Justiz
Erleichterung nach «Argus»-Prozess: «Das Verfahren war für alle Polizisten eine Belastung»

Polizeivertreter sind erleichtert über die Freisprüche im Argus-Prozess. Offen ist, ob der Fall vor Bundesgericht kommt.

Manuel Bühlmann
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Vor dem Obergericht ging es um einen Sondereinsatz im Jahr 2009 in Wohlen.

Vor dem Obergericht ging es um einen Sondereinsatz im Jahr 2009 in Wohlen.

Sandra Ardizzone

Über acht Jahre sind vergangen, seit sechs Polizisten der Sondereinheit Argus eine Wohnung in einem Wohler Mehrfamilienhaus stürmten und dabei einen betrunkenen, suizidgefährdeten und mit einem Messer bewaffneten Mann mit zwei Schüssen schwer verletzten. Am Mittwoch sprach das Obergericht den Schützen nun vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung und der vorsätzlichen schweren Körperverletzung frei.

Bei der Polizei ist die Erleichterung gross. Dieter Egli, seit Ende Oktober Präsident des Aargauer Polizeiverbands, sagt: «Das jahrelange Verfahren war nicht nur für die Beschuldigten, sondern für alle Korpsangehörigen eine Belastung.» Ein Schuldspruch hätte die polizeiliche Arbeit grundsätzlich infrage gestellt. «Muss sich ein Polizist bei jedem Einsatz Sorgen machen, verurteilt zu werden, ist er irgendwann nicht mehr einsatzfähig», sagt Egli. Deshalb sei der Entscheid so wichtig.

Kritik am Einsatzleiter

Markus Leimbacher, Eglis Vorgänger als Polizeiverbands-Präsident, ist gleicher Meinung. Der Jurist vertritt jenen Polizisten, der die beiden Schüsse abgegeben hatte. Bereits während der Verhandlung warnte Leimbacher vor den Folgen einer Verurteilung. Am Tag danach sagt er: «Ein Schuldspruch wäre für die Polizeiarbeit eine Katastrophe gewesen.» Ein Polizist habe in einer solchen Situation gar keine Zeit, um zu überlegen und eine Interessenabwägung zu machen. «Bei einem Angriff muss er wie in einem Film abrufen, was er im Training geübt hat.» Sein Mandant habe sich genauso verhalten, wie er es als Angehöriger der Spezialeinheit Argus gelernt habe.

Vor Obergericht gab auch der zweite Beschuldigte – der Pikettoffizier, der den Argus-Einsatz angeordnet hatte – an, er würde wieder gleich handeln wie an jenem Maiabend 2009. Die Oberrichter hingegen sahen durchaus Alternativen zum Stürmen der Wohnung. Der Einbezug eines professionellen Verhandlers etwa wäre aus ihrer Sicht «extrem wertvoll» gewesen. Der Einsatzleiter wurde vom Vorwurf der schweren Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs freigesprochen, jedoch wegen Sachbeschädigung und Amtsmissbrauch zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.

Kein Disziplinarverfahren

Zwar ist der Entscheid noch nicht rechtskräftig, doch was würde eine Verurteilung für den inzwischen 62-Jährigen bedeuten, der nach wie vor der Aargauer Kantonspolizei angehört? Kapo-Sprecher Roland Pfister sagt, er könne sich nicht zum aktuellen Fall äussern. Grundsätzlich gelte: Der Polizeikommandant könne eigenhändig ein Disziplinarverfahren eröffnen, wobei die Spannweite der ausgesprochenen Massnahmen vom Verweis bis zur Entlassung reicht. Ein Strafregistereintrag ist längst nicht in jedem Fall ein Hindernis, um Polizist zu werden oder zu bleiben. Entscheidend sei die Schwere des Delikts, sagt Pfister. «Gefordert wird ein einwandfreier Leumund, ob dieser gegeben ist, wird im Einzelfall beurteilt.»

Anwalt Markus Leimbacher sagt: «Ein Disziplinarverfahren ist gegen die beiden Polizisten von Anfang bewusst nicht eröffnet worden, da sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.» Auswirkungen auf ihre Anstellung habe der Prozess deshalb nicht. Ob das jahrelange Verfahren mit dem Obergerichtsurteil nun ein Ende findet, ist offen.

Womöglich muss sich auch noch das Bundesgericht mit dem Wohler Fall beschäftigen. Der ausserordentliche Staatsanwalt Urs Sutter wird nach der Analyse des schriftlich begründeten Urteils entscheiden, ob er Beschwerde ergreifen wird. Er sagt: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft den einen oder anderen Fall nicht ans Bundesgericht weiterziehen wird.»