Startseite
Aargau
Kanton Aargau
«Gestrandet im Paradies»: Ein Beitrag der «Rundschau» befasst sich mit den von der Sozialhilfe abhängigen Flüchtlingen aus Eritrea. Isolation statt Integration entpuppt sich als Hauptproblematik. Doch es gibt auch Beispiele geglückter Integration, wie Johannes Measho beweist.
Die Mehrzahl der Eritreer in der Schweiz lebt in zwei Welten. Das zeigt ein Beitrag der «Rundschau» von SRF. Die meisten sind arbeitslos, leben von der Sozialhilfe. Oft bleiben die Eritreer unter sich, unterhalten sich in ihrer Landessprache – die Integration bleibt in vielen Fällen weitgehend auf der Strecke. «Ich fühle mich wie ein Bettler. Der Eine ist auf der Strasse, der Andere geht zum Staat», sagt Seare Debesay, der selbst Sozialhilfe bezieht. In der eritreischen Gemeinschaft ist er mit seiner Band «Royal Band» ein Star – 350'000 Mal wurde ihr erfolgreichstes Lied auf Youtube bereits angeklickt. In der Schweiz ist er ohne Arbeit, bewegt er sich am Rand der Gesellschaft.
Doch es gibt auch Gegenbeispiele wie jenes von Johannes Measho. Alleine unter Schweizer Studenten sitzt er in einer Vorlesung an der Fachhochschule für Technik in Windisch. Er studiert Elektro- und Informationstechnik. Der Vater von zwei Kindern ist mit einer Schweizerin verheiratet. Vor zehn Jahren musste er sein Physikstudium in Eritrea abbrechen, wurde zum Asylbewerber in der Schweiz. Measho ist überzeugt, dass die Schweiz seinen Landsleuten zu grosszügig Sozialgelder bezahlt. Das Herumsitzen mache kaputt, es brauche mehr Druck. Er sieht Schwächen im Schweizer Sozialsystem und sagt: «Sie werden ihre Arbeitsethik verlieren und sie werden sicher nicht integriert, sondern isoliert bleiben und für ewig Sozialgelder bekommen.»
Johannes Measho war ehrgeizig und ging seinen Weg, der nicht einfach war: «Ich musste Ausdauer haben, die Sprache lernen, die Kultur kennenlernen. Um an der Fachhochschule für Technik studieren zu können, habe ich extrem viel gearbeitet.» Auf dem Nachhauseweg kommt Measho am Bahnhof Aarau vorbei, wo viele junge Eritreer herumhängen und in kleinen Gruppen bis spät in die Nacht versammelt sind. «Die Leute haben keine Arbeit, es ist für sie auch keine Freude, hier zu sein», verurteilt der Fachhochschulstudent seine Landsleute dennoch nicht.
«Was will ich 24 Stunden daheim machen?», sagt der eine junge Eritreer am Bahnhof Aarau. «Die meisten sind empfindlich und gereizt. Viele haben auf der Flucht schreckliche Dinge erlebt. Deshalb gibt es wegen kleinen Dingen Schlägereien», erklärt ein anderer Eritreer. Der Bahnhof ist auch wegen des freien Internetzugangs ein Treffpunkt geworden. Von hier aus können die Eritreer mit ihren Familien zuhause kommunizieren.
Rahel Davit kam vor sieben Jahren als Asylbewerberin in die Schweiz. Heute spricht sie perfekt Dialekt und macht im Pflegezentrum Entlisberg eine Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit. Auch sie sagt: «Viele Eritreer sind isoliert, haben nur mit Landsleuten Kontakt. Ich hatte in der Schule niemanden, um meine Muttersprache zu sprechen. Bei meinen Pflegeeltern sprach ich ausschliesslich Deutsch.»
Die «Royal Band» von Seare Debesay arbeitet derzeit am nächsten Hit. Mit einem neuen Videoclip will die Band an den aktuellen Erfolg anknüpfen. Debesay besucht einen Französischkurs und möchte gerne nach einer Ausbildung in fünf Jahren auf eigenen Beinen stehen. Damit ihm gelingt, was vielen Eritreern bisher nicht gelungen ist: für sich selbst aufzukommen. (yas)