinder im Wasser waren, habe ich sie vom Flussufer aus beobachtet.»

Staatsanwalt und Privatklägerin sahen es ganz anders. Der Lehrer habe seine Sorgfaltspflicht in mehreren Punkten grob verletzt und Vorschriften missachtet. Er habe sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht und sei entsprechend zu bestrafen. Das Bezirksgericht Bremgarten folgte ihrer Argumentation nicht.