Ennetbaden feiert dieses Jahr Geburtstag. Vor 200 Jahren wurde es mit Beschluss der Kantonsregierung von Baden getrennt. Nicht etwa auf eigenen Wunsch: Es waren die Städter, welche die ärmlichen Dörfler nicht mehr unterstützen wollten. Heute wäre es umgekehrt: Von einer Wiedervereinigung würden die Städter mehr profitieren als die «Goldwändler».
Item. Am letzten Samstag bekam Ennetbaden ein Geburtstagsgeschenk von unerwarteter Seite: einen Auftritt in der Fernsehsendung, die in diesem Land am meisten geguckt wird, in der Hauptausgabe der SRF-Tagesschau. Unter der Affiche «Agglo-Gemeinden driften politisch auseinander» wurde Ennetbaden als Beispiel einer wohlhabenden Gemeinde dargestellt, die ihr Heil nicht in Steuersenkungen sah, um eine reiche, rechts stehende Klientel anzulocken. So wie etwa Wollerau am Zürichsee, wo hohe Zäune rund um grosse Villen ein Sozialleben verhindern. Nein, Ennetbaden hat investiert. Zum Beispiel in Kinderbetreuung und soziale Einrichtungen. Das zog – neben der Sonnenhanglage und der Nähe zu Baden und Zürich– wohlhabende Leute an, urban denkende Akademiker und Doppelverdiener-Familien. Soweit die Leutschenbacher, die ihren Bericht auf eine Studie des omnipräsenten Politologen Michael Hermann abstützten.
Tatsächlich ist das heute weitgehend deindustrialisierte Dorf zwischen Limmat und Goldwand ein Phänomen. Wenn wieder einmal über eine SVP-Volksinitiative abgestimmt wird, zum Beispiel die Durchsetzungsinitiative 2016 oder die Selbstbestimmungsinitiative 2018, verwirft im Aargau niemand so wuchtig wie Ennetbaden. Stimmt heute wirklich die Gleichung «Wohlhabend = links»? Ist, wer SVP-Begehren nicht riechen kann, automatisch links? Ennetbaden ist ein spannendes Experimentierfeld für Politologen. Die Prophezeiung sei gewagt: SP-Ständeratskandidat Cédric Wermuth wird in Ennetbaden nicht viele Stimmen holen. Denn die «Goldwändler» wollen nicht den Kapitalismus überwinden. Sie verstehen sich in ihrer Mehrheit als Mittelstand, aufgeschlossen gegenüber sozialen und Umweltanliegen. Das ist nicht Wermuth-Publikum, das ist linksliberale Mitte. Wermuth wird nun sagen: «Schaut nach Deutschland, wo eine zur Mitte driftende SP landet: im Abgrund.» Okay. Hier fehlt der Platz, um den SP-Richtungsstreit zu lösen.
Schon Einstein wusste: Alles ist relativ. Im ziemlich weit rechts stehenden Aargau ist oder wirkt Ennetbaden halt links. Dabei will man hier vieles sein und wählen – bloss eines nicht: SVP. Happy birthday, Ennetbaden.
Hans Fahrländer war Chefredaktor der Aargauer Zeitung und schreibt über Aargauer Politik. E-Mail: hans.fahrlaender@azmedien.ch