Grossratswahlen 2020
Einkommen, Bildung, Alter: Jetzt zeigt sich, wie unterschiedlich die Aargauer Stimmberechtigten wählten

Bei den Grossratswahlen im Herbst waren GLP und Grüne die grossen Sieger. Grosse Verliererin war die SP. Dies obwohl sie sehr gut mobilisierte, wie eine Wahlauswertung zeigt. Die SVP verlor leicht, weil sie schlecht mobilisierte.

Mathias Küng
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Eine 45-seitige Auswertung analysiert die Aargauer Grossratswahlen 2020. (Archivbild)

Eine 45-seitige Auswertung analysiert die Aargauer Grossratswahlen 2020. (Archivbild)

Chris Iseli

Bei den aargauischen Grossratswahlen am 18. Oktober gab es eine leichte Verschiebung von der rechten Ratshälfte in die Mitte-Links-Ratshälfte. Vor allem aber legten innerhalb der Mitte-Links-Ratshälfte Grüne und GLP deutlich zu, die Grünliberalen sogar mehr als die Grünen. Wie kam es zu diesem Ergebnis, das absolut im nationalen Trend lag?

Jetzt liegt eine 45-seitige Auswertung durch das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) vor. Darin kommen die Wahlforscher Uwe Serdült, Thomas Milic und Selim Brüggemann zum Schluss, dass die Wahlsiegerin GLP wiederum Mühe hatte, ihre Wählerschaft von 2016 erneut an die Urnen zu bringen. Aber es gelang ihr, viele ehemalige Wählende der Mitte-und der Linksparteien von einem Wechsel zu überzeugen. Weniger als die Hälfte der GLP- und Grünen-Sympathisierenden beteiligten sich. Es reichte trotzdem für einen beachtlichen Erfolg, so die ZDA-Wahlforscher.

SP mobilisierte am besten – doch viele stimmten neu für die Grünen

Die SP habe zwar gut mobilisiert, heisst es in der ZDA-Studie weiter, "aber rund ein Zehntel ihrer Wählerschaft von 2016 wechselte diesmal die Parteifarben – von rot auf grün. Insgesamt ist es damit ausgerechnet jener Partei, die anteilsmässig die grössten Stimmenverluste hinnehmen musste, am besten gelungen, die eigenen Sympathisierenden zu mobilisieren: Etwas mehr als die Hälfte der SP-Anhängerschaft (54 Prozent) gab bei den Grossratswahlen ihre Stimme ab. Keine andere (grössere) Partei kam auf einen derart hohen Wert.

Bisherige BDP-Wählende blieben daheim oder wählten GLP

Die CVP konnte laut dieser Auswertung wie schon bei den Nationalratswahlen vor einem Jahr auf eine treue Stammwählerschaft zählen, die disziplinierter als andere Parteianhängerschaften zur Urne ging. Besonders viele Wählende hat sie nach wie vor bei Katholikinnen und Katholiken. Sie profitierte wie andere Parteien auch kaum von bisherigen BDP-Wählenden. Diese blieben nämlich zu 80 Prozent daheim.

Auch solche, die sich nicht zwingend mit der BDP identifizieren, aber vor vier Jahren der BDP die Stimme gaben, verzichteten diesmal oft auf eine Stimmabgabe. Wer von ihnen nicht wählte, gab rund fünfmal so oft wie der Rest als Abstinenzgrund an, dass die eigene Partei chancenlos gewesen sei. Von jenen, die teilnahmen, wählte eine relative Mehrheit die Grünliberalen.

SVP hatte wie schon 2019 Mobilisierungsprobleme

Die FDP und vor allem auch die SVP hatten Mobilisierungsprobleme: Besondere Mühe bekundete wie schon bei den Nationalratswahlen 2019 die SVP. Lediglich 37 Prozent ihrer Anhängerschaft gingen an die Urnen. In keiner anderen Parteianhängerschaft war die Beteiligungsquote derart tief, so die Wahlforscher – mit Ausnahme der BDP.

