Schädling
Eine kleine Fliege löst im Aargau grosse Existenzängste aus

Die Kirschessigfliege, der kleine Schädling ist auch 2015 im Anflug. Die Biodiversität als Strategie des Bundes ist bedroht. Es gibt einen extremen Zielkonflikt.

Hans Lüthi
Drucken
Prächtig blühende Kirschbäume, hier in Mandach. Sind ihre Früchte bedroht?

Prächtig blühende Kirschbäume, hier in Mandach. Sind ihre Früchte bedroht?

Chris Iseli

Der Mini-Schädling Kirschessigfliege mobilisiert die Massen und hat unglaubliche Konsequenzen für die Aargauer und Schweizer Bauern. Beeren-Produzenten sind in ihrer Existenz bedroht, Kirschen, Zwetschgen und Trauben sind schwierig zu schützen. Weil es gegen die Kirschessigfliege kein Rezept gibt, sind auch dieses Jahr grosse Ernteausfälle zu befürchten.

Selbst die Biodiversität gerät ins Wanken, weil sich die Schädlinge auf Magerwiesen, Hecken und Waldrändern prächtig entwickeln, um dann in den Kulturen ihr Zerstörungswerk anzurichten.

Eine Kirschessigfliege sitzt auf einer Weintraube (Archiv)

Eine Kirschessigfliege sitzt auf einer Weintraube (Archiv)

Keystone

Wie sehr den Bauern das Thema unter den Nägeln brennt, zeigt der Rekordaufmarsch an einem schönen Frühlingstag: Der «Ochsen»-Saal in Lupfig platzt aus allen Nähten, als Liebegg-Direktor Hansruedi Häfliger 230 Personen zur spannenden Tagung begrüsst.

Das Werk dieser Fliege ist teuflisch. Sie legt Eier in gesunde Beeren und Früchte, die dadurch Essig bilden und kaputt gehen. «Die Fliege war 2014 das Leidthema der Aargauer Landwirtschaft», sagt Häfliger.

Nach einem zu wenig harten Winter glaubt niemand, dass es 2015 besser wird. Nur mit genauer Beobachtung, mit Netzen, Fallen und chemischen Einsätzen wird es allenfalls gelingen, die Schäden in Grenzen zu halten.

Bei 20 bis 23 Grad vermehren sich die Tiere explosionsartig: Ein Weibchen legt 100 Eier, alle zwei bis drei Wochen entsteht eine neue Generation. Eine Fliege hat im Idealfall pro Saison theoretisch 100 000 Milliarden Nachkommen.

Existenz wird ernsthaft bedroht

«Unsere Abnehmer wollen Liefersicherheit, sonst ist unsere Existenz bedroht», betont Praktiker und Beerenproduzent Thomas Fiechter aus Zunzgen.

Wenn aus einer Fliege in einem halben Monat eine Million werden, spiele es keine Rolle, ob der Befall vereinzelt oder schon tausendfach sei. Dann müsse man ab Blüte mit Pestiziden spritzen und auch den Boden behandeln, um jede Ausbreitung zu verhindern.

Wer im Abwehrkampf nicht konsequent arbeite, «hat keine Chance am Markt». Fiechter nimmt an, ein Teil der Beerenproduzenten müsse die Segel streichen. «In Zukunft werde ich wohl mehr gegen die Kirschessigfliegen als gegen Konkurrenten kämpfen», meint er lakonisch. Ernsthaft infrage gestellt werde auch die Integrierte Produktion, die nur fünf Spritzmittel erlaubt.

«Extremer Zielkonflikt»

«Grosse Nervosität, Kritik und Anschuldigungen» kamen 2014 bis nach Bern. Dabei sei der Bund eigentlich gar nicht zuständig, meint Eva Reinhard. Die stellvertretende Direktorin im Bundesamt für Landwirtschaft versichert gleichzeitig, bei der Notzulassung der chemischen Mittel im Kampf gegen die Fliege müsse der Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet sein.

Jahrelang habe man den Konsumenten auch von Bern aus falsche Versprechungen gemacht, jetzt schlage das Pendel zurück. Letztlich gehe es um die Frage, ob man die Spritzmittel akzeptieren oder auf Schweizer Kirschen und Beeren verzichten wolle. «Das ist ein extremer Zielkonflikt, auch für die Konsumenten», so Reinhard. Sie sieht auch die Biodiversität in Gefahr, weil man Produktion und Naturland künftig vielleicht wieder stärker trennen müsse.