Auffällige Unterschiede zwischen den Parteiwählerschaften sind sowohl beim Alter als auch beim Geschlecht auszumachen. Die CVP-Wählerschaft weist das höchste Durchschnittsalter auf, während GLP und Grüne für junge Wählende besonders attraktiv waren. CVP-Wählende teilen auf der einen Seite eine ganze Reihe linker und grüner Anliegen, befürworten auf der anderen Seite aber auch eine Verschärfung des kantonalen Sozialhilfegesetzes und einen Stellenausbau bei der Polizei.

Je mehr für Klimaschutz, desto eher grün statt SP

Die SP und Grünen haben besonders bei den jüngeren Frauen gepunktet. Stark vertreten sind die beiden Linksparteien ausserdem im Erziehungs- und Gesundheitswesen. Was sachpolitische Präferenzen betrifft, so unterscheiden sich die Wählerschaften der Grünen und SP kaum.

Den Ausschlag zwischen den beiden Parteien gaben nebst tief verwurzelten Parteibindungen die Intensität, mit welcher klimapolitische Massnahmen unterstützt werden: Wer vehement ein Verbot von Ölheizungen und anderweitige dringliche Massnahmen zum Klimaschutz fordert, legte öfter grün statt rot ein.

SVP-Wählende wiederum sind überdurchschnittlich oft pensionierte Männer, haben ein vergleichsweise tiefes Haushaltseinkommen und eine Berufslehre bzw. höhere Berufsausbildung absolviert. Sachpolitisch unterstützen sie eine Verschärfung des Asylrechts und des kantonalen Sozialhilfegesetzes. Aber auch die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare sowie die Einführung von Transparenzregeln zur Kampagnen- und Parteienfinanzierung finden aktuell eine Mehrheit.

Wählende der FDP sind hoch gebildet und verfügen über ein hohes Haushaltseinkommen. Ein ganz ähnliches soziales Profil wie die FDP weist die GLP-Wählerschaft auf. Die GLP war indessen für Jung- und Erstwählende attraktiver als die FDP.

Ältere wählen fleissig, doch nur jeder fünfte Junge ging an die Urne

Bei der Stimmbeteiligung kam es zu keinen Überraschungen. Sie wich nur geringfügig von derjenigen im Jahr 2016 ab. Höheres Alter und Bildungsniveau wirkten sich positiv auf die Beteiligung an den Wahlen aus.

Die Altersunterschiede sind frappant: Während die über 70-Jährigen sich zu knapp 60 Prozent beteiligten, liegt die durchschnittliche Wahlbeteiligung der Jüngeren (18 bis 39-Jährige) bei mageren 20 Prozent. Ausschlaggebend für den Wahlerfolg einer Partei ist nicht zuletzt, wie viele ihrer Sympathisierenden sie an die Wahlurnen zu bringen vermag.

Wahlen werden nicht auf den sozialen Medien gewonnen

Informationen bilden die Grundlage, auf deren Basis Wählende ihren Entscheid fällen bzw. ändern. Woher bezogen sie ihre Informationen zu diesen Wahlen? Die beliebteste Informationsquelle war demnach die kantonale Wahlanleitung, die dem Stimmmaterial beiliegt. 65 Prozent gaben an, sie genutzt zu haben. Kostenpflichtige Abonnementszeitungen/-magazine wurden von 46 Prozent herangezogen. Fernseh- und Radiosendungen schaute bzw. hörte sich mehr als ein Drittel an.

Etwa ein Viertel gab an, Leserbriefe oder -kommentare gelesen zu haben. 19 Prozent nutzten Online-Wahlhilfen, in erster Linie diejenigen von smartvote und Vimentis. Die kantonale Website wurde sodann eher selten (13% Prozent) aufgerufen, aber doch häufiger als Soziale Medien (11 Prouzent). Der letztere Befund macht laut den Wahforschern «einmal mehr deutlich, dass kantonale Wahlen nicht auf Twitter oder Facebook gewonnen werden».